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TV-Kritik/Review: Atlantis
(25.11.2013)
Applaus für Fernsehserienmacher, die sich nicht lange damit aufhalten, ungewöhnliche Einstiege zu erfinden: Es geht doch auch direkt! So haben sich die
Respekt für diesen Rücksturz ins Erzählen ohne Um- und Nebenwege! Was hier Sache ist, vermittelt sich sofort: Die BBC suchte einen Nachfolger für die nach fünf Staffeln verschiedene Fantasy-Abenteuer-Serie "Merlin", der ebenso familienfreundlich und ebenso weltweit vermarktbar sein soll. Voil?, hier ist er. Statt in die britische Artus-Sage taucht man diesmal in die (vorwiegend) griechische Mythologie ab, leiht sich dabei munter was beim Sandalenfernsehen der Marke
Die Hauptfigur also: Jason. Sein Name soll an den sagenhaften Argonauten-Chef erinnern, der später mal das Unglück haben wird, Medea zu heiraten. Davon aber ist hier keine Rede. Das Einzige, was man von ihm weiß, ist, dass er eigentlich im Heute lebt und dass sein Vater einst ebenfalls im Meer verschwand. Hauptdarsteller Jack Donnelly, ein bis dato eher unbeschriebenes Blatt, spielt Jason als kantenlose Projektionsfläche ohne besondere Eigenschaften, dafür oft hemdenlos, um seinen Adonis-Body bewundern zu lassen. Ein bisschen sieht er aus wie ein Hardrocker aus den Spätachtzigern.
Die erste Actionszene lässt genregemäß Melonen und Orangen rollen. Es ist bekanntlich ein ungeschriebenes Gesetz der Film- und Fernsehregisseure zwischen Hollywood und Babelsberg, dass Verfolgungsjagden immer durch einen Markt führen müssen, damit möglichst bald Obststände zerdeppert werden und Melonen und Orangen durch die Gegend rollen können. Sieht einfach gut aus. So auch hier: Jason jagt den Ordnungshütern des atlantischen Königs Minos (Alexander Siddig aus
Moment, wird jetzt jeder rufen, dem zwischen Westeros-Landkarten und Trekkie-Universen noch ein paar Bildungssedimente aus dem echten Leben geblieben sind: Pythagoras, Atlantis, Hercules, Minos? Wie passt das zusammen? An dieser Stelle könnten wir jetzt sehr lange darüber debattieren, wie hemmungslos in
Setzten wir diese Überlegungen fort, kämen wir an kein Ende und schössen vor allem auch am Ziel vorbei, schließlich sind Mythen nichts anderes als Storys, und Storys kann man drehen, wenden, ändern und ins Bockshorn jagen - weswegen wir wohlwollend akzeptieren, dass Jason, der Argonaut aus der Gegenwart, hier also im quasi-antiken Atlantis eintrifft, auf den A-Quadrat-plus-B-Quadrat-gleich-C-Quadrat-Tüftler und auf Hercules trifft, der hier jedoch kein eingeölter Muskelmann, sondern ein dicker, alternder Alkoholiker ist und von Mark Addy gespielt wird (Den kennt man als King Robert Baratheon aus "Game of Thrones" - auch der ist ein dicker, alternder Alkoholiker.). Wir können auch akzeptieren, dass sich das Serienpersonal im Jargon des 21. Jahrhunderts unterhält und dass der zwischen Ägypten, Persien und Provinztheaterfundus oszillierende Kleidungsstil ebenso zusammengewürfelt wirkt wie der orientalisch inspirierte Bombast-Soundtrack.
Kaum haben sich Jason, Pythagoras (Robert Emms) und Hercules gefunden, gehen die Abenteuer los. Pro Folge haben sie nun eine 'Mission' zu absolvieren: In der Pilotfolge gilt es, den mythischen Minotauros zu besiegen, zu dessen Besänftigung König Minos jährlich acht Bewohner Atlantis' als Menschenopfer auslost (dem griechischen Mythos zufolge mussten eigentlich die Athener ran). Jason übernimmt den Job heroisch an Stelle des eigentlich als 'Tribut' erkorenen Pythagoras (kleiner Gruß von den "Hunger Games"), und erledigt die Aufgabe hervorragend, da ihm Minos' Tochter Ariadne den legendären Ariadne-Faden ins Labyrinth mitgibt (was mythengemäß eigentlich Theseus zugute kam). Merkwürdigerweise bedarf es nur eines kurzen Hiebes, um den Stier zu erlegen, der sich im Anschluss in einen nackten, glatzköpfigen Alten verwandelt. In Folge zwei muss eine Jungfrau aus den Händen einer irren Frauensekte und ihrer gollum-gnomigen Satyrn befreit werden, wobei die Rituale der entfesselten Mänaden ein wenig an staatlich subventioniertes Tanztheater erinnern. Erstmals taucht dabei Medusa auf (gewöhnungsbedürftig: Jemima Rooper), die hier noch kein Schlangenhaupt trägt und dagegen als Hercules' Love Interest eingeführt wird. In der dritten Episode dann geht's ums bull leaping: Jason muss mit einem Gladiatoren-Team Stiere überspringen - mit kunstvollen Kung-Fu-Saltos. Spätestens, als das Trüppchen zu donnernden Fanfaren vor dem digital gerenderten Massenpublikum aufmarschiert, erwartet man, dass Monty Python ins Bild laufen und Otternasen verkaufen wird. In jeder Folge gibt es übrigens eine Szene, in der Mark Addy als comic relief beschwipst durch die Gegend tapst, wozu dann - wie in solchen Fällen üblich - die Soundtrack-Geiger pizzicato zupfen. Auch Witze über Hercules' Gewichtszustand werden dazu regelmäßig eingeflochten.
Über die Mission-of-the-Week-Dramaturgie hinaus sorgt kaum etwas für episodenübergreifende Spannung. Jasons Identitätsfrage ist da eine Ausnahme: Was ist die eigentliche Bestimmung des Zeitenwanderers? Zuständig ist da die wunderbare britische Kostümfilm- und Theaterschauspielerin Juliet Stevenson, die hier als Orakel mit aufgerissenen Augen in einer Pappmaché-Grotte herumsitzt und sich in Andeutungen ergeht: Besser sei es, er wisse die Antwort nicht. Zudem bahnt sich eine Intrige an: Minos' Frau Pasiphae (die "Merlin"-erprobte Sarah Parish), im Nebenberuf Voodoo-Hexe, hintertreibt die aufkeimende Liebe ihrer Tochter Ariadne (Aiysha Hart) zu Jason, ist das Mädchen doch dem schneidigen Adligen Heptarion versprochen, einem potenziellen Dauer-Gegner Jasons, den Oliver Walker jedoch so schmierig spielt wie einen Wiener Vorstadtstrizzi. Ariadne immerhin hat Potenzial. Erst darf sie Jason nur kokett anschmachten, dann aber darf sie die Bösartigkeiten ihrer Mutter parieren und so zum dringend erforderliches Korrektiv für die fragwürdige Figurenzeichnung der Macher avancieren: Frauen tauchen sonst nur als Furien auf. Oder als Orakel.
Was fängt man an mit einer Serie wie "Atlantis"? Langweilig ist sie nicht, aufregend aber erst recht nicht. Zumindest nicht für Menschen über zwölf. Die sonnendurchfluteten Sets (gedreht wurde in Wales und Marokko) sind beachtlich, die Spezialeffekte eher nicht: Sie bewegen sich auf "Merlin"-Niveau und können sich mit "Game of Thrones" und Co. nicht messen. Für echte Fantasy-Fans ist "Atlantis" ohnehin zu läppisch, zu albern, zu altmodisch - die Serie funktioniert allenfalls als gepflegte Kinderunterhaltung. Mit Melonen und Orangen, die über eine gemischte Mythenplatte rollen. Die Musik dazu? Im Zweifel: pizzicato.
Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten drei Folgen von "Atlantis".
Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: BBC
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