In einer kleinen Wohnung, mitten in Frankfurt am Main, lebte die fast neunzigjährige Schriftstellerin Anja Lundholm bis zu ihrem Tod am 4. August 2007. Durch eine schwere Krankheit war sie seit ein paar Jahren an ihr Bett gefesselt. Doch dies war nicht das erste Gefängnis, das Anja Lundholm durchleben musste. Das Leben der Schriftstellerin ist sehr eng mit einem Jahrhundert deutscher Geschichte verknüpft - eine Geschichte, die sich manchmal wie ein Abenteuerroman liest. Aufgewachsen als Tochter eines Nazi-Sympathisanten und einer jüdischen Mutter, erlebte sie schon zu Beginn der dreißiger Jahre, was es heißt, nicht erwünscht zu sein. Mit achtzehn Jahren entfloh Anja Lundholm der immer bedrohlicher werdenden Kleinstadtenge und studierte in Berlin Musik. Anja lebte auf, verdiente sich ein wenig Geld durch kleine Statistenrollen beim Film und assistierte bei einem Kabarett. Doch auch in Berlin veränderten sich die Bedingungen immer mehr. Als so genannte Halbjüdin durfte sie weder ihre Karriere als Musikerin fortsetzen, noch weitere Kleinrollen beim Film annehmen. 1938, nach der Pogromnacht, beging die Mutter in Krefeld Selbstmord. Anja selbst setzte sich mit gefälschten Papieren nach Rom ab, wo sie sich einer kleinen Widerstandsgruppe anschloss und mithalf, Pässe für jüdische Flüchtlinge zu fälschen. Doch Anfang 1944 wurde sie verhaftet. Nach unzähligen Verhören in Gestapogefängnissen und einer Odyssee durch ganz Deutschland wurde sie ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück deportiert - was einer Todesstrafe gleichkam. Doch Anja hatte Glück und erlebte den Tag der Befreiung. Traumatisiert geriet sie in einen der endlosen Flüchtlingstrecks und landete Wochen später völlig orientierungslos in der belgischen Hauptstadt Brüssel. Nur langsam kam die junge Frau wieder auf die Beine. Doch bis sie wieder ein "ganz normales" Leben führen konnte, musste sie noch viele Schicksalsschläge überstehen. Erst nach dem Tod des Vaters begann Anja Lundholm ihre Geschichten aufzuschreiben. Fast zwanzig Bücher hat sie bis in die neunziger Jahre geschrieben. Viele davon sind sehr autobiografisch und berichten über das Leben einer geschlagenen und verzweifelten Frau, die sich nur sehr langsam aus den Fesseln der dunkelsten deutschen Geschichte lösen kann. Durch das Schreiben ihrer Bücher hat sich Anja Lundholm befreit, ohne zunächst zu bemerken, dass sie dabei auch zu einer sehr genauen Chronistin ihres Jahrhunderts wurde. Für ihre Werke wurde die Schriftstellerin mit unzähligen Preisen ausgezeichnet. Selbst für den Literaturnobelpreis wurde sie vorgeschlagen. Doch die Bücher der Anja Lundholm findet man nicht in den Bestsellerlisten. Vielleicht liegt es daran, dass ihre Erinnerungen sehr unter die Haut gehen und das Unfassbare sehr lebendig werden lassen. Anja Lundholm wusste, dass sie aufgrund ihrer Krankheit für immer ans Bett gefesselt war und ihrem letzten Gefängnis nicht mehr entkommen würde. Doch das hielt sie nicht davon ab, mit wachem Geist, scharfem Verstand und einer großen Portion Humor sehr tapfer ihren Lebensabend zu verbringen. Der Dokumentarfilm "Die zwei Leben der Anja Lundholm - Chronik eines Jahrhunderts" von Christian Gropper ist ein persönliches Porträt einer wichtigen deutschen Schriftstellerin und gleichzeitig auch eine Zeitreise durch ein Jahrhundert gelebter deutscher Geschichte. Der Filmautor hat die Schriftstellerin über zwei Jahre lang besucht und in vielen Gesprächen und Reisen die Stationen ihres Lebens nachvollzogen. Ein Film auch über das Werk der Anja Lundholm, das für immer ganz eng mit ihrer Person verbunden bleiben wird.
(hr-fernsehen)
Länge: ca. 90 min.
Deutsche TV-Premiere: 28.08.2007 (Das Erste)
Cast & Crew
- Regie: Christian Gropper
- Drehbuch: Christian Gropper
- Produktion: Gropperfilm Produktion
- Musik: Christoph Paulssen
- Kamera: Detlef Dinges