Was verharmlosend "Arisierung" genannt wurde, war tatsächlich einer der größten Raubzüge des 20. Jahrhunderts. Dabei war es nicht die Gestapo, die in die Wohnungen jüdischer Deutscher eindrang, um deren Besitz zu beschlagnahmen, es waren deutsche Finanzbeamte. Große Vermögenswerte gingen dabei an die Behörden, kleines Hab und Gut an Nachbarn, die sich als "Schnäppchenjäger" betätigten. Regisseur Michael Verhoeven hat für seinen eindringlichen Film mit Zeitzeugen und Wissenschaftlern gesprochen. Viele Aspekte des Holocaust und der nationalsozialistischen Terrorherrschaft zählen heute zur Allgemeinbildung und sind - zumindest in ihren wichtigsten Fakten - bekannt. Nur wenig dokumentiert sind jedoch die Anfänge dieses Verbrechens inmitten in der damaligen "ganz normalen" Gesellschaft. In seinem Film "Menschliches Versagen" zeigt der renommierte und vielfach preisgekrönte Regisseur Michael Verhoeven anhand der konkreten Geschichten von Betroffenen den Vorgang der Ausgrenzung, Entrechtung, Enteignung und schließlich Deportation und Ermordung jüdischer Mitbürger auf. Wie konnte es sein, dass ein so eklatantes Unrecht durch immer neue Gesetze "legal" gemacht wurde? Warum haben sich die damit befassten Behörden geradezu übereifrig am Holocaust beteiligt? Warum haben die meisten nicht-jüdischen Deutschen so wenig dagegen unternommen? Im Zentrum von Verhoevens Film steht der Prozess der sogenannten "Arisierung" jüdischen Eigentums und Vermögens - konkret: die vollständige Ausraubung der jüdischen Bevölkerung, die nach dem Krieg durch Rückerstattung oder Schadensersatz nur zu einem geringen Prozentsatz "wieder gut" gemacht worden ist. Michael Verhoevens Film wirft die Frage auf, in welchem Ausmaß die zivile Bevölkerung in Nazi-Deutschland zum Profiteur der systematischen Beraubung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland und in den besetzten Ländern wurde. Schwerpunkte der filmischen Spurensuche sind Köln und München. Zu Wort kommen dabei Zeitzeugen wie die 1925 in München geborene Bea Green geb. Siegel, die 1939 von ihren Eltern auf einen "Kindertransport" nach England geschickt wurde; Edgar Feuchtwanger, Jahrgang 1924, der Neffe des Schriftstellers Lion Feuchtwanger; Dr. Gerhard Haas, der Enkel des enteigneten Löwenbräu-Miteigentümers Hermann Schülein; sowie Vera Treplin, die Theresienstadt überlebte und heute als Psychotherapeutin arbeitet. Wissenschaftler wie Götz Aly und Wolfgang Dreßen erläutern den Prozess der "Arisierung" im historischen Kontext. Regisseur Michael Verhoeven sagt über seinen Film: "'Menschliches Versagen' soll keine Schuldzuweisung sein. Vielmehr ist es das Ziel unseres Films, einen Diskurs in diesem Land zu diesem lang verschwiegenen Thema zwischen den Generationen zu fördern und Antworten auf Fragen zu finden, die die Kriegsgeneration aufgrund jahrzehntelangen Schweigens nicht gelöst, sondern nur an ihre Kinder und Enkelkinder weitergegeben hat." "Michael Verhoevens Film macht klar, dass nicht nur alle gewusst haben, dass Juden abtransportiert, entrechtet und enteignet wurden, sondern dass sie auch davon profitierten. Eben nicht nur die großen, sondern auch die kleinen Leute." (Arno Widmann, Frankfurter Rundschau, 03.11.2008)...
(BR Fernsehen)
Länge: ca. 90 min.
Deutsche TV-Premiere: 03.11.2008 (WDR)
gezeigt bei: WDR.DOK (D, 2002)
siehe auch: Menschliches Versagen (D, 2008)
Cast & Crew
- Regie: Michael Verhoeven
- Drehbuch: Michael Verhoeven, Luise Lindermair
- Produktion: Sentana, BR, SDR, Michael Verhoeven
- Produktionsfirma: WDR
- Musik: Sami Hammi
- Kamera: Britta Becker, Matthias Boch
- Schnitt: Gabriele Kröber