Das Film- und Fernsehserien-Infoportal

Log-In für "Meine Wunschliste"

Passwort vergessen

  • Bitte trage Deine E-Mail-Adresse ein, damit wir Dir ein neues Passwort zuschicken können:
  • Log-In | Neu registrieren

Registrierung zur E-Mail-Benachrichtigung

  • Anmeldung zur kostenlosen Serienstart-Benachrichtigung für

  • E-Mail-Adresse
  • Für eine vollständige und rechtzeitige Benachrichtigung übernehmen wir keine Garantie.
  • Fragen & Antworten

TV-Kritik/Review: 11.22.63 - Der Anschlag

Stephen-King-Serienadaption mit James Franco - von Gian-Philip Andreas
(14.03.2016)

Sadie Dunhill (Sarah Gadon) und Jake Epping (James Franco) im Jahr 1960
Sadie Dunhill (Sarah Gadon) und Jake Epping (James Franco) im Jahr 1960


Stephen King ist ein Schriftsteller mit bemerkenswertem Output - ebenso zahlreich sind die Verfilmungen seiner Werke, bei denen bekanntlich auf jeden Hit mindestens fünf Nieten kommen. Auch die Umsetzungen fürs Fernsehen blieben selten in guter Erinnerung, und nach wie vor wartet die Welt auf eine King-Serie:  "Under the Dome" etwa krankte zuletzt an vielem, vor allem aber daran, dass die zähe Story gewaltsam über drei Staffeln gestreckt wurde.

Die Hulu-Produktion  "11.22.63 - Der Anschlag" nutzt nun das für die dicken King-Wälzer wohl geeigneteste Format einer Mini-Serie. Und zum Glück kommt dafür allerhand Vielversprechendes zusammen. Erstens: Der Zeitreiseroman von 2011 (deutscher Titel: "Der Anschlag") gilt mit seiner High-Concept-Mischung aus (Science) Fiction und Zeitgeschichte, Mystery und Romantik als Highlight in Kings Spätwerk. Zweitens: Das Sixties-Setting erinnert an die Novelle "Stand By Me", deren nostalgische Verfilmung viele bis heute für die beste aller King-Verfilmungen halten. Drittens: Für die auf verschiedenen Zeitebenen operierende Serie zeichnet J. J. Abrams' Produktionsschmiede Bad Robot verantwortlich, und wer wäre ein besserer Experte für alternative Zeitebenen als der Erfinder von  "Lost" (der hier sogar die Titelmelodie komponierte)? King selbst produziert übrigens höchstpersönlich mit. Viertens: Entwickelt hat die Serie Bridget Carpenter, die als langjährige Autorin und Produzentin von  "Friday Night Lights" und  "Parenthood" für hohe Qualitätstandards bürgt. Fünftens: Ein Cast, der den ewigen It-Boy, Allrounder-Künstler und als Schauspieler stets leicht hölzernen James Franco ("127 Hours") als souveränen "Regular Guy" in der Hauptrolle mit Oscar-Preisträger Chris Cooper ("Die Bourne Identität") und "Transformers"-Hunk Josh Duhamel kombiniert, kann so schlecht nicht sein.

Tatsächlich: Schon der 80-minütige Pilotfilm, inszeniert von einem weiteren Oscar-Preisträger (Kevin MacDonald), versteht es bestens, den süffigen Erzählstil aus Kings Pageturnern direkt in Serie zu übersetzen. Die Produktionswerte (besonders die Kamera) des Achtteilers sind durchweg exzellent, die Ausstattung der Sixties-Szenen etwa wurde nie zum Deko-Overkill. Vor allem aber gelingt es Carpenter überraschend gut, die Konstruktion des Romans mit seinen grundlegenden Spielregeln (und nicht unproblematischen Motivationsprämissen) in eine filmische Handlung zu übersetzen.

Entworfen wird ein klassisches, als Zeitreisefabel verpacktes Was-wäre-wenn-Szenario: Was wäre, wenn man in der Zeit zurückreisen und Dinge ändern könnte? Wie würde sich der Schmetterlingseffekt auf die Gegenwart auswirken - privat und gesellschaftlich? Was geschähe, würde man weltbewegende Geschehnisse verhindern wollen - die Ermordnung John F. Kennedys zum Beispiel, am titelgebenden Freitag, dem 22. November 1963, in Dallas, Texas?

In die Situation, sich dieser Frage im angewandten Konjunktiv stellen zu müssen, stolpert der fusselbärtige Lehrer Jake Epping (Franco) aus Lisbon Falls in Maine: Tagsüber scheitert der in Scheidung lebende Enddreißiger an ignoranten Highschool-Kids, abends unterrichtet er Erwachsene. Und eines Tages verschwindet dann Al Templeton (stark: Cooper), der Besitzer seines Lieblings-Diners, für zwei Minuten in der Küche und kommt dann, eben noch gesund, von Krebs gezeichnet wieder heraus: Was ist passiert? Anstelle einer Antwort schickt Al Jake in seinen begehbaren Küchenschrank - aus dem der Lehrer in eine belebte Straßenszenerie im Jahr 1960 stolpert. Zurück in der Wirklichkeit wird der perplexe Jake (und mit ihm das Publikum) aufgeklärt: Jeder, der durch den Schrank tritt, landet um 11.58 Uhr am 21. Oktober 1960 in der Vergangenheit von Lisbon Falls. Geht es dann wieder "zurück in die Zukunft", hat man, egal wie lange man sich in der Vergangenheit aufhielt, in der Gegenwart nur zwei Minuten Lebenszeit verpasst. Tritt man erneut in den Schrank, ist es dann wieder exakt 11.58 Uhr an jenem 21. Oktober 1960.

Brilliert als Diner-Besitzer Al Templeton: Chris Cooper
Brilliert als Diner-Besitzer Al Templeton: Chris Cooper

Al berichtet, er habe zuletzt viel Zeit in der Vergangenheit verbracht und vor allem ein Ziel verfolgt: die Ermordung Kennedys zu verhindern, und damit auch die Eskalation des so verheerenden Vietnamkriegs. Seit der Krebsdiagnose fehlt ihm die Kraft, weshalb er jetzt Jake bittet, dieses Werk zu vollenden. Der Lehrer soll ermitteln, ob der Attentäter, wie's in den Geschichtsbüchern steht, Lee Harvey Oswald war, und ihn, falls ja, noch vor der Tat töten. In einem "Und täglich grüßt das Murmeltier"-Szenario hat Al wesentliche Szenen schon ausgetestet, weshalb er Jake wichtige Tipps geben kann.

Dass sich Jake auf diese ungeheuerliche Sache einlässt, wird eher dünn motiviert, nichtsdestotrotz gelingt es Carpenter, Jakes Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation in wenigen kurzen Szenen durchaus eindrücklich zu skizzieren. Und ist diese dramaturgische Kröte erst einmal geschluckt, befindet sich die Serie sofort in medias res. Jake wird mitten ins Amerika von 1960 geworfen, und frisch rasiert sowie beim Herrenausstatter mit Anzug und Hut versorgt, kurvt Jake im zitronengelben Cadillac von Maine durch die von Rassentrennung geprägten Südstaaten nach Texas: Das Smartphone landet im Fluss, Geld wird per Sportwette erspielt (die Ergebnisse hat Al fürsorglich für ihn notiert), und im Autoradio sorgen Paul Evans, die Zodiacs und Bo Diddley für zeittypische Begleitmusik.

Als Jake dann erste Nachforschungen anstellt und dem (historischen) Industriellen und späteren Oswald-Freund George de Mohrenschildt bei einem verdächtigen Treffen mit der CIA hinterherspioniert, bemerkt er sehr schnell, wer bei dieser Unternehmung sein größter Feind sein wird: die Vergangenheit selbst. Jede Kleinigkeit, die er an den Zeitläuften verändert, wird Konsequenzen haben, und zwar selten erfreuliche. Am schönsten (und unübersetzbarsten) drückt das Al in einer frühen Warnung aus: "If you do something that really fucks with the past, the past fucks with you!" In "11.22.63" mischt sich die Gegenwart also nicht nur in die Vergangenheit ein, auch die Fiktion spielt mit der Zeitgeschichte - und umkreist werden dabei jene (Verschwörungs-)Theorien, die man zum Beispiel aus Oliver Stones Film "JFK" kennen kann.

Nach der ersten Katastrophe, die sich aus dieser Kollision ergibt, will Jake den Auftrag abbrechen, dann aber erinnert er sich an den ältlichen Hausmeister Harry Dunning aus seinem Kurs an der Abendschule: Der hatte von Halloween 1960 erzählt, als sein brutaler Vater seine Mutter und Geschwister tötete. In einer eigentlich recht unmotivierten, dramaturgisch aber erneut nicht ungeschickt eingefädelten Wendung entschließt sich Jake, wenigstens diese eine Sache zu "korrigieren". Die zweite Episode lässt den Kennedy-Plot deshalb komplett außen vor, um stattdessen davon zu erzählen, wie Jake Harry Dunnings gewalttätigen Vater (schön fies: Duhamel) von der Bluttat abzuhalten versucht. Dieses grimmige, atmosphärisch stimmige Schurkenstück zwischen Schlachthof und Kneipe hätte sich auch als  "Twilight Zone"-Episode gut gemacht. Am Ende dieser Folge hat Jake erstmals Entscheidendes verändert und mit dem jungen Barkeeper Bill (George MacKay) einen Mitwisser. Eine zweite potenzielle Komplizin hat sich freilich schon zuvor angekündigt: In Dallas lernt Jake die Bibliothekarin Sadie Dunhill (Sarah Gadon) kennen, die auch als Love Interest in Stellung gebracht wird. Erfreulich zu sehen, dass die strahlend schöne Gadon inzwischen nicht mehr in Filmen wie "Dracula Untold" verschleudert wird.

Überhaupt wird Franco von sehr tollen Nebendarstellern flankiert - die langen Monologe von Leon Rippy (als Harry Dunning) und  "Rectify"-Senator Michael O'Neill (als Vermieter mit Kriegstrauma) bleiben ganz besonders in Erinnerung, doch auch auf Cherry Jones ( "Transparent") als Mutter von Lee Harvey Oswald darf man sich freuen. Hinzu kommen ein paar herrlich selbstironische Momente - wenn etwa Jake mit Sadie über Romanverfilmungen schwadroniert ("Die Bücher sind immer besser!") oder auf die Frage nach seiner Kompanie im Korea-Krieg flugs mit Fernsehserienwissen lügt ("M*A*S*H, 4077").

Wer den Roman kennt, weiß, wie sich Oswald-Plot, Liebesgeschichte und alternative Zeitläufte entwickeln und wird schon bald feststellen, dass Carpenter einige Änderungen vorgenommen hat. Dennoch ist schnell klar, dass "11.22.63" zu den gelungenen King-Umsetzungen zählt, was nicht nur, aber vor allem an der sorgfältigen Inszenierung und an den sehenswerten Darstellern liegt. Die Logikprobleme, die eigentlich allen Zeitreisegeschichten anhaften (Warum, zum Beispiel, ist Jake nicht mutiger bei seinen Eingriffen, wenn er doch zur Not jederzeit alles "resetten" kann?), bleiben allerdings auch diesmal ungelöst.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von "11.22.63".

Meine Wertung: 4/5


Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: Hulu


 

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für TV Wunschliste rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 ("Lonely Souls") ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 ("Pine Barrens"), The Simpsons S08E23 ("Homer's Enemy"), Mad Men S04E07 ("The Suitcase"), My So-Called Life S01E11 ("Life of Brian") und selbstredend Lindenstraße 507 ("Laufpass").

Beitrag melden

  •  

Leserkommentare