Deutsche TV-Premiere: 11.12.2007 (3sat)
Im Rahmen des renommierten Stadtschreiber-Preises, der seit 1985 vom ZDF, der Stadt Mainz und 3sat vergeben wird, wechselt der Bestseller-Autor Ilija Trojanow ("Der Weltensammler") und diesjährige Preisträger für einige Zeit seine Profession: Aus dem Schriftsteller wird ein Filmemacher, der zusammen mit dem ZDF eine Dokumentation nach eigener Themenwahl produziert. Ilija Trojanow wurde 1965 in Sofia geboren. Seine Eltern flohen nach Italien, als er sieben war. Später ging die Familie über Deutschland nach Kenia, wo Trojanow den größten Teil seiner Kindheit verbracht hat. Gerade ist er von Kapstadt nach Wien gezogen. Diesen Sommer kehrte Ilija Trojanow in seine Heimat zurück und suchte das Gespräch mit politischen Gefangenen und Zeitzeugen, die auf Jahre und Jahrzehnte in den Gefängnissen und Lagern des Landes verschwanden. Bulgarien, im Südosten Europas, führte jahrzehntelang ein Schattendasein im europäischen Länderkanon. Während der Sowjet-Ära galt es als linientreuester Satellitenstaat Moskaus. Ilija Trojanow begleitet jetzt ehemals politische Häftlinge an die Orte des Schreckens und dokumentiert, wo und wie sie misshandelt wurden. Belene, eine Insel in der Donau an der Grenze zu Rumänien, war viele Jahrzehnte Lager und grausamer Ort der Folter. Tausende von Menschen ließen dort ihr Leben. Die Gefängnisse in Sofia und Pazardzik galten als die schlimmsten in Bulgarien. Trojanow ist es gelungen, an diesen Orten zu drehen und lässt Opfer Zeugnis ablegen über eine Zeit der Unmenschlichkeit. "Jetzt kann ich beruhigt sterben," sagt der bulgarische Historiker Stojan T. nach dem Dreh mit Ilija Trojanow. Er hat über die Gewaltverbrechen während der kommunistischen Ära gesprochen. Ein Thema, das in der bulgarischen Öffentlichkeit nach wie vor ein Tabu ist. Als Schüler hatte er beobachtet, wie in seiner zentralbulgarischen Heimatstadt Lovec in einem Steinbruch politische Häftlinge misshandelt und getötet wurden. Alles passierte vor den Augen der Bevölkerung, von ihr gleichsam geduldet und ignoriert. Der 83-jährige Stefan Walkow war 21 Jahre als politischer Gefangener inhaftiert. Er spricht mit Trojanow über die menschenverachtenden Zustände im Gefängnis in den Jahren des Kalten Krieges. Der diesjährige Mainzer Stadtschreiber versucht auch, ein Stück Familiengeschichte aufzuarbeiten: Sein Onkel hatte als junger Mann in den 1950er Jahren gegen die Gewaltherrschaft Stalins opponiert und kam ins Gefängnis. Heute gibt er nicht auf, dafür Wiedergutmachung vom bulgarischen Staat zu fordern und sich damit den Verbrechen der Vergangenheit zu stellen.
(3sat)