Folgeninhalt
Als William Turner 1819 zum ersten Mal nach Venedig kam, war er ein Mann von Mitte vierzig, ein erfolgreicher Maler, Lehrer an der Londoner Kunstakademie. Er kam, um nur kurz zu bleiben - einige Tage -, und machte Aquarellskizzen von Venedigs markanten Plätzen und Kirchen rund um San Marco und den Canal Grande. Eigentliches Ziel dieser ersten Italienreise des Malers war Rom, ein Muss für jeden europäischen Künstler, Höhepunkt der Bildungsreise in das Land des Lichts und der klassischen Form. Später, 1833 und 1840, reiste er nur Venedigs wegen nach Italien und verweilte jedesmal längere Zeit. Die Aquarelle und Zeichnungen, die bei diesen Aufenthalten entstanden, wurden immer ätherischer, immer impressionistischer, manchmal waren es nur noch abstrakte Wirbel aus Farbe und Licht. Diese Dynamik von Licht und Atmosphäre, die Turners gesamtes Werk durchzieht, zeigt sich bei seinen Bildern über Venedig, dieser im und auf dem Wasser gebauten Stadt, ganz besonders. Die Bewegung des Wassers, seine Spiegelungen und Lichtblitze kamen Turners Wahrnehmungsweise besonders entgegen. Für ihn war Malerei eine Erscheinungsform von Licht, Atmosphäre und Farbe. Die unendlichen Kombinationen von Masse und Licht, von Umriss und Durchblick, von Realem und im Wasser Gespiegeltem, die diese Stadt zwischen Wasser und Himmel bot, entzückten Turner. Auch die Polychromie Venedigs, die den Klassizisten als barbarisch, ungeordnet, orientalisch galt, wurde erst von romantischen Malern wie Turner gewürdigt. Kenner von Turners Werk behaupten, dass die Venedig-Erfahrung seine malerische Einbildungskraft erst richtig freigesetzt habe. Die Offenheit des Raumes, das schimmernde Licht, Masse und Einfachheit der Formen und die Farbigkeit hätten zu einer Klärung seines Stils und überhaupt erst zu den Licht- und Farbexperimenten beigetragen, die sein reifes Werk charakterisieren. "Der Welt größtes Aquarell" nannte der Dichter Joseph Brodsky Venedig. Da ist es nur folgerichtig, dass der Welt größter Aquarellmaler dieser Stadt ihre schönsten Bilder schuf.
(hr-fernsehen)
Länge: ca. 26 min.