Auf dem Friedhof des Dorfes San Gusme in der Toskana erinnert ein schlichtes Denkmal daran: Am 4. Juli 1944 wurden von deutschen Soldaten der Division Hermann Göring neun Dorfbewohner, zumeist Frauen und kleine Kinder, erschossen. Im Dorf erzählt man ganz verschiedene Versionen der Geschichte. Vor allem die Schuldfrage hat den Ort gespalten. Haben die Partisanen, die kurz vorher deutsche Soldaten angegriffen hatten, auch Schuld auf sich geladen? Die Regisseure Ulrich Waller, Matteo Marsan und Dania Hohmann wagen 2014 unter dem Titel "Albicocche rosse - Blutige Aprikosen" den Versuch, mit den Mitteln des Theaters die damaligen Ereignisse zu rekonstruieren, italienisch-deutsche Geschichte gemeinsam zu spielen. Das Ensemble bestand aus über dreißig Laien aus dem Dorf und der Umgebung und 15 Schauspielern aus Italien und Deutschland. Der Film beschreibt die Recherche zu diesem Projekt mit Überlebenden des Massakers, dokumentiert die Entstehung dieses einmaligen "Theaters der Erinnerung" und versucht gleichzeitig mit Journalisten wie Christiane Kohl und Historikern wie Carlo Gentile und Claudio Biscarini das Ereignis einzuordnen. Im Sommer 1944 wurden in ganz Italien über 10.000 Zivilisten von Deutschen ermordet - ein bisher weitgehend nicht beachtetes, fast vergessenes Kapitel des letzten Krieges, das überlagert worden ist von den Bildern aus Stalingrad, der Landung in der Normandie oder den letzten Tagen in Berlin. Unterschiedliche Kulturen der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg werden sichtbar. Die Probenarbeit auf der Piazza Grande bricht die Mauer des Schweigens im Dorf San Gusme und führt zu Auseinandersetzungen mit und über die gemeinsame dunkle Vergangenheit - nicht nur unter den Bewohnern des Dorfes, auch unter den beteiligten italienischen und deutschen Schauspielern. Die Premiere am 70. Jahrestag des Massakers wird zu einem Stück Theater der Erinnerung, gegen das Schweigen über einen vergessenen Krieg.
(hr-fernsehen)
Länge: ca. 88 min.
Deutsche TV-Premiere: 24.05.2016 (NDR)
Cast & Crew
- Drehbuch: Eduard Erne, Ulrich Waller
- Musik: Hans-P. Ströer