Ein Jahr ist es her, dass die Briten für den "Brexit" gestimmt haben. Gleichsam über Nacht wurden damit 3,2 Millionen EU-Bürger, die in Großbritannien leben, zu unerwünschten Migranten, über deren Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis die Briten wieder selbst entscheiden wollen. Menschen, die bislang davon ausgingen, selbstverständlich in Großbritannien zu bleiben, leben seitdem in einer wachsenden Unsicherheit. Der Hauskauf, der Bildungsweg der Kinder, die Verlängerung des Arbeitsvertrages - alle Zukunftsplanungen sind plötzlich in Frage gestellt. Am 8. Juni will sich Regierungschefin Theresa May ihren harten Brexit-Kurs mit einer vorgezogenen Neuwahl bestätigen lassen. Seit dem Referendum gab es fremdenfeindliche Übergriffe, wurden Polen als Ungeziefer bezeichnet, hörten deutschstämmige Kinder auf dem Schulhof, sie müssten ja bald raus aus England. Deutsche mit britischem Ehepartner beantragen die britische Staatsbürgerschaft und erleben kleinteilige Schikanen. Deutsche Wissenschaftler lehnen - undenkbar noch vor einem Jahr - eine Professur an angesehenen britischen Universitäten ab, denn deren Wissenschaft wird einen Gutteil ihrer Forschungsgelder verlieren. Manche Kliniken fürchten, dass der Betrieb ohne das Pflegepersonal vom Kontinent nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Brigitte Vollmer, deutsche Ärztin am Klinikum in Southampton, denkt darüber nach, sich jenseits der Insel nach einer neuen Stelle umzusehen - sie ist als Europäerin gekommen und nicht als geduldete Migrantin. Polnische Pfleger trauen sich nicht mehr vor die Kamera aus Angst vor Repressionen in der Klinik, in der sie arbeiten. Barbara Höfling, Chorleiterin in London, erzählt von Chormitgliedern, die auf der Straße nicht mehr Deutsch mit ihren Kindern sprechen. Und Christiane Amers, in Southampton in der Erwachsenenbildung tätig, wird mit ihrem britischen Mann und drei Kindern Großbritannien verlassen. Farmerin Jessica Jeans in Cornwall dagegen hat für "Leave" gestimmt und hofft, dass sie auch ohne EU zurechtkommt - ohne polnische Erntehelfer und EU-Subventionen und mit Zöllen für den Import in die EU. "Die Story" beleuchtet das Spannungsfeld zwischen politischer Weichenstellung und einer tiefen Verunsicherung, die schon jetzt handfeste Konsequenzen nach sich zieht.
(WDR)
Länge: ca. 45 min.
Deutsche TV-Premiere: 07.06.2017 (WDR)
gezeigt bei: WDR Story (D, 2000)
Cast & Crew
- Drehbuch: Nina Koshofer, Judith Voelker