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TV-Kritik/Review: "Bruder - Schwarze Macht": Allzu didaktisches Porträt einer Radikalisierung

(27.10.2017)

Wie werden aus mehr oder weniger unbescholtenen jungen Menschen religiöse Fanatiker? Warum lassen sich zuvor unauffällige Söhne, Freunde, Brüder vor den Karren einer mörderischen Ideologie spannen? Das sind wichtige Fragen, die nicht erst seit den islamistischen Attentaten der jüngeren Zeit gestellt werden, nach denen es immer wieder hieß: Die Täter ließen sich in Europa radikalisieren, im Internet, in einer fundamentalistischen Hinterhofmoschee.
Es sind viele Artikel darüber geschrieben worden, und es war nur eine Frage der Zeit, bis ein solch exemplarisches Radikalisierungsmuster den Weg ins öffentlich-rechtliche Thesenfernsehen der narrativen Nachrichtenverwurstung finden würde. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Natürlich hat das seine Berechtigung. Für die Aufarbeitung im schulischen Kontext dürfte sich die ZDFneo-Produktion
Als Zentralfigur haben sie die türkischstämmige Hamburger Polizistin Sibel erfunden, die von Sibel Kekilli gespielt wird, weil die Autoren, so wird kolportiert, beim Schreiben schon an sie gedacht hatten. Kunststück, ist sie doch die bekannteste türkisch-deutsche Schauspielerin (

Unbill droht auch an der Familienfront: Mit der verwitweten Mutter pflegt die vaterlos aufgewachsene Sibel ein schwieriges Verhältnis, doch größere Sorgen wird ihr jüngerer Bruder Melih (Yasin Boynuince) bereiten. Der ist allerdings so sympathisch, charmant, intelligent und einnehmend, dass man schon am Anfang Probleme damit hat, in ihm den orientierungslos kleinkriminellen EC-Kartendatendieb zu sehen, als den die Autoren ihn uns weismachen wollen. Man versteht nicht ganz, warum der clevere Melih den ganzen Tag in einem zwielichtigen Handyladen im Problemkiez von Wilhelmsburg rumhängt. Weil als Motive für Melihs späteres Abgleiten in den IS-Terror alltägliche Ablehnung, Herabsetzung, Schwierigkeiten bei der Integration und ein Gefühl der Heimatlosigkeit quasi feststehen, mussten enstprechende Szenen dafür gefunden werden. Also werden Melih und sein deutscher Freund Tobi (Rouven Israel) in einer ungelenk gespielten und geschriebenen Sequenz vom türkischen Türsteher abgewiesen, als sie einen Club besuchen wollen. Weil er "Kanacke" ist, weiß Melih.
Dann aber ist es zunächst Tobi, der in die Fänge der Fundamentalisten gerät: In einem (in der Realität vielfach belegten) Akt der Überassimilation lässt sich der dickliche deutsche Außenseiter vom charismatischen Anwerber Baris (gut, weil gefährlich ruhig: Tim Seyfi aus
Melih selbst bleibt Kommentarfigur, der die Wandlung des deutschen Freundes zum muslimischen Vorzeigefundamentalisten kopfschüttelnd begleitet, und letztlich legt er diese Funktion bis (fast) zum Schluss nicht ab. Beinahe übernimmt er die Rolle von uns Zuschauern, die nicht begreifen können, warum sich Tobi, nun Abu Karim genannt, für den IS-Kampf im Mittleren Osten einspannen lassen möchte, nur weil er in einer durch eine Burka verhüllte Chat-Partnerin auf Skype seinen "Engel der Wüste" erkannt haben will (O-Ton: "Ich fahr ins Kalifat, okay? Ich fahr zu Fatima!"). Melihs Beobachterfunktion ist dramaturgisch ein Problem, denn die Hauptstory um seine Schwester Sibel, die nebenher noch einen Fall um illegal verkaufte Pässe verstorbener Deutschtürken löst, wird dadurch fast überflüssig. Es kommt alles nach didaktischem Plan: Auch Melih driftet ab, nicht weil dies aus der Handlung heraus glaubhaft wäre, sondern weil er das plotgemäß muss. Er verschwindet, und ein stiller Mann vom Verfassungsschutz (Thorsten Merten,
Es gibt sehr gute Szenen in "Bruder - Schwarze Macht", die andeuten, was mit etwas beherzterem Zugriff aus dem Stoff hätte werden können. Wenn Tobi zwei biertrinkende Türken vor einem Kiosk religiös zurechtweist und dafür entsprechende Repliken erntet ("Bissu Kaftanpolizei? Was' los mit dir?"), kommt erstmals echte Kiez-Atmo auf. Wenn Melih vor dem geplanten Attentat seine Nichte in der Grundschule besucht, wird es aufrichtig emotional. Auch gibt es gute Beobachtungenm, wie die vom moderat gestimmten Imam der Gemeinde, der vor Melihs und Tobis Radikalisierung warnt.
Insgesamt aber überwiegen die Probleme. Sibel Kekillis hölzernes Spiel mag an den gestelzten Sätzen liegen, die sie aufzusagen hat: "Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich das Richtige getan habe." Aber auch sonst läuft sie wie ein Fremdkörper durch die Szenen, die erfolgreiche Polizistin nimmt man ihr ebensowenig ab wie Israel und Boynuince die radikalisierungsgefährdeten Außenseiter. Tobi und Melih sind und bleiben durchgehend nett und fatal fehlgeleitet; das scheint zu simpel, nicht nur wenn man an Anis Amri denkt, den Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, der eine schwerstkriminelle Karriere hinter sich hatte. Vielfach stimmt auch einfach der Ton der Inszenierung nicht: Kiezdialoge werden nicht dadurch glaubwürdiger, dass man grammtisch komplett korrekten Sätzen ein "Digger" vorne anpappt, und Klischees umschifft man nicht, indem man in jeder Szene, die in islamistische Hinterzimmer führt, akustischen Sheherazade-Kitsch einspielt. Im Gegenteil: Das ist betreutes Fernsehen. Engagiert? Gewiss. Wichtig? Na klar. Aber nicht als Serien-Event, sondern als pädagogisches Arbeitsmittel.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der kompletten vier Episoden von "Bruder - Schwarze Macht".
Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: ZDF/Gordon Timpen
Die vierteilige Miniserie "Bruder - Schwarze Macht" ist ab dem 29. Oktober sonntags um 21.45 Uhr bei ZDFneo zu sehen.
Über den Autor
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Leserkommentare
Der_Herr_Heinz schrieb am 05.11.2017, 20.24 Uhr:
Abwarten, jetzt lasst die Serie erstmal laufen. Nach nur 1 Folge ist dieser Artikel viel zu früh und deswegen mehr als entbehrlich.
faxe61 schrieb via tvforen.de am 27.10.2017, 23.33 Uhr:
Ich habe deine Kritik nicht ausführlich gelesen, Gian-Philip.Heute, 27.10.2017, gab es eine Filmkritik im heute-journal, vom ZDF ernannten Terror -Experten Elmar Theveßen dazu und er fand ihn gut. Das hat mich schon abgeschreckt von dem 4-Teiler. Bei der Kritik oder Review merkte ich: "Terror ist sein Ding oder so...".
Ich mag Elmar Theveßen nicht.
Leider gibts den Clip zur Zeit noch nicht alleine; nur die ganze Sendung.
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