In seinem Film "Winterkinder - Die schweigende Generation" dokumentiert Regisseur und Grimme-Preisträger Jens Schanze die Aufarbeitung der lange verdrängten NS-Vergangenheit der eigenen Familie aus Sicht der Enkelgeneration. Fast die Hälfte aller Deutschen glaubt, dass die eigenen Angehörigen dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstanden. Das ergab eine Emnid-Umfrage aus dem Jahr 2002. War Großvater ein Nazi? Diese Frage stellt der Regisseur Jens Schanze seiner Mutter. Nach jahrzehntelangem Schweigen tauchen in der Familie plötzlich Informationen über den Großvater auf, die nicht zu dem liebevollen Bild passen wollen, das die Mutter in ihren Erzählungen immer vermittelt hat. Jens Schanze und seine vier älteren Schwestern haben den Großvater, der 1954 verstarb, nie kennengelernt. Als die Mutter sich entschließt, die kritische Beschäftigung mit ihrem Vater zuzulassen, wird offenbar, dass dicht unter der Oberfläche der täglichen Normalität seit über 50 Jahren ein bisher unbearbeitetes Trauma schlummert. In seinem Film erforscht Jens Schanze das Familiengedächtnis seiner Eltern und Geschwister aus Sicht der Enkelgeneration. Alle Beteiligten durchleben eine aufwühlende und höchst emotionale Reise. Im Zentrum des Films steht die 70-jährige Mutter, die sich im Verlauf der Dreharbeiten ihren Erinnerungen stellt. Der Sohn reist mit ihr, seinem Vater und dem Filmteam ins niederschlesische Neurode, das heutige polnische Nowa Ruda, wo sie bis 1945 aufgewachsen war. Der Großvater, bis zuletzt ein überzeugter Nazi-Funktionär, war dort als Bergbauingenieur in leitender Stellung tätig. Jens Schanze begleitet diese Reise und den familiären Erinnerungsprozess behutsam mit der Kamera, ohne in der Position des reinen Beobachters zu bleiben. Es gelingt ihm, auf intime und unspektakuläre Weise aufzuzeigen, dass Verdrängtes und Verschwiegenes von Generation zu Generation weitergeben wird und so lange nachwirkt, bis eine bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit erfolgt. "Winterkinder - Die schweigende Generation", der 2005 auf dem Internationalen Dokumentarfilmfestival München uraufgeführt wurde, erhielt von der Filmbewertungsstelle das Prädikat "besonders wertvoll" und wurde auf dem Festival du Film Belfort mit dem Grand Prix 2005 und auf dem One World International Human Rights Film Festival 2006 in Prag mit dem Best Director Award ausgezeichnet.
(ZDF)
Länge: ca. 95 min.
Deutscher Kinostart: 03.11.2005
Cast & Crew
- Regie: Jens Schanze
- Drehbuch: Jens Schanze
- Produktion: Jens Schanze Filmprod., BR, ZDF-3sat
- Musik: Erik Satie
- Kamera: Börres Weiffenbach
- Schnitt: Jens Schanze