Mit kaum einem anderen deutschen Truppenverband des Zweiten Weltkriegs verbinden sich so viele Mythen und Legenden wie mit der 6. Armee - vor allem seit ihrer verheerenden Niederlage in Stalingrad. Als eine Armee, die sich heldenhaft für Volk und Vaterland opfert, wurde sie bereits unmittelbar nach der Kapitulation von den Nationalsozialisten stilisiert. Nach dem Krieg wurde sie zum Inbegriff einer von ihren Führern verratenen, sinnlos geopferten Armee. Dieses Bild vom "Opfer", das bis heute überdauert hat, überdeckt aber nicht nur die dunklen Seiten dieser Armee, sondern es zeigt auch nur einen Ausschnitt aus dem "Leben" der 6. Armee, das nicht erst in Stalingrad beginnt und auch nicht dort endet. Die Dokumentation von Heinrich Billstein skizziert das gesamte Bild. Sie zeichnet den Weg der 6. Armee vom Beginn des Ostfeldzuges im Juni 1941 an nach. Als Teil der Heeresgruppe Süd hatte sie die Aufgabe, auf ihrem Vormarsch große Städte wie Kiew und Charkow zu erobern und zu besetzen. Damit war schon vorgezeichnet, dass sie mit Verbrechen an der Zivilbevölkerung, vor allem an Juden, in enge Berührung kommen würden. Große Massaker, wie das von Babij Jar, geschahen in ihrem Zuständigkeitsbereich und mit ihrer logistischen Unterstützung, und auch die Aushungerungspolitik gegenüber der Bevölkerung von Charkow wurde unter ihrer Hoheit durchgeführt. So galt die 6. Armee nicht nur durch militärische Siege, sondern auch in ihrem Besatzungshandeln nach nationalsozialistischen Maßstäben als außergewöhnlich erfolgreiche Armee, mit allem Schrecken, den das für die Zivilbevölkerung bedeutete. Und gleichzeitig war sie in ihrem Charakter exemplarisch. Der Historiker Dieter Pohl urteilt, sie sei - auch in der Anfangsphase unter dem streng nationalsozialistisch handelnden und befehlenden Generalfeldmarschall von Reichenau - "eine Armee wie andere auch innerhalb des Krieges gegen die Sowjetunion" gewesen. "Wenn eine andere Armee durchmarschiert wäre mit einem anderen Oberbefehlshaber, wären wahrscheinlich auch nicht weniger Menschen umgebracht worden." In Erinnerungen von ehemaligen Stalingrad-Kämpfern und von ukrainischen und russischen Zivilisten wird das Bild der 6. Armee als beispielhafte deutsche Truppe noch einmal lebendig.
(WDR)
Weiterer Titel: Der Weg nach Stalingrad
Länge: ca. 75 min.
Deutsche TV-Premiere: 03.04.2015 (WDR)
Cast & Crew
- Regie: Heinrich Billstein
- Drehbuch: Heinrich Billstein
- Musik: Michael Klaukien
- Kamera: Marek Klodnicki