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TV-Kritik/Review: "The Good Lord Bird": Western-Miniserie über militanten Sklavereigegner begeistert mit Ethan Hawke
(25.10.2020)
Auf die Frage, wer John Brown war, wird man in Europa wohl größtenteils Achselzucken ernten: Allerweltsname, keine Ahnung! In den USA sieht das deutlich anders aus - dort wird Brown im Geschichtsunterricht erwähnt, als zwiespältige Figur, als Outlaw aus der Zeit direkt vor Ausbruch des Sezessionskriegs. Und es dürfte selbst heute noch davon abhängen, wo genau man in den USA aufgewachsen ist, ob man Brown eher als heroischen Revoluzzer oder aber als mordlüsternen Terroristen vermittelt bekommen hat. Und das Beste des vielen Tollen, was über die siebenteilige Showtime-Miniserie
Der fromme Brown (1800-1859), der fast Priester geworden wäre, fühlte sich von niemand Geringerem als Gott dazu berufen, gegen das amerikanische Grundübel der Sklaverei vorzugehen: Aus den Nordstaaten kommend, zog er in seinem letzten Lebensjahrzehnt mit einem versprengten Trüppchen Anhänger, darunter seine Söhne, durch die sklavenhaltenden Südstaaten, um seinem Ansinnen Geltung zu verschaffen und die Schwarzen aus den Ketten der Plantagenbesitzer zu befreien. Und zwar mit Gewalt. Die berüchtigtste Episode seiner Laufbahn markierte zugleich auch deren Ende: Der Überfall auf die Harpers Ferry Armory (Waffenfabrik) in Virginia sollte 1859 zum Startschuss werden für eine staatenübergreifende Sklavenbefreiungsbewegung - entwickelte sich aber zum Debakel. John Brown landete in Haft und wurde schließlich exekutiert, übrigens als allererster US-Amerikaner wegen Hochverrats. Bis heute debattiert die Geschichtswissenschaft darüber, ob der Vorfall schon der Startschuss war für den Amerikanischen Bürgerkrieg, der offiziell erst zwei Jahre später, nach der Wahl Lincolns zum US-Präsidenten, ausbrach - oder ob Harpers Ferry eher als das letzte große, den Krieg vorwegnehmende Ereignis anzusehen ist.
Mit Brown am Galgen lassen Hawke und Co-Autor Mark Richard (Produzent von
Das liegt auch an der Vorlage: "The Good Lord Bird" basiert auf dem gleichnamigen Roman von James McBride, der 2013 den National Book Award gewann. Das Buch blickt aus der Außenperspektive eines schwarzen Teenagers auf John Brown: Henry Shackleton wird von Brown befreit und wie ein Kind aufgenommen, aus Henrys Sicht wird der Plot erzählt - es ist eine Art Entwicklungs- und Schelmenroman, der Motive aus Mark Twains "Huckleberry Finn" mit Robin-Hood-Motiven verknüpft und dabei die historischen Wirren jener Ära ganz beiläufig miterzählt.
Buch wie Serie beginnen in Kansas, ein Staat, der in der Sklavereifrage damals unentschlossen war und in der Mangel nordstaatlicher Abolitionisten (Abschaffung der Sklaverei), der "Free Staters", und südstaatlicher Sklavereibefürworter steckte. Die Scharmützel, die diverse Milizen, dort miteinander veranstalteten, stehen heute unter dem Schlagwort "Bleeding Kansas" in den Geschichtsbüchern: Wie Browns Armee, Rothemden und US-Armee sich im blickdichten Gebüsch der Wälder gegenseitig über den Haufen schießen, das hat fast Monty Python-Qualitäten.
Zu Beginn sitzt Brown in Kansas in einem Saloon, der auch als Friseursalon benutzt wird. Henry ist der Sohn dieses Friseurs. Als der weiße alte Mann Dutch (David Morse, ihr
auch ganz anders um als mit einem Jungen.
Unter dem augenzwinkernden Motto All dies ist wahr - und das meiste davon ist sogar geschehen
, das den Episoden jeweils programmatisch vorangestellt wird, geht es von den Kleinkrieggebieten in Bleeding Kansas bald schon weiter ostwärts, zwischendurch wird Onion auch von Browns Kamarilla getrennt: Er trifft den Sklaven Bob (super: Hubert Pont-Du Jour), der sich Brown ebenfalls anschließt, landet zeitweise als Hilfskraft in einem Bordell, in dem sich die Rassismen und Sexismen der damaligen Zeit in aller Deutlichkeit vor ihm ausbreiten - und natürlich auch Parallelenziehungen ins Trump-Amerika von heute ermöglichen. Es ist kein Wunder, dass längst die heutzutage traurigerweise automatischen Downvoting-Kampagnen eingesetzt haben. Für White Supremacists ist "The Good Lord Bird" jedenfalls nix: Hawke besetzte jede Menge vielversprechender schwarzer Darstellerinnen und Darsteller aus der bislang noch zweiten Riege (etwa McKinley Belcher III aus
Wem das zu eindimensional klingt, der sei beruhigt: Alles wird bestens aufgefangen durch die in sich selbst so großartig widersprüchliche Rolle des John Brown selbst. Ethan Hawke liefert die überdrehteste Overacting-Performance seiner Karriere - ohne dass dies auch nur eine Sekunde lang nerven würde. Es ist genau die richtige Darstellungsweise für diesen Mann, der sich mal in endlos vor sich hin schwafelnden Predigten verliert, mal mit dem Furor des glutäugigen "Nachfolgers Petri" die Getreuen zum Kampf aufruft, mal aus der Ferne dabei beobachtet wird, wie er einem Kaninchen frömmelnde Reden hält - und zwischendurch immer wieder völlig ruhige, väterlich-gutmütige Gesten der Zuneigung und des unbedingten Humanismus einflicht, als ginge das alles bestens zusammen. Das Erstaunliche: Es passt zusammen! Und funktioniert hervorragend. Als ideale Spiegelfiguren dienen dabei, neben Onion, auch seine vier mit ihm umherziehenden Söhne. Nach Alter absteigend sind dies Owen (Beau Knapp aus
Als Fluchtpunkt der sieben Folgen ist der Überfall auf die Harpers Ferry Armory zu erwarten, auf dem Weg dahin dürften noch weitere verbürgte Anekdoten vorkommen - und die dazugehörigen historischen Figuren. So sind etwa die legendären Vordenker des Abolitionismus Harriet Tubman und Frederick Douglass angekündigt, in der ersten Episode gibt es bereits ein amüsantes Zusammentreffen mit dem berüchtigten späteren Konföderierten-General Jeb Stuart (gespielt von Wyatt Russell aus
Das Aufregendste an "The Good Lord Bird" (der Titel bezieht sich auf den heute ausgestorbenen, mit kecker roter Haube prunkenden "Elfenbeinspecht", dem in den von Brown durchstreiften nordamerikanischen Wäldern noch begegnet werden konnte) ist fraglos der wilde, aber überraschend mühelose Stilmix: Western, Historienserie, Charakterporträt, Abenteuer und groteske Komödie gehen in der Inszenierung der kinoerfahrenen Regisseure Albert Hughes (
Der Effekt ist eher ein anderer: Die historisch verbürgte Widersprüchlichkeit John Browns (mal gütiger Vater, mal brutaler Schlächter) findet im rasanten Wechsel der Tonlage eine geradezu ideale Entsprechung: War er ein Verräter? Ein sogenannter white saviour, der gerade im Retterkomplex den Schwarzen gegenüber eben doch wieder nur die weiße Unverzichtbarkeit zementiert? Auf jeden Fall war er wohl, so inszeniert es die Serie, recht durchgeknallt. Wenn Hawke und Richard, ihre Autoren und Regisseure das bis ins Finale so durchhalten können, ist für eine äußerst clevere und allzeit unterhaltsame und vor allem in den absurden Dialogen oft auch himmelschreiend komische Produktion gesorgt: Und selbst wenn's mal tempomäßig haken sollte, gehört der Soundtrack aus Gospel, Bluegrass und anderen Südstaatenklängen sicher zum Hörenswertesten der Seriensaison.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von "The Good Lord Bird".
Die siebenteilige Miniserie "The Good Lord Bird" feiert aktuell ihre Weltpremiere beim US-amerikanischen Sender Showtime. Sky Deutschland wird die Serie ab dem 6. November 2020 jeweils freitags in Doppelfolgen nach Deutschland holen.
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