In Schwandorf fand vor einem Jahr der größte Prozess der Nachkriegsgeschichte statt. Zweihundert Zeugen traten auf, darunter eine Chinesin mit Dolmetscher. Die Anklage wollte beweisen, dass ein Elektrohändler aus dem nahegelegenen Nabburg Glühbirnen in Fassungen gedreht und Kühltruhen aufgebaut hatte. Der Beweis gelang, und obwohl alle zweihundert Zeugen mit der Arbeit des Elektrohändlers hoch zufrieden waren, wurde der Angeklagte verurteilt. Sein Verbrechen: Er hatte keinen Meisterbrief. Deutschland im 21. Jahrhundert. Handwerkskammern und Zentralverbände machen Jagd auf unliebsame Konkurrenz. Nur wer den offiziellen Meisterstempel hat, darf sich selbständig machen, ganz gleich, wie gut er ist. Alle anderen müssen leider draussen bleiben, auch wenn sie sich perfekt in der Elektronik von Kühlschränken auskennen. Die Treibjagd der Bürokraten kostet nach Analysen der Monopolkommission allein im Handwerk locker eine Million Arbeitsplätze – 300 000 Existenzgründungen werden verhindert oder schon florierende Betriebe zerstört. Grundlage ist ein Gesetz aus unseligen Zeiten: Zwischen 1933 und 1936 erhielten die meisten Kammern ihre Grundregeln. Und seitdem werden alle Veränderungen gnadenlos bekämpft, jede Idee, wie Kos¬ten gesenkt und Kunden besser bedient werden können, unerbittlich verfolgt. Da hatte etwa der Apotheker Günter Stange eine gute Idee: Er half vierzig Jungapothekern, ein eigenes Geschäft aufzubauen. Er schloss Mietverträge ab, half bei der Finanzierung der Einrichtungen, organisierte Marketingkampagnen und den gemeinsamen Einkauf von Arznei- und Drogerieprodukten, um Rabatte zu erzielen und billiger verkaufen zu können. Seitdem überzogen ihn die Standesjäger aus der Apothekerkammer mit rund sechzig Verfahren. Der Vorwurf: Er habe eine Kettenapotheke betrieben, und das sei in Deutschland verboten - im Rest der EU allerdings nicht. Stange wurde jetzt in 1. Instanz zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Er sei eine Gefahr für die Apothekerzunft, sagte der Justiziar der Kammer auf dem Apothekertag in aller Öffentlichkeit. Jedes Gewerk muss seine spezifischen Arbeitsordnung einhalten. Wer dagegen verstößt, muss Bußgeld zahlen. Darf der Fliessenleger gleich noch die Wasserspülung im neuen Bad anschliessen? Ja, aber nur, wenn er nicht damit wirbt. Darf umgekehrt der Installateur Fliessen verlegen? Ja, aber nur eine begrenzte Zahl. Wieviel, regeln die Gerichte. Der Film von Günter Ederer zeigt, wie das Handwerksrecht Arbeitsplätze vernichtet und willkürliche Verfolgung provoziert - nur um Privilegien zu erhalten und Preissenkungen zu vermeiden. Auf Kosten der Kunden verhindern Funktionäre den Schritt in eine moderne Dienstleistungsgesellschaft - gegen europäisches Recht. Und gegen jede Vernunft: Der Elektrohändler aus Nabburg übrigens gab sich mit seiner Verurteilung nicht zufrieden und ging bis vors Bundesverfassungsericht. Das gab ihm recht - und jetzt hat er eine Ausnahmegenehmigung. Schade, dass sie ihm nicht mehr allzuviel nützt. Nach der jahrelangen Treibjagd steht er heute am Rande des Ruins.
(hr-fernsehen)
Länge: ca. 45 min.
Deutsche TV-Premiere: 12.09.2001 (Das Erste)
Cast & Crew
- Drehbuch: Günther Ederer