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Der 23. Juli 1984 ist ein heißer Sommertag. An diesem Sonntag gerät hinter der weißen Fassade einer Villa im schicken Berliner Westend die Welt zweier Menschen aus den Fugen. In den Abendstunden fällt ein Schuss. Und am nächsten Morgen wird Bubi Scholz verhaftet, das frühere Box-Idol, der einstige Liebling der Berliner Gesellschaft. Seine Frau Helga liegt tot in der kleinen Gästetoilette. Bubi Scholz soll sie in der Nacht erschossen haben. Die Menschen sind fassungslos. Die zwei galten immer als Traumpaar, haben sich jung kennengelernt, sie hat ihn immer unterstützt, war bei jedem Karriereschritt an seiner Seite. Undenkbar, dass er seine geliebte Helga erschossen haben soll. Anfang der 50er Jahre hatte er, der Arbeiterjunge, sich von Sieg zu Sieg geboxt, war zum Inbegriff des Wiederaufstiegs nach dem Krieg geworden. Hatte sich nach einer schweren Tuberkulose mit eisernem Willen wieder hochgekämpft - immer unterstützt von seiner Helga: klug, schlagfertig, aus gutem Hause, die Frau seines Lebens. Er wurde Deutscher Meister, dann Europameister. Man fuhr schicke Autos, Helga trug Pelz, ein Glamourpaar. 1962 wollte er Weltmeister im Halbschwergewicht werden, die gesamte Berliner Prominenz verfolgte den Kampf - und erlebte Bubis Niederlage. Drei Jahre später gab er das Boxen auf - aber der "Scholz-Effekt", wie er es nannte, wirkte noch ein paar Jahre weiter. Doch hinter der Fassade sah es anders aus. An diesem Sonntag hatten beide, wie so oft, getrunken, gegammelt, gestritten - bis Helga sich in der Toilette einriegelt. Er will sie da rausholen, holt ein Gewehr, das er mal geschenkt bekommen hat, setzt es zusammen, schießt durch die Tür. Dann trinkt er weiter, legt sich schlafen, wacht früh um vier Uhr auf, sucht seine Frau. Beim Versuch, die Toilettentür aufzubrechen, zertrümmert er das Gewehr. So finden ihn die Mieterinnen im Hause, die, vom Lärm geweckt, hinunter gehen. Als sie die Tür endlich aufgebrochen haben, liegt Helga tot am Boden. Bubi schaut nicht hin - "Ich wollte Helga da doch nur rausholen!", sagt er immer wieder, als er verhaftet wird. Wie konnte es so weit kommen? Die Dokumentation von Rüdiger Liedtke zeigt einen dramatischen Abstieg, der sich, unbemerkt von der Öffentlichkeit, über die Jahre hinweg vollzogen hatte. Je mehr der Ruhm verblasste, desto leerer war ihr Leben geworden. Bubi und Helga fielen sich immer mehr auf die Nerven. Zuhause, wenn sie allein waren, ließen sie sich gehen. Sie tranken, stritten, hatten sich nichts mehr zu sagen. Helga wurde immer bitterer, er zunehmend depressiv. Er litt an Schlafstörungen, geisterte nachts durchs Haus. Sie schloss sich häufig in der Gästetoilette ein, vor allem, wenn es Streit gegeben hatte. Er zog sich in den Keller zurück und schaute alte Filme an - Aufzeichnungen der Kämpfe seiner großen Zeit. 1980 veröffentlichte er seine Memoiren "Der Weg aus dem Nichts", fühlte sich für einen kurzen Augenblick wieder wie der Star von einst. Doch Helga lästerte: "Das nächste Buch schreibe ich und das heißt: Mein Leben mit dem Nichts." Dem einstigen Box-Ästheten, dem Perfektionisten im Ring, der seine Auftritte stets genau kalkulierte, war sein Leben längst entglitten. Die Leere wurde immer quälender - bis all die Demütigungen und Kränkungen in einem tödlichen Schuss endeten, von dem er selbst nicht glauben wollte, dass er ihn abgefeuert hat.
(SWR)