14 Jahre ist sie alt, als Semiya Simsek mitten in der Nacht ins Krankenhaus zu ihrem schwer verletzten Vater gebracht wird. Neun Schüsse wurden auf Enver Simsek abgegeben. Der Verdacht richtete sich zunächst gegen die Verwandten des Opfers, die Polizei nimmt Speichelproben, auch von Semiya Simsek. Von einer rechtsextremen Tat sprach im Jahr 2000 niemand. Erst elf Jahre nach dem Mord kommt ans Licht: Semiyas Vater soll das erste Mordopfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) gewesen sein, auch als Zwickauer Terrorzelle bekannt. Doch auch danach läuft es nicht so, wie es sein sollte. Der Umgang mit den Angehörigen, die Nachrichten über geschredderte Akten, das Kompetenzgerangel des Verfassungsschutzes und die Durchsetzung der rechtsextremen Szene mit V-Leuten haben in Simsek tiefe Zweifel am Aufklärungswillen der Behörden geweckt. Im Mai 2013 begann der Prozess gegen das mutmaßliche NSU-Mitglied Beate Zschäpe. Viele Opfer erwarten jetzt Aufklärung, auch Semiya Simsek. Die Dokumentation "KEINVATERLAND. Wie Semiya Simsek das Vertrauen in Deutschland verlor" von Katja und Clemens Riha erzählt die Geschichte der jungen Frau, die nicht nur den Verlust ihres Vaters verarbeiten muss, sondern auch Anfeindungen und falsche Verdächtigungen. Die Filmautoren besuchen als einziges Filmteam die junge Frau in der Türkei, wo sie im Augenblick lebt, und begleiten sie beim Prozessauftakt in München. Simsek tritt dort als Nebenklägerin auf. Eine unglaubliche Belastung. Was geht in ihr vor? Semiya Simsek muss damit leben, dass das Land, in dem sie aufgewachsen ist, vielleicht nicht mehr ihre Heimat sein kann. "Man findet sich mit dem Tod irgendwann ab, man denkt 'Schicksal". Aber je mehr Zeit vergeht: Mit diesem Schmerz kommt man nicht klar", sagt Semiya Simsek. Und mit dem Schmerz kommen die Zweifel. Der Film stellt Fragen. So zum Beispiel, was es bedeutet, wenn eine rechtsextreme Terrorzelle mitten in unserer Gesellschaft agieren kann - ungeahndet, und das über viele Jahre. Was heißt es für den Stand der Integration, wenn das Unwort "Döner-Morde" bereitwillig akzeptiert wird? Im Zentrum der Dokumentation, mit der eine längere filmische Begleitung des NSU-Prozesses beginnt, steht die Zerrissenheit eines Opfers, das das Vertrauen in die Bundesrepublik verloren hat. Die kurzfristige Verschiebung des Prozesses hat die Opfer nochmals sehr stark belastet. Sie alle hatten nicht nur Reisen gebucht und sich Urlaub genommen, sondern sich auch emotional darauf vorbereitet, nach vielen Jahren der Verunsicherung den mutmaßlichen Mittätern bei den Morden an ihren Verwandten gegenüberzutreten. Der Blick von Semiya Simsek auf den Prozess ist zentral für den Film: Ihre Ansicht ist entscheidend für eine gesellschaftliche Aufarbeitung, weil sie zu einer Gruppe von Menschen gehört, die in der Aufklärung der Morde schmerzlich vernachlässigt wurde - die der Opfer.
(ZDF)
Länge: ca. 30 min.
Deutsche TV-Premiere: 13.05.2013 (3sat)
Cast & Crew
- Drehbuch: Katja Riha, Clemens Riha