Originalpremiere: 2007
11.10.2007
Deutsche TV-Premiere: 28.02.2010 (Das Erste)
FSK 6
Knapp 50 Millionen US-Amerikaner haben im Jahr 2007 keine Krankenversicherung. Das Schicksal dieser Gruppe von Unterprivilegierten interessiert Michael Moore in seinem Dokumentarfilm aber nur am Rande. Auf seine unnachahmliche Weise zeigt das Enfant terrible auf, dass jene 250 Millionen US-Bürger mit Krankenversicherung nicht unbedingt besser dran sind. Traurige Beispiele belegen, wie hart arbeitende Menschen von Versicherungskonzernen in den Ruin getrieben werden. Lebensnotwendige Behandlungen sind entweder unerschwinglich oder werden unter hanebüchenen Vorwänden ganz verweigert. Mit Zahlen, Fakten und Grafiken belegt Moore indes, wie Ärzte umso mehr Bonuszahlungen erhalten, je weniger Behandlungskosten sie verursachen. Erschütternde Konsequenz dieses inhumanen Systems ist, dass Menschen - wie ein gruseliges Überwachungsvideo zeigt - aus dem Krankenhaus entlassen werden und wie Müll am Straßenrand landen. Unterdessen wirft Moore Streiflichter auf das Gesundheitssystem in Kanada und in Westeuropa, das er mit grimmigem Spott als eine Insel der Vollkasko-Seligen darstellt. Als Kronzeugen lässt er Amerikaner in Paris von den Segnungen des Wohlfahrtsstaates schwärmen. Hochkomisch wird es schließlich, wenn der Provokateur gefährlichere Grenzen überschreitet und mit seiner berüchtigten Guerillataktik ein surreal anmutendes Husarenstück vollführt: Mit drei gecharterten Kuttern voller Kranker landet der Filmemacher auf Kuba. Beim Klassenfeind werden die mittellosen Patienten - darunter freiwillige Feuerwehrmänner, die sich durch ihren Einsatz am "Ground Zero" die Gesundheit ruinierten - von den Ärzten des öffentlichen Gesundheitssystems kostenlos versorgt. Und wenn die Besucher dann zu weinen beginnen und eine kleine Verbrüderung kubanischer und amerikanischer Feuerwehrleute stattfindet, erreicht der Affront seinen Höhepunkt. Während man hierzulande gewohnt ist, die vermeintliche Ineffizienz des Systems durch mehr Wettbewerb auf Trab zu bringen, führt "Sicko" eindrucksvoll vor Augen, wie grausam die Alternative zu einer staatlich geregelten Gesundheitsversorgung tatsächlich sein kann. Michael Moores polemische Diagnose des US-Gesundheitswesens ist unterhaltsam und regt zum Nachdenken an. Nach "Bowling for Columbine" und "Fahrenheit 9/11" inszenierte der Oscar-Preisträger seinen bisher verdienstvollsten Film. Auch formal erweist er sich hier als ausgereifter Regisseur und destilliert mit einfallsreicher Montage, Musik und perfektem Timing aus 500 Stunden Material zwei satirische und sehr hintergründige Stunden, in denen man lacht, bis es schmerzt.
(ARD)