Familie Schulze lebt in einem Mietshaus irgendwo in (West-)Berlin 1960. Zu ihr gehören Vater Erwin, Mutter Dorette, ihr halbwüchsiger Sohn Männekin und Hund "Nauke". Eine kleine Familie, in der wie in allen Familien mal mehr, mal weniger Harmonie herrscht. Ein Diskussionspunkt ist immer wieder das liebe Geld. Bringt Erwin es zum Monatsende nach Hause, wird es von Dorette in einem stets wiederkehrenden Ritual genau eingeteilt für den nun kommenden Monat. Da gibt es natürlich das Taschengeld für Männekin, aber da sind auch die Kosten für Miete, Strom, Gas und Radio. Schulden beim Kaufmann müssen auch zurückgezahlt werden. Außerdem verteilt Dorette nach einem ausgeklügelten Kaffeetassen-System, dass nur sie versteht, Geld in eine Kohlentasse, eine Kleidertasse und eine Reisetasse. Am Ende sind von 469,50 Mark noch 229 Mark übrig. Die müssen reichen bis zum Monatsende. Ganz wichtig aber: Familie Schulze hat noch ein fünftes Mitglied: Das Portemonnaie, ein Werbegeschenk aus Rindsleder. Es ist eigentlich die Hauptperson, denn ihm wird schließlich das Budget für den ganzen Monat anvertraut. Und so nimmt das Portemonnaie das Publikum an die Hand und lässt es aus seiner Perspektive teilhaben an einem - mehr oder weniger - typisch-turbulenten Monat der Familie Schulze. "Ich, die Hauptperson. 30 Tage aus dem Leben eines Portemonnaies" ist überraschend aktuell, mit dem kleinen Unterschied, dass jetzt viele Menschen nicht mehr die Mark zweimal umdrehen müssen, sondern den Euro. Der vom Sender Freies Berlin produzierte Film ist aber vor allem ein filmisches Kabinettstück: Sei es der Vorlese-Abend, bei dem der Fortsetzungskrimi an der spannendsten Stelle abbricht. Sei es der Versuch von Erwin, einen stabilen Pflanzenständer zu bauen. Oder sei es die völlig aberwitzige Szene, in der Dorette versucht, Erwin endlich das Tassen-System begreiflich zu machen - das Vergnügen beim Publikum ist vorprogrammiert. Absolut sehenswert ist auch Männekin, der Junge trifft genau den echt berlinischen Ton. Grandios als Sprecher des Portemonnaies: Günther Lüders. Er kommentiert das Familiengeschehen auf urkomische Art trocken-ironisch-geistreich. Günter Pfitzmann und Wolfgang Gruner vervollkommnen mit ihren Kurz-Auftritten das Vergnügen. Die eindrucksvolle Wirkung des Films beruht einerseits auf dem Wortwitz, andererseits zeichnet sich die in Schwarzweiß gedrehte, heiter erzählte Geschichte durch eine außergewöhnliche Kameraführung aus. Die Perspektive des Portemonnaies als Ich-Erzähler wird in einigen Szenen bildlich umgesetzt. So wird der Zuschauer im Einkaufsnetz mit auf den Wochenmarkt genommen oder kann die amüsanten Gespräche der Familie Schulze von der Ablage des Küchenschranks aus beobachten. Am nächsten Samstag, 16.03., gibt es ein Wiedersehen mit Marijam Agischewa, Jürgen Heinrich und Walter Plathe in dem Fernsehfilm "Marta, Marta" (DDR 1979).
(rbb)
Länge: ca. 45 min.
Deutsche TV-Premiere: 16.09.1960 (ARD)
gezeigt bei: Viertel Neun (D, 2024)
Cast & Crew
- Regie: Dieter Finnern
- Drehbuch: Detlef Müller
- Produktionsfirma: SFB
- Musik: Olaf Bienert
- Kamera: Werner M. Lenz