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TV-Kritik/Review: "This is Going to Hurt": Wohl und Wehen auf der Geburtsstation
(01.11.2022)
Richtig gute Krankenhausserien hat es in letzter Zeit kaum gegeben - diese hier ist eine. Ben Whishaw spielt in
Nach den ersten paar Minuten von "This is Going to Hurt" dürften die meisten Zuschauer für sich entschieden haben, ob sie sich diesen sieben Episoden aussetzen wollen oder nicht. Da läuft Adam Kay (Whishaw), der die Nacht zwischen Überstunden und Frühschicht in seinem auf dem Parkplatz abgestellten Auto schlafend verbracht hat, auf seine Arbeitsstätte zu, ein staatliches Krankenhaus im Londoner East End. Davor findet er eine hochschwangere Frau vor, die neben erkennbaren Wehen auch von Ratlosigkeit geplagt ist - irgendwas scheint nicht in Ordnung zu sein.
Adam schaut kurz nach und entdeckt einen Säuglingsarm, der bereits aus der Vagina der Frau herausragt. Das Baby liegt quer. Ist das normal?
, fragt die Frau. Raten Sie mal
, entgegnet Adam - allerdings sagt er das nicht der Frau, sondern den Zuschauern, die er dabei vielsagend anblickt. Noch in seinen Alltagsklamotten schleppt er die Patientin dann (Sind Sie wirklich Arzt?
, fragt sie zwischen ihren Schmerzensschreien) durch die Hintertür ins Krankenhaus, und während einer abenteuerlichen Fahrt mit dem Paternoster baumelt plötzlich die Nabelschnur aus der Frau heraus. Die letzten Meter bis zum rettenden Kaiserschnitt sind kein Waldspaziergang.
Mit diesem Notfall - so absurd, wie es Notfälle nicht selten sind - poltert die britisch-amerikanische Produktion direkt mit der Tür ins erzählerische Haus. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass sich in dieser Serie Dinge im gynäkologischen Bereich ereignen, die sich so nicht ereignen sollten, und die Regisseure Lucy Forbes und Tom Kingsley gehen da grundsätzlich nicht vornehm drüber hinweg. Wer in solchen Sachen empfindlich ist, zumal es dabei oft um die Gesundheit oder gar das Leben der beteiligten Frauen und Säuglinge geht, sei hiermit vorgewarnt - die beschriebene Einstiegssequenz ist ideal dafür geeignet, das, was da im Folgenden zu erwarten sein wird, einschätzen zu können. Meine Empfehlung lautet jedenfalls: dranbleiben, es lohnt sich!
Diesen Adam Kay, den gibt es übrigens wirklich. Auf seinen Erinnerungen (die in Deutschland 2018 unter dem Titel "Jetzt tut es gleich ein bisschen weh" bei Goldmann erschienen sind) basiert die Serie, auch wenn der frühere Arzt die Gesundheitsbranche inzwischen verlassen hat und ausschließlich als Autor und Comedian tätig ist. In seinem Buch schildert er, mit typisch britischem Trockenhumor und schonungsloser Offenheit, die Zustände, die er Mitte der Nullerjahre als junior doctor (bei uns etwa: Arzt im Praktikum) in der Geburtsstation eines NHS-Krankenhauses in London vorgefunden hatte. Das waren keine guten Zustände: zu wenige Ärzt*innen und Hebammen für zu viele Patientinnen, permanente Übermüdung des Personals, strukturelle Defizite an allen Ecken. NHS, das ist der sogenannte National Health Service, das staatliche Gesundheitssystem Großbritanniens, einst der Leuchtturm des Nachkriegs-Wohlfahrtsstaates, später, wie so vieles, immer rabiater zusammengespart. Adam Kays Erinnerungen spielen nach den sozialen Kahlschlägen unter Maggie Thatcher, aber noch lange vor Brexit und Corona, die die Probleme noch dringlicher gemacht haben - weshalb die Serie ganz gut passt in eine Zeit, in der sich viele an die Balkonklatsch-Events für Pflegekräfte zu Beginn der Pandemie kaum noch erinnern mögen.
Eine dröge soziale Anklage sind aber weder das Buch noch jetzt die Serie, deren Drehbücher Kay höchstselbst verfasste; im Gegenteil, die Episoden mixen, in teilweise durchaus atemberaubendem Tempo, herrlich bösen Witz mit emotional aufwühlenden Szenen. Adam, dessen gelegentliches Beiseitesprechen in die Kamera an
Von Folge zu Folge wirft die Serie Schlaglichter auf die Zustände im Krankenhaus, wobei die Fehleinschätzung, die sich Adam in der ersten Episode leistet, als er eine junge Patientin irrtümlicherweise für eine Simulantin hält, eine Art roten Faden liefert, der sich durch die weiteren Episoden zieht. Das Frühchen, das nach einem Notkaiserschnitt in einem Brutkasten liegt, wird zu Adams unwahrscheinlichem Vertrauten: Immer wieder setzt er sich vor den Kasten und hält (einseitige) Zwiesprache, während ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet wird.
Nach und nach lernen wir das Personal in Adams Umfeld kennen: Dr. Jennings etwa, den Chefarzt der Station (herrlich ölig: Alex Jennings aus
Und dann ist da noch die junge und unerfahrene Shruti (Ambika Mod), die sich gerade aufs medizinische Staatsexamen (bzw. dessen britisches Pendant) vorbereitet. Adam soll für sie den Mentor spielen, hat aber kaum Lust dazu. Schroff und herablassend verhält er sich gegenüber der ambitionierten Anfängerin, die in der Folge in eine erdrückende Sinnkrise abdriftet, die "This is Going to Hurt" dem Serientitel gemäß konsequent ausbuchstabiert. Newcomerin Mod macht Shruti schleichend zum eigentlichen emotionalen Zentrum der Staffel - eine Darstellerin, die man sich merken sollte.
Während auf der Station buchstäblich die Wände einstürzen, integriert Kay das aus bewährten Krankenhausserien bekannte Patient-der-Woche-Prinzip in den Plot, zumindest am Rande; in jeder Episode gibt es eine oder mehrere Patientinnen, an denen beispielhaft vorgeführt wird, was auf so einer Geburtsstation alles geschehen (und schiefgehen) kann. Es geht um medizinische Probleme ebenso wie um soziale, um unschöne Gespräche, die geführt werden müssen, und auch um häusliche Gewalt. Adams und Shrutis Idealismus zerschellt immer wieder an den durch die Zustände gesetzten Limitierungen.
Adam ist dabei alles andere als ein "Held"; der Stress und die Unzulänglichkeiten seines Arbeitsalltags haben sich auch in seine Umgangsformen eingeschrieben. Einerseits ist seine Sensibilität klar erkennbar - als eine ältere Patientin stirbt, die er betreute, setzt ihm das sichtlich zu. Andererseits ist es der Serie (und Whishaw) hoch anzurechnen, dass sie den Mut haben, den Protagonisten immer wieder deutlich unsympathisch zu zeichnen, nicht nur, wenn er mal wieder alle helfenden Hände beiseiteschiebt, die sich ihm anbieten, oder wenn er seine Freunde regelmäßig verprellt und enttäuscht. Letzteres gilt auch für seinen Partner Harry (Rory Fleck Byrne,
Zunehmend gebannt folgt man Adams Versuchen, Arbeit und Privatleben, Freundes- und Kollegenkreis erfolglos miteinander auszubalancieren. Eine Verlobungsfeier endet in einem schwer mitanzusehenden Desaster: Whishaw spielt Adams Selbsthass so intensiv, dass es schmerzt. Am Ende, nach schmerzlichen Verlusten, bleibt ein bisschen Hoffnung zurück - auch im NHS-Hospital. Zwischenzeitlich ließ Adam sich in ein sündhaft teures Privatkrankenhaus verleihen, in dem die Ärzte von Kellnern bedient werden und einzelne Patienten ganze Etagen für sich reservieren; an einem markanten Beispiel wird dort gezeigt, dass auch im medizinischen Privatsektor längst nicht alles Gold ist, was da so glänzt in den mahagonigetäfelten Suiten.
Ob "This is Going to Hurt" fortgesetzt wird, auch über das durch Kays Erinnerungsbuch vorgegebene Material hinaus, das ist, scheint's, noch nicht entschieden. Fest steht jedoch: Wohl und Wehe(n) auf Adams Geburtsstation würde man gerne auch jenseits des Miniserien-Formats folgen. Eine gelungenere und unterhaltsamere Mischung aus Witz und Bitterkeit, Charakterporträt und Sozialkritik war zuletzt selten zu erleben.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der kompletten Staffel von "This is Going to Hurt".
Alle bisherigen sieben Episoden von "This is Going to Hurt" wurden Ende Oktober beim Streamnganbieter MagentaTV veröffentlicht.
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