Deutsche TV-Premiere: 01.03.2004 (WDR)
Über allen Gipfeln ist Ruh ... " rezitiert plötzlich der mitreisende kanadische Schauspieler, als "The Canadian" irgendwo zwischen Atlantik und Pazifik anhält. Ein paar Passagiere stecken rasch Zigaretten und Pfeifen an - Rauchverbot an Bord. Don Harron trägt stattdessen Goethe vor, und kaum hat er die Worte " ... ruhest Du auch" ausgesprochen, verfällt er in diabolisches Gelächter. Gelernt hat er das Gedicht vor sechzig Jahren in der Schule. Ein Hauch von Europa in Kanada. Kein fast feindseliges Schweigen wie im Flugzeug - sie reden miteinander, die Passagiere im Zug. Das leise RaTaTa scheint die Kontaktfreude zu beflügeln. Überraschung, oft nicht von Komik frei, ist die treueste Reisebegleiterin im "Canadian", den drei schwere Diesellokomotiven über fünftausend Kilometer von Toronto nach Vancouver ziehen. Manche Passagiere steigen nur für eine kurze Strecke ein, Bruce Hyer etwa. "Dieser Zug ist eine Zeitmaschine", sagt er, "Du steigst in Armstrong im 21. Jahrhundert ein, und ein paar Stunden später steigst Du in Allan Bridge im 18. Jahrhundert aus, mitten in der Wildnis, wo sich seit 200 Jahren nichts ver-ändert hat." Bruce benutzt den "Canadian", weil nur die Schienen durch den Wabakimi Wilderness Park führen, der über eine Million Hektar groß ist. Der Zug hält in Allan Water Bridge auf Bestellung - wie fast überall sonst auf der Strecke, wenn Reisende aus- oder zusteigen wollen. "Toronto - Vancouver einfach, bitte" ist eine Reise quer durch den nordamerikanischen Kontinent durch riesige Wälder, Seengebiete, Gebirge, und zugleich ist es ist eine Reise durch zwei Jahreszeiten: vom herbstlichen Flammenmeer des Indian Summer in Ontario zu den eisigen Gipfeln der winterlichen Rocky Mountains. Sonnenschein, Wolken, Regengüsse, Frost und Schnee begleiten uns. Kanada in vielfältigen Variationen. "The Canadian" ist keine rollende Luxusherberge wie der "Orient Express", sondern ein solider Aluminium-Lindwurm, der sich quer durch Kanada schlängelt. 72 Stunden dauert die Reise. David Dubi, Chef in einer der Zug-Kombüsen, bereitet alle Mahlzeiten frisch zu - "nicht zu scharf allerdings", sagt er, "wir haben viele Senioren an Bord".Entlang der Strecke treffen wir Menschen, die das große Abenteuer suchen oder die Einsamkeit. Da ist die Seseganaga Lodge, die früher als Lager für deutsche Kriegsgefangene diente. In der Nähe bewirtet ein amerikanischer Milliardär seine Gäste in einer Lodge, die eine indianische Familie für ihn managt. Wir begleiten Jäger auf der (erfolglosen) Elchjagd, verspeisen am Campfeuer frisch gefangenen Zander, den Al zubereitet, der begeisterte Angler, der an Wassergeister glaubt. In Humboldt ist das Denkmal des deutschen Naturforschers bis zum Hals eingeschneit. Wenn abends im Wirtshaus die letzten rustikaldeutschen Trinklieder verklingen, rüsten die Mönche des Klosters bald schon zur Frühmesse. Unter ihnen Bruder Wolfgang, der trotz seiner 80 Jahre Ski läuft und im Internet regelmäßig die VfB-Stuttgart-Spiele verfolgt, und Bruder Kurt, der früher mit einer Rockband durch Kanada zog und heute frisches Brot für seine mönchischen Brüder backt. Nirgends ist der Schnee unberührter als ganz oben in den Rockies, wo nur die Privilegierten hinkommen, per Helikopter. Rocco aus Österreich, langes Haar und Lederhosen, fliegt mit seinen Gästen auf die Gipfel - hinreisende Abfahrten warten auf sie, ohne eine einzige Skispur im frischen Schnee. Begegnungen entlang der Bahngleise zwischen Toronto und Vancouver in einem multikulturell geprägten Land, das längst nicht mehr den Trappern und Goldgräbern gehört. Mit dem Zug mitten durch das Kanada des 21. Jahrhunderts - Klischees bitte abgeben beim Einsteigen in den "Canadian". Übrigens, nirgends schmeckt das Prime Rib besser als aus David Dubis rollender Kombüse, wenn draußen der grandiose Film namens Kanada abläuft: Kanada, nichts als Kanada.
(ZDF)
gezeigt bei: Länder - Menschen - Abenteuer (D, 1975)
Cast & Crew
- Drehbuch: Dr. Rita Knobel-Ulrich
- Produktionsauftrag: ARD, WDR, NDR