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TV-Kritik/Review: Rectify

TV-Kritik zum Sundance-Serienhit - von Gian-Philip Andreas
(17.06.2013)

Daniel Holden (l.) ist zurück. Wie reagiert die Familie um Mutter Janet (J. Smith-Cameron, M.) und Schwester Amantha (Abigail Spencer, 2. v. r.)?
Daniel Holden (l.) ist zurück. Wie reagiert die Familie um Mutter Janet (J. Smith-Cameron, M.) und Schwester Amantha (Abigail Spencer, 2. v. r.)?

Halb erstickte Schreie der Trauer und des Schmerzens sind es, die die Mutter von Daniel Holden zu Beginn der Pilotfolge von  "Rectify" ausstößt, und diese Schreie zeigen, dass die Geschichte, die da beginnt, eine ist, die bereits langes Leid mit sich herumschleppt: 19 Jahre lang saß Daniel im Todestrakt eines Gefängnisses in Georgia, tief unten im Bible Belt, im Herz der amerikanischen Südstaaten. Verurteilt wurde er seinerzeit mit knapp 18 Jahren für die Vergewaltigung und den Mord an einer Mitschülerin. Gestanden hatte er damals erst nach 36 Stunden Verhör. Danach lebte er mit seiner Exekution vor Augen, bis ein neuer DNA-Test das Urteil plötzlich annullierte. Zu Beginn der Serie kommt der Todeskandidat frei. Als unschuldig gilt er damit aber nicht.

"Rectify", die von der US-Kritik ziemlich einhellig und völlig zu Recht bejubelte erste Originalserie des Sundance Channels, beginnt als Erzählung in progress. Sehr vieles liegt dabei in der Vergangenheit: die grausame Tat Anfang der Neunziger, die langjährigen Bemühungen der Familie, den Sohn freizubekommen und auch die Veränderungen im Leben der Beteiligten. Und Daniel Holden steckt plötzlich mittendrin im Heute, ein Enddreißiger, der als Teenie zuletzt in Freiheit lebte. Wie versteinert wirkt er, in sich gekehrt, im Sprechen und in den Bewegungen langsam. Darsteller Aden Young, ein bislang wenig aufgefallener Schauspieler aus dem Hollywood-Mittelbau, ist perfekt für die Rolle: Er ist groß und kräftig und wirkt dennoch wie entrückt, und wenn er, was er selten tut, den Kopf hebt und die Kamera ihm in die traurigen Augen blickt, spielt sich darin das Drama eines Mannes ab, der sein gesamtes Erwachsenwerden verpasste, der 20 Jahre mit Schimpf, Schuld und Schande lebte und, was noch schlimmer ist, weiß, dass sich daran auch in Zukunft nichts ändern wird. Denn wie in jedem Dorf, das mit der Bürgerwehr gegen freigelassene Sexualstraftäter mobilmacht, stellt auch Daniels Heimatstädtchen klar: Daniel ist nicht willkommen. Der ehemalige Staatsanwalt, inzwischen Senator, will einen neuen Prozess und den immer noch Hauptverdächtigen zurück in die "death row" schicken, schon allein, um nicht als jemand dazustehen, der falsches Recht sprechen ließ.

Daniel zieht derweil zurück ins Haus seiner Mutter (J. Smith-Cameron als blonde Südstaatenmatrone), die neu geheiratet hat und immer noch vor allem Hausfrau ist. Daniels Schwester (stark: Abigail Spencer, "Cowboys & Aliens", "Burning Love") ist extra aus Atlanta zurückgezogen, um sich um den Bruder zu kümmern, an dessen Unschuld sie keine Zweifel hegt. Außerdem hat sie eine Affäre mit Daniels neuem Anwalt Jon (Luke Kirby, "Take this Waltz"). Teddy (Clayne Crawford), der Sohn des Stiefvaters, ist da deutlich skeptischer - vor allem plagt ihn die Sorge, dass der Rufs des Autoreifenladens, den er mit dem Vater zusammen führt, unter Daniels Rückkehr leiden könnte. Teddys junge Frau Tawney (Adelaide Clemens aus  "Parade's End - Der letzte Gentleman"; ein Michelle-Williams-Typ) ist tief religiös und vor allem darum bemüht, den Ex-Sträfling in den Schoß der Kirche zu überführen. Oder womöglich auch in ihren eigenen Schoß? Jared, Stiefbruder im Teenie-Alter, komplettiert den Familienreigen.

So wie draußen die Feindseligkeit auf Daniel lauert, wird er innerhalb der Familie von allen Seiten genau wie jener Teenager behandelt, als der er vor der Mordtat in aller Erinnerung geblieben ist. Teddy zum Beispiel schenkt ihm ein Sexheft - 'to get your mind right' -, und prompt wird Daniel beim Masturbieren erwischt. Schamgefühle wie zu High-School-Zeiten: Dieser Mann wird sich befreien müssen aus einem fast klaustrophobischen Klammergriff. Er ist umringt von Menschen, die es entweder zu gut oder zu böse mit ihm meinen.

Von der ersten Sequenz an formt sich daraus ein vielversprechender Plot, und doch mag der Zuschauer diesem Setting zunächst durchaus mit Skepsis begegnen: Die Kammermusik auf der Tonspur klimpert prätentiös, die mit viel Tauf- und Jesus-Symbolik operierende Regie wirkt ein wenig zu sehr von der eigenen Bedeutungsschwere ergriffen, und mitunter könnte fast der Eindruck entstehen, es ginge hier zuvörderst um eine Art Kasper-Hauser-trifft-Forrest-Gump-Gestalt, die mit Stauneaugen ein neues Universum erkundet, nach dem Motto: Was sind Handys und DVDs? Ganz schlau wird man jedenfalls nicht aus Daniel: Meistens spricht er schleppend und in kurzen Sätzen, dann wieder brechen beinahe lyrische Tiraden aus ihm heraus - etwa wenn er dem Stiefbruder die brutalen Knastschikanen schildert. Oder wenn er mit seiner Mutter über Platons Höhlengleichnis parliert.

Rückblende: Daniel Holden (Aden Young) wartete zwei Jahrzehnte lang auf seine Hinrichtung.
Rückblende: Daniel Holden (Aden Young) wartete zwei Jahrzehnte lang auf seine Hinrichtung.

Allmählich aber schwinden diese Vorbehalte: "Rectify" wird mit jeder Folge besser. Das Erzähltempo ist langsam und lässt ebenso Platz für lange Dialogsequenzen wie für epische Momente der Stille, und so erhalten auch die Darsteller viel Raum für Nuancen. Die Hauptfiguren "wachsen", ihre Beziehungen untereinander modellieren sich heraus, erste Verschiebungen werden erkennbar: Daniel etwa fühlt sich zu Tawney hingezogen, deren Mann Teddy das sofort spürt. Zwischen den Männern entwickelt sich ein fataler Antagonismus. Die Mutter ist latent depressiv, die Schwester führt einen Stellvertreterkampf, und was wiederum Tawney alles unter ihrem Glauben vergraben haben mag, das wird noch zu erkunden sein. Auf dem Soundtrack kommentieren das Indie-Acts wie Bon Iver oder Sharon van Etten.

Serien-Schöpfer Ray McKinnon, sonst vorrangig Schauspieler (Reverend Smith aus  "Deadwood"), umgibt seinen Main Cast mit sehenswerten Nebenfiguren: Sheriff Daggett etwa, der im Auftrag des Senators gegen Daniel ermitteln soll, aber über Restschimmer von Redlichkeit verfügt. Oder die beiden windigen Zeugen der Mordtat. Der nerdige Immobilienmakler. Oder die in die Jahre und in die Kilos gekommene Ex-Mitschülerin von Daniel, die dem Entlassenen nicht ganz uneigennützig "ihren Körper anbietet". In der wunderbar versponnenen fünften Episode verwischen dann Traum und Wirklichkeit: Nachts steigt Daniel in den Lieferwagen eines merkwürdigen Mannes ein, der ihn zum Komplizen eines surrealen Ziegendiebstahls macht und im Wald zu einer einsamen Statue führt, um dort mit ihm zu ringen. Ist dieser Fremde, gespielt von McKinnons "Deadwood"-Kollegen W. Earl Brown, der Teufel? Zuvor schon hat der großartige, inzwischen 88-jährige Hal Holbrook (oscarnominiert für "Into the Wild") einen sagenhaften Auftritt als Daniels Ex-Verteidiger. Desillusioniert hockt er im in seinem Sessel und blafft den idealistischen Jon an: "Wenn Sie glauben, dass wir in modernen Zeiten leben - watch yourself!"

Interpretationsansätze liefern zudem die zahlreichen Rückblenden in Daniels Zeit in der winzigen Todestrakt-Zelle. Durch den Luftschacht kommunizierte er dort mit einem netten und einem psychopathischen Zellennachbarn - eine Konstellation, die an Stephen-King-Szenarien ("Green Mile", "Die Verurteilten") erinnert, doch im von McKinnon selbst inszenierten und mit einem schön doppelbödigen Schlussbild glänzenden Staffelfinale ein Eigenleben gewinnt. Dazwischen lässt "Rectify" stets Platz für die Tragikomik Daniels, der mit seinem Leben nirgendwo anders anzuknüpfen weiß als an seinem 17. Lebensjahr, an die frühen Neunziger also, als man noch die Stone Temple Pilots auf dem Walkman hörte. Hilflos zockt er wieder "Sonic the Hedgehog" und hört die alten Mixtapes. Bis schließlich die rachsüchtigen Mitbürger zur Tat schreiten.

Die nur aus sechs Folgen bestehende erste Staffel von "Rectify" fühlt sich an wie das Vorspiel zu etwas weit Größerem. Das Figurengefüge schreit praktisch nach einem längeren Spannungsbogen, dessen geringstes Problem übrigens die Frage ist, ob Daniel tatsächlich schuldig ist oder nicht. "Rectify" erzählt vielmehr von Resozialisierung unter argwöhnischem Vorbehalt und davon, wie es sich mit dem Zweifel lebt in einem Umfeld, in dem jeder Grund genug zu haben scheint, sich eine eigene Wahrheit zu schaffen. Ray McKinnon ist mit dieser ersten Staffel ein Highlight der Saison geglückt - neue Folgen sind schon bestellt.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der kompletten ersten Staffel von "Rectify".

Meine Wertung: 4.5/5


Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: Sundance Channel


 

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für TV Wunschliste rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 ("Lonely Souls") ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 ("Pine Barrens"), The Simpsons S08E23 ("Homer's Enemy"), Mad Men S04E07 ("The Suitcase"), My So-Called Life S01E11 ("Life of Brian") und selbstredend Lindenstraße 507 ("Laufpass").

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