In einem Wald bei Meßkirch in Oberschwaben geschehen seltsame Dinge. Menschen roden Wälder, beackern Felder und bauen Hütten. Was die rund drei Dutzend Männer und Frauen hier im Schilde führen, hört sich geradezu unglaublich an: Eine ganze Klosterstadt soll entstehen, mit allem, was dazugehört - mit Wohnhäusern, Werkstätten und Ställen. Zudem ein Krankenhaus, ein Friedhof und das eigentliche Klostergebäude, zu dem eine gewaltige, rund 70 Meter lange Abteikirche gehören und - nicht zu vergessen - drei Brauereien. Hinter diesem unglaublichen Vorhaben stecken weder verrückte Spinner noch Außerirdische. Nein, es sind vielmehr erfahrene Handwerkerinnen und Handwerker sowie namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich zum Ziel gesetzt haben, den berühmten Sankt Galler Klosterplan in die Wirklichkeit umsetzen. Gezeichnet wurde diese älteste noch erhaltene Architekturzeichnung des Abendlandes um 820 auf der Insel Reichenau: Kein Bauplan im eigentlichen Sinne, eher als Konzept gedacht, bietet er viele Anregungen. Höhenangaben fehlen allerdings und was sich außerdem nicht herauslesen lässt, ist die Art und Weise, wie man vor 1.200 Jahren gebaut hat. So stehen die Handwerker und Handwerkerinnen im Wald von Meßkirch immer wieder vor gewaltigen Herausforderungen. Wie schlägt man Steine aus dem Felsen, wie gewinnt man Eisen, wie hievt man tonnenschwere Balken auf Gerüste, wie gießt man eine Glocke? Fragen über Fragen. Da Antworten mangels Quellen oft fehlen, bleibt den Handwerkern nichts anderes übrig, als zu experimentieren. Die mittelalterliche Baustelle von Meßkirch ist eines der abenteuerlichsten Projekte der Gegenwart und alles andere als rückwärtsgewandt. Im Gegenteil: Wer ein solch gigantisches Projekt dezentral und ohne moderne Infrastruktur, ohne Verkehrswege und Maschinenpark, ohne elektrischen Strom und ohne Computermodelle verwirklichen will, muss ressourcenschonend, nachhaltig und ökologisch arbeiten. Dabei ist jeder Handwerker auf den anderen angewiesen. Es geht nur gemeinsam vorwärts, nur, wenn alle Hand in Hand arbeiten. Vor 300 Jahren gelang es der Wissenschaft mithilfe mathematischer und physikalischer Formeln, die Vorgänge in der Natur zu beschreiben. Heute, in einer Zeit, in der immer mehr Menschen vor Bildschirmen sitzend Algorithmen füttern, helfen diese Formeln nicht mehr weiter. Wer dagegen mit Axt und Säge einen Baum fällt und bearbeitet, lernt mehr über Physik und Mathematik als mit jeder e-learning-Software. Es ist die Wirklichkeit selbst, die es wieder zu begreifen gilt, weshalb inzwischen ganze Schulklassen auf dem Campus mithelfen. So ist diese Baustelle in Zeiten von Internet, Virtual Reality und Industrie 4.0 nicht nur ein archäologisch-sozial-menschliches, sondern auch ein pädagogisches Abenteuer. Campus Galli - das Zukunftslabor aus der Vergangenheit. Nach einer ersten Langzeitdoku von Reinhard Kungel über die Anfänge (2013-2015) ist dies nun der zweite Film über die Jahre 2016 bis 2018.
(SWR)
Länge: ca. 45 min.
Deutsche TV-Premiere: 11.06.2020 (SWR Fernsehen)
Cast & Crew
- Drehbuch: Reinhard Kungel