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TV-Kritik/Review: "Hafen ohne Gnade" zeigt geschickt Täuschungen und Enttäuschungen
(30.01.2024)
Täuschungen und Enttäuschungen begleiten Familie Leprieur seit Jahren. Patriarch Pierre gehört zu den Arbeitern in den Docks von Le Havre.
Pierre stört Drogenhandel im Hafen
Familienvorstand Pierre kommt traurig nach Hause. Überraschung! Ehefrau Laurence (Astrid Whettnall) hat eine Party zu seinem Geburtstag organisiert. Doch wo steckt der jüngere Sohn Simon (Panayotis Pascot)? In einem Sportwagen rast er zusammen mit dem zwielichtigen Kumpel Kamel Kharbouch (Mounir Kateb) durch die Stadt. Polizisten verfolgen die übergeschnappten Kerle. Unterdessen hält Emma Leprieur (Margot Brancilhon) eine kleine Festrede auf ihren Vater. Ihr Bruder Jean (Pierre Lottin) folgt mit bitteren Anmerkungen über das Geburtstagskind. Unterdessen wird Simon verhaftet, und die Ordnungshüter entdecken eine Ladung Kokain. Pierre verdächtigt Jean krummer Touren: Irgendjemand im Autohaus des älteren Sohnes hat offensichtlich den Stoff in der Karre versteckt. Jean beteuert seine Unschuld. Ohnehin glaubt Pierre an eine Verschwörung, weil er die Dealer im Hafen stört.
Jean wird verhaftet
Emma erwischt ihre Mutter, wie sie haufenweise Koks entsorgt: Sag deinem Vater nichts davon
, bittet Laurence ihre Tochter. Schockiert beobachten die Eltern, wie die Polizei Simon abführt. Später erhält Jean einen Anruf, dass seine Geschäftsräume brennen. Durch eine plötzliche Hausdurchsuchung kann er nicht zum Unglücksort eilen. Schließlich wird er wegen des Verdachts auf Drogenhandel verhaftet - das untergräbt die Glaubwürdigkeit von Pierre als Gegner der Kriminellen.
Simon steht vor Gericht
Rechtsanwältin Emma vertritt Simon, der sich wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit
verantworten muss. Pierre bringt Lebensmittel in eine heruntergekommene Unterkunft und spricht aus dem Hintergrund: In diesem Haus meiner Kindheit habe ich meine Geheimnisse vergraben
. Dann besucht er Sébastian Prévost (Xavier Beauvois), selbst wenn er den Generalsekretär der Gewerkschaft verachtet. Der Hafenarbeiter überwindet seinen Stolz, um den Funktionär um einen Job für Simon zu bitten. Sonst droht seinem Sohn der Knast, denn der junge Bursche hat einiges angestellt. Das Gerichtsverfahren endet mit einem Freispruch, zumal Simon nie zuvor verurteilt worden ist und angeblich nichts mit dem Kokain im Sportwagen zu tun hat. Indes rüffelt er seine Mutter, dass sie das Haus vom Stoff gesäubert hat.
"Man kann sich gar nicht vorstellen, eines Tages so zu enden"
Ein seltsamer Typ erreicht Pierre in der Dunkelheit. Der Mann übergibt eine zusammengeknüllte Tüte - und schlägt den Hafenarbeiter. Unter bizarren Umständen fällt ein Schuss - eine gute Gelegenheit, um den eigenen Tod für das TV-Publikum zu kommentieren. Ich bin elendig verreckt
, berichtet das Opfer: Man kann sich gar nicht vorstellen, eines Tages so zu enden
. Ab und zu erläutert Pierre unsichtbar das Geschehen in allen Episoden. Pierre sieht, wie er seine Familie verletzt: Ich wünschte, ich hätte euch alles sagen können, damit dieser Fluch ein Ende nimmt und nicht auch euch zerstört
. Laurence und ihre Kinder erkennen langsam, warum Pierre das Bankkonto leergeräumt hat und welche Rolle die Prostituierte Joy (Eliane Umuhire) in seinem Leben gespielt hat. Die Drogengeschäfte reichen von den Docks bis in die Familie. Nicht zuletzt kriechen alte Geheimnisse aus ihrem Loch.
Produktionsteam porträtiert Milieu und vermittelt Gefühle
Maxime Crupaux und Baptiste Fillon haben die Verwicklungen geschickt in ihrem Drehbuch arrangiert. Auch Regisseur Vincent Maël Cardona schafft Übersicht auf den Bildschirmen. Die Macher von "Hafen ohne Gnade" verpacken Gesellschaftskritik in aufregenden und überraschenden Ereignissen. Sie porträtieren nebenbei das Milieu verständnisvoll. Ferner vermitteln sie die Gefühle und Aktivitäten der Charaktere. Sensibel verkörpern die Schauspieler ihre zerrissenen Figuren. So hebt der Belgier Olivier Gourmet seinen Pierre Leprieur auf ein hohes Niveau. Seine Leistungen begeistern, obgleich er nach der ersten Folge lediglich in Rückblenden erscheint. Doch diese Einblicke in die Vergangenheit klären einige Zusammenhänge.
Erfahren wir mehr im letzten Augenblick
Hoffentlich werden die losen Enden im letzten Augenblick miteinander verknüpft. Bis zur vierten Folge ist jedenfalls nicht zu erkennen, was Polizist Ishan Bayar (Gringe) treibt und welche Schuld Pierres Bruder Christophe (Phillipe Rebbot) zu tragen hat. Simon scheint sein Gewissen zu verkaufen. Unerschütterlich versichert er der Familie seine Tugend. Warum hilft Jean seinem Onkel, obwohl er ihn hasst? Wie stehen Emma und Untersuchungsrichter Julien d'Entrecasteaux (Julian Aventurier) wirklich zueinander? Wohin verschwand einst der Vater von Laurence?
Atmosphäre zwischen Containern und Bistro fasziniert
Die Atmosphäre ist zu schmecken und zu riechen. Wie in
Zigarettenqualm und Arien verstärken Stimmung
Kaum zeitgemäß wabert ständig Zigarettenqualm wie in den 70er-Jahren. Hier wird eher Schnaps und Bier gesoffen als ein gepflegter Drink genossen. Smartphones überbringen verstörende Mitteilungen. Ein Besuch an einem Strand der Normandie verschafft eine Pause von den Gefahren. Das teure Boot von Jean wirkt als Fremdkörper. Das Team hat wesentliche Teile der Handlung in den Abend oder in die Nacht verlagert - irgendwie seltsam, wenn sogar schreckliche Geschehnisse angenehm beleuchtet werden. Brice Pancot verordnet seinen Kameras originelle Perspektiven, indem er etwa aus der Höhe auf einen Zwischenfall hinabfährt. Der visuelle Einfallsreichtum aller Beteiligten verdient Lob. Maxence Dussère verstärkt die Stimmung mit seiner treffenden Musik. Je nach Situation wechselt moderner Sound etwa zu einer Arie.
arte gewinnt mit Aussichten auf Gnade
Religiöse Anspielungen gehören zu "Hafen ohne Gnade". Dieses spannende Drama gewinnt durch die Konflikte zwischen Moral und Eigennutz. Pierre und seine Söhne kämpfen gegeneinander. Laurence greift Emma an: Die Tochter bevorzuge den Schein in Paris anstelle des einfachen Lebens in Le Havre. Jean kokst und betrügt seine Ehefrau: Andererseits will er keinesfalls Céline und ihre gemeinsame Tochter Charlotte (Zoé Lenoir) aufgeben. Uns bleibt die vage Aussicht auf Gnade für persönliches Versagen. Solche philosophischen und psychologischen Erkenntnisse bereichern die Miniserie, mit der sich arte wieder mal hervorhebt.
Dieser Text beruht auf der Sichtung von vier der sechs Folgen "Hafen ohne Gnade - Haven of Grace".
Vom 31. Januar bis zum 15. März steht die komplette Miniserie auf arte.tv und in der ARD Mediathek zum Streaming bereit. Zudem laufen die ersten drei Episoden im Fernsehen bei arte - am 8. Februar um 21.40 Uhr. Der Rest ist am 15. Februar um 22.25 Uhr zu sehen.
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