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TV-Kritik/Review: "Paper Girls": Amazons Comicadaption ist viel mehr als nur ein "Stranger Things"-Klon
von Marcus Kirzynowski(29.07.2022)

Es ist 1988, der Morgen nach Halloween, auch Höllenmorgen genannt. In Stony Stream, einem (fiktiven) Vorort von Cleveland, Ohio, macht sich die 12-jährige Erin (Riley Lai Nelet) auf ihre erste Tour als Zeitungszustellerin. Ausgerechnet in der gefährlichsten Nacht des Jahres, da noch viele hemmungslose Jugendliche in Horrorkostümen unterwegs sind, die Ärger suchen. Als Erin auch prompt von einigen verkleideten halbstarken Jungs belästigt wird, stehen ihr drei Kolleginnen zur Seite: mit großem Mundwerk, aber auch mit einem Eishockeyschläger. Schnell wird klar: Paper Girls lassen sich nichts gefallen und sind untereinander solidarisch. Beide Stärken werden die vier Mädchen noch oft gebrauchen, denn am selben Morgen geraten sie in ein unglaubliches Abenteuer, bei dem es um nicht weniger geht als die Rettung des Universums.
Die Amazon-Produktion
Tatsächlich wirkt Amazons Comicadaption zunächst fast wie ein Klon des Retro-Serienhits von Konkurrent Netflix - spielt doch auch die neue Serie (zu Beginn) in den 1980er Jahren und hat Pre-Teens als Hauptfiguren, quasi als Gegenentwurf zu den Jungs in "Stranger Things" allerdings vier Mädchen, die auch noch auf Bonanzarädern durch eine Kleinstadt fahren. Schon ab der zweiten Folge entwickelt sich die Serie um die jungen Zeitungsausträgerinnen aber in eine eigenständige Richtung.

Denn nachdem sich der Himmel bedrohlich lila-pink verfärbt hat und ihnen höchst seltsame Männer begegnen (anders als im Comic keine Aliens), finden sich Erin, Mac, Tiffany und K.J. mittels einer Zeitmaschine plötzlich 31 Jahre in der Zukunft wieder. In den insgesamt acht Episoden der ersten Staffel geht es noch ein paar Mal in der Zeit hin und her. Das Wie und Warum des Zeitreisens bleibt dabei reichlich diffus, es wird lediglich klar, dass die Mädchen in einen die Jahrtausende überspannenden Krieg geraten sind. In dem kämpfen zwei Parteien, von denen man nur soviel wissen muss: Es gibt die "Bösen", die wollen, dass alles bleibt, wie es ist, da sie dann die Macht behalten (wie genau sie diese ausüben, wird wiederum nicht klar, scheint doch die Demokratie in den USA im Jahr 2019 unverändert), und die "Guten", eine Untergrundbewegung, die will, dass alles wieder so wird, wie es vor einer Abweichung der Normalzeit war.
Dieser Zeitkrieg ist mit einigem Techno-Bubble verbunden, den man aber getrost ignorieren kann. Er liefert zwar genügend Anlässe für die eiskalt wirkende Prioress (Adina Porter,

Weniger begeistert ist hingegen Erin, als sie ihrem 43-jährigen Alter Ego begegnet, lebt die erwachsene Erin (Ali Wong) doch immer noch im Haus der inzwischen verstorbenen Mutter, hat weder eine eigene Familie noch einen akademischen Abschluss und nimmt zudem noch Antidepressiva. Und auch Tiffany (Camryn Jones) ist nach erstem Enthusiasmus eher enttäuscht, als sie erfährt, dass die zunächst sehr cool wirkende ältere Tiff (noch?) nicht die brillante Karriere gemacht hat, die sich die 12-Jährige erträumt hatte. Und K.J. (Fina Strazza) reagiert schockiert, als sie von der Kommilitonin ihres älteren Selbst nicht nur erfährt, dass sie zur Filmhochschule gehen wird, sondern auch mitbekommt, dass die Beiden ein Paar sind.
Obwohl es auch reichlich Actionszenen gibt - inklusive riesiger Kampfroboter à la

Dass die Auseinandersetzung mit diesen Fragen nie platt ausfällt, liegt an zwei großen Pluspunkten der Serie: den ebenso cleveren wie pointierten Dialogen und den großartigen Hauptdarstellerinnnen. Zwar sind letzere auch hier mal wieder - wie in US-Produktionen üblich - deutlich älter als ihre Figuren, dafür sind sie exzellent besetzt. Mit der smarten, selbstbewussten Afro-Amerikanerin Tiffany, der unsichereren Chinesin Erin, der stillen Jüdin K.J. und der großmäuligen Weißen Mac, von denen dann noch zwei aus wohlhabenden und zwei aus der Unter- bis Mittelschicht stammen, ist das Ensemble der Heldinnen zudem erfrischend divers und bietet Stoff für viele interessante Diskussionen.
Und tatsächlich werden Themen wie Klassenunterschiede und Antisemitismus schon in den ersten Folgen ganz selbstverständlich in die Handlung eingebaut. Noch ungewöhnlicher für eine US-Mainstreamserie ist es, wenn die Mädchen einmal minutenlang über die erste Periode und ihre Unsicherheit bei der richtigen Anwendung von Tampons reden, was sensibel und völlig unpeinlich rüberkommt.

Das unterstreicht eindrucksvoll, dass die AutorInnen (Stephany Folsom adaptierte die Comicvorlage) ihre jugendlichen Figuren und deren Probleme ebenso ernst nehmen wie ihre vermutliche Hauptzielgruppe. Showrunner Christopher C. Rogers und sein Partner als Autor und Produzent Christopher Cantwell haben schon mit der sträflich unterschätzten AMC-Serie
Dieser Text basiert auf der Sichtung der kompletten ersten Staffel von "Paper Girls".
Die achtteilige erste Staffel steht ab Freitag, den 29. Juli bei Prime Video zur Verfügung.
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