Orson Welles (1915-1985) gilt als einer der prägendsten Protagonisten des Kinos: als Regisseur, Autor und Schauspieler ein Multitalent, zugleich Enfant terrible der Filmgeschichte. Seit mehr als 60 Jahren wird sein Regiedebüt "Citizen Kane" von Regisseuren und Kritikern regelmäßig unter die Top-Drei der besten Filme aller Zeiten gewählt. Viele seiner späteren Werke jedoch blieben Fragmente. Am 6. Mai 2015 wäre Orson Welles 100 Jahre alt geworden. Der Dokumentarfilm würdigt den Künstler. Für die meisten Filmkenner endete Orson Welles' Karriere 1973 mit dem Film "F wie Fälschung", der als letztes seiner Werke den Weg ins Kino fand. Nur wenige wissen von dem 1978 für das Fernsehen gedrehten "Filming Othello". Welles' offizielles Oeuvre umfasst lediglich zwölf Filme, darunter allerdings etliche Meilensteine der Filmgeschichte. Sein Debütfilm "Citizen Kane" (1941), gedreht mit 26 Jahren, wurde zum besten Film des Jahrhunderts gekürt. Danach folgen mit "Der Glanz des Hauses Amberson" (1942), "Die Lady von Shanghai" (1947), "Othello" (1952) und "Im Zeichen des Bösen" (1958) weitere Schlüsselfilme der Kinogeschichte. Aber in Hollywood gilt das "Wunderkind" als unkontrollierbar, zu anspruchsvoll und rebellisch. Um seine Arbeit auf seine Weise fortzusetzen, geht Welles nach Europa. Dort realisiert er bereits in den 1950er-Jahren seine Projekte - allein und unabhängig von Produzenten. Die Traumgagen, die er als Schauspieler bekommt, fließen direkt in seine eigenen Regiearbeiten, das "System Welles" ist geboren. Jahrelang dreht er seine Filme dort, wohin ihn seine Engagements als Schauspieler verschlagen. Manche Projekte - wie sein nie vollendeter "Don Quixote" - reisen mehr als 30 Jahre lang in seinem Gepäck mit. Die eigene Kamera und ein tragbarer Schneidetisch sind seine permanenten Begleiter. Der Dokumentarfilm "Orson Welles - The One-Man Band" präsentiert einen Einblick in Welles' unvollendete Projekte und in die im Nachlass gefundenen Fragmente dieser Werke. Zu sehen sind Ausschnitte aus zuvor unveröffentlichten Kurz- und Langfilmen - von surreal-abstrakten Kurzfilmen, die bisweilen an Monty Python erinnern, über experimentelle Avantgardefilme und ganze Sequenzen aus Spielfilmen. Klug und einfühlsam montiert ist der Film ein faszinierendes Porträt des späten Welles und zugleich ein filmhistorisch kostbares Dokument. Erstmals gestattete Oja Kodar, Welles' Lebensgefährtin in seinen letzten Jahren, 1994 einem Filmteam Zugang zum Nachlass der Kino-Legende. In seinen letzten Schaffensjahren war der Regisseur und Schauspieler fast nur noch in Gastrollen verschiedener Filme zu sehen, doch nie verstummte das Gerücht, er arbeite an neuen, sensationellen Regieprojekten. Die mangelnde Kenntnis dieses Abschnittes seines Schaffens nährte bislang bei vielen die Frage: War Orson Welles am Ende ein ausgebranntes Genie, nur noch ein Denkmal seiner selbst? Erst dieser Tage (2014) kursiert wieder das Gerücht, sein angeblich letztes Meisterwerk "The Other Side of the Wind" sei endlich posthum vor der Fertigstellung. Der Dokumentarfilm "Orson Welles - The One-Man Band" ist eine Entdeckungsreise in das Werk einer der ungewöhnlichsten und facettenreichsten Persönlichkeiten der Filmgeschichte. Regisseur Vassili Silovic blickt zusammen mit Oja Kodar hinter das Klischee vom düsteren Megalomanen und entdeckt den Menschen Welles: verletzlich, manchmal einsam, doch immer von unerschütterlichem Optimismus. Der Titel ihres Films "The One-Man Band" ist eine Referenz an Welles' geplante filmische Autobiografie: Wie ein Ein-Mann-Orchester, sagt Welles, empfand er sich bei den Versuchen, fast alle Funktionen der Filmarbeit zu erfüllen: Autor, Regisseur, Kameramann, Schauspieler und vieles mehr - er war ein Multitalent.
(BR Fernsehen)
Cast & Crew
- Regie: Vassili Silovic
- Drehbuch: Vassili Silovic, Roland Zag
- Produktion: Medias Res, Méditeranée, BoA, Pit Riethmüller
- Musik: Simon Cloquet
- Kamera: Thomas Mauch
- Schnitt: Marie-Josèphe Yoyotte