Was läuft falsch bei "Big Brother"?

Am vergangenen Dienstag ist  "Big Brother", die Mutter aller Realityshows, nach vierjähriger Pause auf dem neuen Sender sixx zurückgekehrt. Innerhalb von wenigen Tagen sind die Einschaltquoten allerdings beängstigend stark eingebrochen. Von den anfangs noch neugierigen 770.000 Zuschauern der Eröffnungsshow sind am Freitag und Samstag nur noch 250.000 bzw. 290.000 übrig geblieben und auch der Marktanteil in der jungen Zielgruppe ist mit 1,2 Prozent schon unterhalb des Senderschnitts gerutscht. Gerade angesichts des vorherigen Erfolgs der Late-Night-Show während  "Promi Big Brother" dürften bei sixx allmählich die Alarmglocken schrillen. Doch wie ist dieser rapide Quotenabfall zu erklären?

1. Falsche Versprechungen bezüglich der Kandidatenauswahl
Betrachtet man die 13 ausgewählten Kandidaten, die am Dienstag in das Haus eingezogen sind, stellt man fest, dass fast alle einem bestimmten Schema entsprechen: jung, durchtrainiert, tätowiert, gepierct, teilweise operiert und vor allem mediengeil. Die meisten haben bereits in irgendeiner Form das Licht der Öffentlichkeit gesucht, sei es über Videos im Internet oder kleinere Auftritte in TV-Produktionen. Inzwischen haben einige von ihnen auch erzählt, dass sie sich gar nicht aus Eigeninitiative für "Big Brother" beworben haben, sondern von der Produktionsfirma Endemol angeschrieben wurden, da sie sich bereits in irgendeiner Castingdatenbank befanden. Dies spricht zusätzlich dafür, dass sie hauptsächlich an der Sendung teilnehmen, um selbst bekannter zu werden, und nicht etwa, weil sie die Erfahrung des Experiments "Big Brother" gereizt hat.

Diese Tatsache allein ist nicht unbedingt schlimm, denn schon in den vergangenen Staffeln waren viele Bewohner dabei, die sich einen gewissen C-Promi-Status erarbeitet hatten - man erinnere sich nur an Annina Ucatis, Cosimo, Ingrid Pavic, Lisa Bund, Flying Uwe, Tim Toupet, Micaela Schäfer, Valencia Vintage und natürlich Kader Loth. Die meisten haben sich auch als unterhaltsam entpuppt. Problematisch an der ganzen Angelegenheit ist, dass seitens sixx im Vorfeld andere Sachen versprochen wurden, die dann überhaupt nicht eingehalten wurden. Moderator Jochen Bendel schwärmte von normalen Kandidaten "wie du und ich", man wollte wieder "back to the roots" gehen und es sollte sich wieder wie das "Big Brother" der Anfangszeit anfühlen.

Als dann die ersten Bewohner vor Staffelstart bekannt gegeben wurden, ernteten die Macher den selbstverschuldeten Shitstorm. Die Enttäuschung über die Kandidatenauswahl vergrößerte sich entsprechend, nachdem alle Bewohner in der Eröffnungsshow vorgestellt wurden - nahezu ein Drittel verabschiedete sich daraufhin schon am nächsten Tag als Zuschauer. Es mangelt an Identifikationsfiguren und Sympathieträgern. Die Bewohner sind allesamt zwischen 20 und 40 Jahre alt und sind sich optisch zu ähnlich - es scheint so, als habe man für die Zusammenstellung lediglich die örtlichen Fitnessstudios und Schönheitssalons abgegrast. Erfreulicherweise haben die Kandidaten in der ersten Woche durchaus schon ihr Konflikt- und Unterhaltungspotential unter Beweis gestellt - von einem breiten Querschnitt der Gesellschaft kann man bei dieser Auswahl allerdings nicht sprechen. Selbst wenn sich die Macher nun entschließen sollten, nachträglich Bewohner anderer Couleur einziehen zu lassen, wird es schwierig, die bereits vergraulten Zuschauer wieder zurück zu gewinnen.

2. Mangelhafte Tageszusammenfassung und konzeptionelle Schwächen
Neben der Bewohnerauswahl ist auch der Aufbau und die Form der Tageszusammenfassung problematisch. Zum einen werden die Ereignisse im Haus teilweise nicht chronologisch abgebildet, zum anderen greifen die Macher viel zu stark in die Nachbearbeitung des Originalmaterials ein. Kaum eine Szene wird noch originalgetreu gezeigt, sondern penetrant mit aufdringlicher Hintergrundmusik, Slow-Motions (bei pseudo-erotischen Momenten), einfrierenden Bildern (bei Schock-Momenten) und sonstigen Effekten versehen. Hinzu kommen die oft infantilen Kommentare des Off-Sprechers, die den Anschein erwecken, als würde man die Zuschauer für besonders begriffsstutzig halten. Diese ausgeprägte Form von redaktioneller Aufarbeitung ist anderen Formaten wie etwa  "Bauer sucht Frau" oder  "Das perfekte Dinner" geschuldet und nahm leider auch bei "Big Brother" immer mehr zu - wohlgemerkt nur hierzulande. Ein behutsamerer Umgang mit dem Originalmaterial und eine authentischere Wiedergabe in der Tageszusammenfassung wäre mehr als wünschenswert.

Es bleibt auch abzuwarten, was sich die Macher noch für den weiteren Verlauf der Staffel an Beschäftigungen für die Bewohner überlegt haben. Es ist ein Glücksfall, dass die erste Wochenaufgabe dank Querulant Hans-Christian bereits für ordentlich Zündstoff gesorgt hat. Insgesamt entsteht allerdings der Eindruck, als würde man sich zu sehr auf das Potential der egosüchtigen Bewohner selbst verlassen und sich mit Input zurückhalten. Ob sich "Big Brother" noch anspruchsvollere Matches und Finessen überlegt hat oder es doch eher bei Kindergartenspielchen wie "Lippen lesen" bleibt, wird sich noch zeigen.

3. Ungewohnte Sendezeit und teurer Livekanal
Eventuell hat sich sixx auch bezüglich der Sendezeit verkalkuliert. Gerade bei einem Cast, der doch stark an die Besetzung von  "Berlin - Tag & Nacht" erinnert, ist 22.10 Uhr für junge Zuschauer, die sich vielleicht für solche Gestalten begeistern können, zu spät. Die vielen Zuschauer älteren Semesters, über die das Format "Big Brother" traditionell besitzt, werden wiederum von der Bewohnerauswahl nicht angesprochen und sehnen sich nach Kandidaten, mit denen auch sie sich identifizieren können.

Verglichen mit früheren Staffeln hält sich auch die sonst so diskussionsfreudige "Big Brother"-Community im Internet aufallend zurück - die Realityshow scheint derzeit nur eine Randerscheinung zu sein und das hängt nicht nur mit dem kleinen Sender sixx zusammen. Viele Fans haben sich gegen ein Abonnement des Livekanals von Sky entschieden, da dieser mit 25 Euro pro Monat nicht nur äußerst teuer ist, sondern auch nicht mehr separat zu bestellen ist, sondern nur noch in Kombination mit einem Sky-Basispaket-Jahresabo. Im Gegensatz zu früher wird kein kostengünstigerer Livestream im Internet mehr angeboten und auch ein mobiler Empfang via Sky Go ist nicht möglich - im Zeitalter von Smartphones und Tablets ein ziemlich unflexibles Angebot. Dementsprechend wenig Menschen berichten momentan in Tagebuch-Form über die Geschehnisse aus dem Haus. Außerdem werden Fans zur Rechenschaft gezogen, wenn sie Bilder oder Videoclips von "Big Brother" abseits des offiziellen Angebots verbreiten oder für Fanseiten verwenden. Durch diese rigide Vorgehensweise wird eine Entfaltung bzw. Vergrößerung der Fangemeinde gewissermaßen unterbunden.

In jedem Fall besteht Handlungsbedarf für sixx und Endemol. Was sich die Fans wünschen, ist hinlänglich bekannt. Schade nur, dass das Kind immer erst in den Brunnen fallen muss, bevor man sich eventuell an den Wünschen der Zuschauer orientiert.