Im Norden Berlins liegt versteckt in einem Wohngebiet, umgeben von Mauern, ein Urwald aus Bäumen, Rhododendron und Efeu. Zwischen dem wuchernden Grün stehen Tausende Steine - große und kleine, prächtige und verfallene, namenlose und solche mit unentzifferbaren Inschriften. Es ist der Friedhof der Jüdischen Gemeinde von Berlin. Der Jüdische Friedhof Berlin Weißensee gleicht einem Märchenwald und einem Dschungel inmitten der deutschen Hauptstadt. Und er liest sich wie ein Geschichtsbuch. Lang ist die Liste berühmter Künstler, Philosophen, Juristen, Architekten, Ärzte, Religionslehrer und Verleger, die dort beerdigt sind. Der Kaufhausgründer Hermann Tietz gehört dazu, der Maler Lesser Ury, der Hotelier Kempinski, der Verleger Samuel Fischer und Rudolf Mosse, dem einst das größte Verlagshaus Europas gehörte. Dass die ältesten Grabsteine noch stehen, liegt daran, dass ein jüdischer Friedhof für die Ewigkeit angelegt wird. Die Gräber werden nicht eingeebnet. Über 115.000 Menschen sind auf dem Friedhof in Weißensee bestattet. Und dennoch ist er ein höchst lebendiger Ort. Auf dem riesigen Gelände suchen argentinische Großfamilien nach dem Grab eines ihrer Vorfahren. Restauratoren bemalen Gräber mit funkelnden Davidsternen, während der schmächtige Herr in der Friedhofsregistratur einer Busladung Exilanten die Unterlagen zu den Gräbern ihrer Angehörigen aushändigt. Ein Greifvogelexperte zählt den Nachwuchs der hier lebenden Habichte. Und ein 80-Jähriger berichtet, dass er sich an diesem Ort in seine Mitschülerin verliebte - damals vor langer Zeit beim Sportunterricht im Feld A8 - genau an der Stelle, an der sich heute die bunten Gräber der neuen Russen befinden. Der größte jüdische Friedhof Europas, auf dem noch immer bestattet wird, ist inzwischen 130 Jahre alt. Am erstaunlichsten ist, dass weder der Friedhof noch sein Archiv je zerstört worden sind. In Weißensee spielten jüdische Kinder, als es auf den deutschen Straßen zu gefährlich für sie wurde. Einzelne Juden versteckten sich für ein paar Nächte in frisch ausgehobenen Grüften oder dem Kapitell eines Grabmals vor ihren Verfolgern. Nach dem Krieg war es der kleinen Ost-Berliner Gemeinde nicht möglich, den sich ausbreitenden Urwald in Weißensee zu beherrschen. Erst seit der deutschen Einheit versuchen die Mitarbeiter des Friedhofs, Stück für Stück die einzelnen Felder des Friedhofes zurückzuerobern. So ist der Jüdische Friedhof Weißensee ein Paradies für Geschichten-Sammler.
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Länge: ca. 90 min.
Deutscher Kinostart: 07.04.2011
Deutsche TV-Premiere: 12.12.2012 (arte)
Cast & Crew
- Regie: Britta Wauer
- Drehbuch: Britta Wauer
- Produktion: Britta Wauer
- Musik: Karim Sebastian Elias
- Kamera: Kaspar Köpke
- Schnitt: Berthold Baule