#verafake: Böhmermann schleust Kandidaten bei "Schwiegertochter gesucht" ein

Fans und Kritiker gleichermaßen waren gespannt darauf, wie sich Jan Böhmermann mit der Rückkehr seines  "NEO Magazin Royale" präsentieren würde. Nachdem sein zum Politikum mutiertes Schmähgedicht wochenlang auf höchster Staatsebene diskutiert wurde und ihm eine Strafanzeige durch den türkischen Präsidenten Erdogan einbrachte (wunschliste.de berichtete), entschloss sich der Satiriker, sich für einige Wochen zurückzuziehen und seine wöchentliche Sendung pausieren zu lassen. Am gestrigen Donnerstagabend meldete er sich jedoch zurück, und wie: Mit dem Hashtag der Woche #verafake und der dazugehörigen Geschichte ist dem 35-Jährigen ein neuer Coup gelungen, der wohl noch längere Zeit für Gesprächsstoff sorgen und sein Schmähgedicht in den Hintergrund rücken lassen dürfte.

Doch der Reihe nach: Der Beginn der neuesten Ausgabe verlief eher unspektakulär. Böhmermann ging nur mit einigen Anspielungen auf die von ihm ausgelöste Staatsaffäre ein und verlas stattdessen von den Zuschauern eingesandte Witze, die er mit jeweils 103 Euro prämierte (angelehnt an den Paragrafen 103 des StGB, aufgrund dessen sich Böhmermann vor Gericht verantworten muss).

Wohlwissend um das nun Folgende gab sich Böhmermann nicht die Blöße, zu einem Rundumschlag über Merkel, Erdogan oder Satire- und Meinungsfreiheit auszuholen, sondern lieferte das, was einen Satiriker mit Format logischerweise auszeichnet: Satire in Perfektion. Opfer seines neuesten Streichs wurde das fragwürdige RTL-Kuppelformat  "Schwiegertochter gesucht" mit Vera Int-Veen, über das er sich in einem Einspieler zur Vorstellung der neuen Kandidaten lustig machte. Im Rahmen seiner Rubrik "Fernsehnothilfe" lästerte er über RTL, die Produktionsfirma und deren Umgang mit den überforderten Kandidaten sowie Int-Veens Kleidungsstil. Bis hierhin nichts Ungewöhnliches, kennt man ähnliche Witzchen etwa in derberer Form noch aus  "TV total"-Zeiten von Stefan Raab.

Der eigentliche Paukenschlag begann jedoch, als Böhmermann den als "einsamen Eisenbahnfreund" und "Schildkrötensammler" titulierten 21-jährigen Teilnehmer Robin und seinen Vater René via Skype anrief und nachfragte, wer von beiden für die Anmeldung zur RTL-Sendung verantwortlich sei. Als beide angaben, sich definitiv nicht selbst beworben zu haben, ging den ersten Zuschauern im Publikum bereits ein Licht auf und tosender Applaus brandete auf. Böhmermanns Einwände, "einen Kandidaten einzuschleusen wäre doch viel zu aufwändig, man müsse sich ja sogar eine Wohnung im Ruhrgebiet mieten und diese entsprechend asimäßig ausstatten", trieben diesen Umstand dann auf die Spitze.

Doch wie der nun folgende Beitrag aus der Reihe "Team Royaleraff" (eine gewollt platte Anspielung auf das RTL-Format  "Team Wallraff") zeigte, hatte das Team vom "NEO Magazin Royale" weder Kosten noch Mühen gescheut. Böhmermann kommentierte als investigativer Undercover-Reporter, welch großer Coup ihm und seinen Kollegen gelungen war. Mit den Schauspielern Simon Steinhorst (Kandidat Robin) und Andreas Schneiders (Vater René) und ihren zwei perfekt auf die Kuppelshow zugeschnittenen Figuren hatte man einen erfolgversprechenden Köder ausgelegt, und RTL hatte dankbar zugebissen. In der Tat wurde für die Aktion eine Wohnung im Ruhrgebiet angemietet, diese mit allerlei stereotypen Dingen versehen und dem fiktiven Kandidaten Robin eine herrlich klischeehafte Persönlichkeit voller Absurditäten angedichtet, bei der RTL offenbar nicht Nein sagen konnte.

Und so wurde mithilfe von versteckten Kameras der erste Besuch des Kölner Drehteams gefilmt, der sämtliche Abgründe der Produktionsarbeit aufdeckte, die zwar gemeinhin als offenenes Geheimnis gelten, jedoch noch einmal eine völlig neue Dimension der Dreistigkeit offenbarten. Ohne langes Federlesen ließ man Steinhorst, der seine Rolle als schüchterner 21-Jähriger mit Akne, schiefer Brille und roter Pudelmütze hervorragend spielte, einen der branchenüblichen Knebelverträge unterschreiben, der es in sich hatte.

Für bis zu 30 Drehtage bot man dem vermeintlichen Kandidaten eine Aufwandsentschädigung von lächerlichen 150 Euro, also gerade mal fünf Euro pro Tag. Der Verweis Böhmermanns, eine Werbeminute bringe RTL alleine Einnahmen von 90.000 Euro, wirkt dagegen wie ein schlechter Witz, der leider keiner ist. Doch damit nicht genug: Anschließend sollte Steinhorst alias Robin eine eidesstattliche Versicherung abgeben, dass er nicht geistig behindert sei. Allein diese Tatsache impliziert, wie nahe sich die Produktionsfirma an dieser Grenze bewegt und ihre Kandidaten in einem bestimmten Licht erscheinen lassen will bei gleichzeitiger Absicherung, dass diese sich über ihr Handeln im Klaren sind.

Natürlich schreckte das Team auch nicht davor zurück, aus reiner Effekthascherei an weiteren Stellschrauben zu drehen. So drapierte man weitere Schildkrötenfiguren in der Wohnung, filmte Vater und Sohn beim Lösen eines vorher untergeschobenen knallpinken "Liebe ist..."-Puzzles und legte dem angeblichen Kandidaten wortgenaue Sätze wie "Manchmal geh' ich in die Zoohandlung und schaue mir die richtigen Schildkröten an" in den Mund. Darüber hinaus ließ man die Tatsache, dass der falsche Vater René pro Tag acht Flaschen Bier konsumiert, im Vertrag unauffällig unter den Tisch fallen ("Wir kreuzen dann mal 'keinen Alkohol' an") und ignorierte den Umstand, dass sich weder Vater noch Sohn in irgendeiner Form ausweisen konnten.

Dieser und alle weiteren Aspekte belegen anschaulich, wie einfach man es Böhmermann und seinem Team letztendlich machte. Eine mit sämtlichen Vorurteilen behaftete Figur inklusive ungewöhnlichen Hobbys und stark überzeichnetem Äußeren - mehr brauchte es nicht, um sich in die immer wieder kritisierte RTL-Kuppelshow einzuschleusen. Die Art und Weise des Umgangs mit den Kandidaten, die die Schauspieler Schneiders und Steinhorst am eigenen Leib erfahren haben, kommentierte Böhmermann noch im Einspieler an die Verantwortlichen gerichtet mit den Worten: "Die Kandidaten bei 'Schwiegertochter gesucht' wissen nicht, worauf sie sich einlassen, und verstehen auch nicht, was Sie aus ihnen machen wollen: Nämlich Witzfiguren, auf deren Kosten man sich schön abends als ironischer Asi-Fernsehen-Zuschauer noch amüsieren kann, um sein eigenes mickriges Selbstwertgefühl aufzupolieren."

Der anschließende Vorwurf, RTL und Vera Int-Veen ginge es nur ums Geld und die Quote, ist natürlich so alt wie das Format selbst, das eigentliche Fazit lässt hingegen noch einmal aufhorchen: "Ihr habt Robin und René noch dümmer gemacht als wir sie uns ausgedacht haben - und das will was heißen. Ihr habt sie als die allerletzten Trottel inszeniert. Sorgfaltspflicht scheißegal. Ihr habt unsere beiden Scheinidioten dazu gedrängt, einen Knebelvertrag zu unterschreiben und habt noch nicht mal eine Kopie da gelassen. Die haben wir erst bekommen nach der Ausstrahlung, knapp zwei Monate später. Und ich sag mal so, RTL und Vera Int-Veen: Ihr habt nicht den Eindruck vermittelt, dass ihr das zum allerersten Mal so gemacht habt."

Der Hashtag der Woche namens #verafake wird wohl für einige Zeit im kollektiven Gedächtnis bleiben. Dass Formate wie "Schwiegertochter gesucht" oder  "Bauer sucht Frau" unter fragwürdigen Bedingungen produziert werden, ist hierbei nicht der eigentliche Aufreger und allgemein bekannt. Die gesamte Tragweite der Umstände hinsichtlich des gewissenlosen Umgangs mit den Kandidaten, der gezielten Manipulation sowie der schier endlosen Gier nach Aufmerksamkeit, wurde dagegen erstmals aus erster Hand und absolut ungeschönt dokumentiert. Mit welch konkreten perfiden Methoden hier seit mittlerweile zehn Jahren zu Werke gegangen wird, dürfte jedenfalls ein entsprechend großes Echo in der Medienlandschaft nach sich ziehen.

Besonders unangenehm ist die Geschichte nicht zuletzt für RTL und die Produktionsfirma des Formats, die sich nun wohl einige Fragen gefallen lassen müssen. Auf Anfrage von DWDL äußerte sich RTL-Sprecher Christian Körner bislang lediglich mit den Worten: "Wir werden uns die Sendung anschauen und bei Bedarf mit dem Produzenten austauschen. Danach kommentieren wir gern." Nach außen hin gibt man sich also vorerst betont gelassen. Insgeheim dürfte der gestrige Beitrag im "NEO Magazin Royale" jedoch für einiges Zähneknirschen in Köln gesorgt haben. Auch das Image der Moderatorin Vera Int-Veen dürfte damit einen weiteren Kratzer abbekommen. Bereits 2011 veröffentlichtes Rohmaterial zur damaligen Sendung  "Mietprellern auf der Spur" und deren skrupellosen Machenschaften warf ein äußerst schlechtes Licht auf die 48-Jährige (wunschliste.de berichtete).

Böhmermanns Gast, der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Linkspartei Gregor Gysi, wirkte im zweiten Teil der Show dann nur noch wie ein Statist. Dieser wollte lieber das Thema "Schmähgedicht" einmal mehr durchkauen und ließ sich zu einem Monolog hinreißen, in dem er höflich, aber bestimmt seine Meinung zu ebenjenem kundtat - was den Moderator allerdings nicht mehr wirklich interessierte. Erst hielt er sich die Ohren zu, dann hantierte er an seinem Laptop - vermutlich mit dem guten Gefühl, innerhalb von knapp 17 Minuten den Fokus weg von seiner eigenen Person auf ein neues, brisantes Thema gelenkt zu haben. Knapp ein Jahr nach seinem vielbeachteten #varoufakefake hat es der Satiriker einmal mehr geschafft, mit einer kongenialen Aktion für Gesprächsstoff zu sorgen und die Tür zur großen Medienwelt kurzzeitig aus den Angeln zu heben. Der Zeitpunkt hätte kaum günstiger sein können.