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Wenn er nicht kommt, kommt kaum einer nach Gladrow in Ostvorpommern. Nur noch ein paar Dutzend Menschen leben im Dorf an der polnischen Grenze. Ralf Wiesel versorgt die Bewohner mit Lebensmitteln. "Viele Kunden sind gestorben, andere weggezogen, einige werden von ihren Kindern versorgt", erzählt uns der Kaufmann, während er mit seinem altersschwachen Kleinlaster eine verlassene Allee entlang rattert. Der erste Kunde an diesem Morgen wartet schon auf den rollenden Einkaufsladen. Ralf Wiesel weiß genau, was der alte Bauer und sein Sohn brauchen: Brot, Milch, Margarine, Dosenwurst - wie jedes Mal. Für die Bewohner der Dörfer am Rande der Republik ist Ralf Wiesel mehr als nur ein Kaufmann. Der 47-Jährige bringt Neuigkeiten und manchmal sogar Medikamente aus der Stadt mit. Er hat immer ein offenes Ohr für die Probleme seiner Kunden, für die die Supermärkte in den Städten Greifswald oder Anklam unerreichbar sind. Acht Dörfer beliefert der Händler am Tag. Wer gerade kein Geld hat, kann anschreiben lassen. Und das sei am Monatsende die Regel, erfahren wir. Jeder dritte Dorfbewohner in der Region ist arbeitslos. "Wer jung ist und es irgendwie geschafft hat, arbeitet längst im Westen", meint Wiesel, der zu DDR-Zeiten Melker war. Nur seine Idee mit dem Dorfladen habe ihn gerettet. Nach der Wende liefen seine Geschäfte gut, doch heute kämpft auch er ums Überleben. Inzwischen hat der Kaufmann einen Konkurrenten bekommen mit einem neuen, schicken Laster, in den "sein Wagen dreimal reinpasst". Hier können die Kunden selbst in die Regale greifen und manches ist sogar billiger als bei Wiesel. Ohne seine Stammkunden, die treu zu ihm halten, wäre der Händler aufgeschmissen. Dafür sieht er auch schon mal bei dem einen oder anderen nach dem Rechten. Würde er sich nicht um Menschen wie Bremer und Pille kümmern, grenze das schon an Mord, sagt uns rollende Händler, der gleichzeitig auch ein bisschen Sozialarbeiter ist. Die beiden Männer kaufen bei Wiesel alles, was sie brauchen: Grundnahrungsmittel, Bier und Schnaps oder Batterien, wenn ihnen mal wieder der Strom abgestellt wurde. "Jeden Monat fahre ich beiden Kumpel zur Sparkasse in die Stadt", berichtet der Kaufmann, "damit sie ihr Geld auch sicher nach Hause bringen." Monika Schäfer hat mit einem Kamerateam die strukturschwache Region im äußersten Nordosten der Republik zwei Wochen lang besucht. Sie erzählt in ihrer Reportage die Geschichte eines beherzten Mannes, der sich nicht unterkriegen lässt, der sich um Menschen kümmert, die Deutschland vergessen hat.
(NDR)