Trotz aller aktuellen gesellschaftspolitischen Herausforderungen zählt Wien heute zu den lebenswertesten und saubersten Metropolen der Welt. Doch die Stadt hat auch schon räudigere und ungebändigtere Zeiten erlebt, als sie noch das Wilde Wien der 1960er und 1970er Jahr war. Im Film erzählt Alexandra Venier u. a. vom Aufbegehren der Künstler:innen gegen das Nazi-Erbe der Stadt, das in der berühmten "Uni-Ferkelei" mündete; von veritablen Bandenkriegen im Unterweltmilieu, von Rotlicht-Rivalitäten und dem berühmten Herren- Club 45 oder ähnlichen Etablissements, in denen Politiker – damals ausschließlich männliche – von der Presse völlig unbehelligt nicht nur reden konnten. Zu Wort kommen André Heller, Teddy Podgorski, Peter Weibel, die Journalistinnen Anneliese Rohrer und Margit Haas sowie Nachtgastronom Anton Österreicher und der einstige Rotlicht- Zampano Freddy Rabak. "Wien hat etwas Unheimliches an sich", konstatiert Teddy Podgorski in der Doku. Heute aber wohl längst nicht mehr so sehr wie in jenen Jahren, in denen es in der Stadt "wie in einer alten Speis' roch" – wie André Heller die Zeit olfaktorisch einzuordnen weiß. Schmutziggrau war die dominierende Farbgebung der auslaufenden 1950er und frühen 1960er Jahre, kontrastiert durch das Rotlicht, in das die Nächte getaucht waren. Und die konnten es durchaus in sich haben – was daran liegt, dass der Wiener ein durchaus empfindsames Gemüt hat. Ein falsches Wort konnte im entsprechenden Milieu schon genügen, mit einem Bauchstich gemaßregelt zu werden. Anton Österreicher, Betreiber diverser Lokalitäten, weiß das am besten, handelte er sich doch einst gar einen Kopfschuss ein. Zu Silvester 1968 kulminierte ein Bandenkrieg rivalisierender Unterweltbosse, der zahlreiche Tote forderte. 1968 war auch die Zeit der Studentenrevolte, die sich Teddy Podgorski ganz besonders an sein Banner heften kann. Die im Vorjahr verstorbene Reporterlegende musste seinerzeit studentisches Aufbegehren und teures Filmmaterial in Einklang bringen. So suchte er sich im Audimax seine Protagonistinnen und Protagonisten, verköstigte sie vorab mit Schnitzeln und Bier, stattete sie mit Tomaten und Eiern aus und gab dann den Marschbefehl für die Kamera. Bis er Stopp rief, um die Filmrolle zu wechseln.
(ORF)
Weiterer Titel: Wiener Dreck - die 60er & 70er-Jahre
Länge: ca. 55 min.
Deutsche TV-Premiere: 26.06.2023 (3sat)
Cast & Crew
- Regie: Alexandra Venier
- Drehbuch: Alexandra Venier
- Produktion: Peter Schellnast, Gasoline Film Production
- Produktionsfirma: ORF
- Kamera: Jo Molitoris
- Schnitt: Antonia Adelsberger