Europolis

Ionut Tarasov steigt auf einen verlassenen Grenzturm. Von da aus kann er seine Heimatstadt Sulina sehen, das 400 Kilometer entfernte Bukarest und irgendwo, da drüben, meint er, San Francisco, USA, sehen zu können. Ionut ist 15 Jahre alt und lebt in Sulina, der letzten Stadt am Ufer der Donau, bevor diese ins Schwarze Meer mündet. Er lebt bei seinem Vater, der Säufer ist. Weil er selbst für sich sorgen muss, klaut er das, was auf den ausgeplünderten Schiffen der Donaudelta-
flotte noch zu holen ist: Kabel. Wenn er genug beisammen hat, verbrennt er die Kabel und verkauft das übriggebliebene Kupfer. Doch inzwischen hat der Laden dichtgemacht, und Ionut muss sich nach einer neuen Einkommensquelle umsehen.
Nicu ist 25 Jahre alt und Fischer. Zusammen mit seinem Freund sind sie ein Team. Wenn sie im Winter das Boot auf den zugefrorenen Kanälen zu ihren Netzen ziehen, bricht das Eis schon mal unter den Füßen ein. Sie wohnen in einer Betonkonstruktion, die scheinbar aus dem Himmel auf einen Deich gefallen ist, irgendwo im Niemandsland. Doch der Freund wird ihn bald verlassen, er hat Netze geklaut und wurde dabei erwischt. Nicu bleibt alleine zurück. Toni und Varvara sind um die fünfzig. Sie sind seit 30 Jahren miteinander verheiratet. Toni säuft viel und arbeitet wenig. Weil er seine Aufgaben vernachlässigt, muss Varvara immer öfter abends die Kühe heimholen. Um ihn wieder auf die rechte Bahn zu bringen, verabreicht sie ihm nach einem alten Ritual einen Zaubertrank.