Noch vor dem Fall der Mauer verließ Bojina Panayotova im Alter von acht Jahren mit ihren Eltern Bulgarien. In den verklärten Kindheitserinnerungen der Regisseurin blieb die kommunistische Heimat lange ein Sehnsuchtsort. 2014 begann Bojina Panayotova, die nunmehr seit 25 Jahren in Frankreich lebte, über ihre Eltern und Großeltern zu recherchieren, um zu verstehen, was für ein Land Bulgarien damals wirklich war. Sie konnte nicht ahnen, dass ihre Suche nach der absoluten Wahrheit sehr persönliche Psychodramen auslösen würde. "Ich seh' rot" handelt von dem dringlichen Wahrheitsbedürfnis einer Generation junger Osteuropäer, die, ohne die Alltagsrealität vor dem Mauerfall erlebt zu haben, unter dem radikalen Bruch in der jüngsten Geschichte ihres Landes, ihrer Gesellschaft und der eigenen Familie leidet. Die im offiziellen Diskurs bislang nur unzureichend aufgearbeitete Vergangenheit lebt in den mündlichen Überlieferungen der Familien, Gemeinschaften und Stadtviertel fort. Selbst im Exil spürt Bojina Panayotova eine klaffende Lücke, die sie aus ihrem Heimat gewordenen Paris heraustreibt, um in ihrem Geburtsland nach Antworten zu suchen. Sie bringt ihre Eltern dazu, einen Antrag bei der Sonderkommission zu stellen, die unlängst die Akten der Geheimpolizei geöffnet hat. Die überraschenden Einsichten vor Ort lösen in der Familie ein Erdbeben aus. "Und wenn meine Familie mit der bulgarischen Geheimpolizei kollaboriert hat?" "Ich seh' rot" ist ein ungewöhnlicher, ja beunruhigender Film. Die inquisitorische Gewalt vor laufender Kamera kann verstören. Aber Bojina Panayotova geht das makabre Thema so eigenwillig und subtil an, dass trotz der Härte der Konfrontation Humor und Selbstironie immer wieder durchscheinen. Eine tragikomische Odyssee, die mit der Spannung eines Spionagefilms eine hochemotionale Familiengeschichte erzählt.
(arte)
Länge: ca. 84 min.
Deutsche TV-Premiere: 22.10.2018 (arte)
Cast & Crew
- Regie: Bojina Payanotova
- Drehbuch: Bojina Payanotova
- Produktion: Roy Arida
- Musik: Emilian Gatsov
- Kamera: Bojina Panayotova, Xavier Sirven
- Schnitt: Léa Chatauret, Elsa Jonquet, Bojina Panayotova, Xavier Sirven