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Interview mit Filmemacher Jochen Schmoll über die Dokumentation "Ausgesetzt. Kletterexpedition über dem Polarmeer".
(11.02.2010)
Interview mit Filmemacher Jochen Schmoll über die Dokumentation "Ausgesetzt. Kletterexpedition über dem Polarmeer".
Im April 2008 sind die beiden Extrembergsteiger Stefan Glowacz und Robert Jasper auf Baffin Island, einer fast menschenleeren Insel im Norden Kanadas, unterwegs zum Quernbitter Fjord, wo gewaltige Felsen aus dem Eis ragen. Niemand zuvor hat eine dieser Granitwände je bezwungen. Bei Minusgraden wollen sie die ersten sein, die eine 700 Meter hohe Wand erklettern. Begleitet werden die Bergsteiger vom Filmemacher Jochen Schmoll, der die Expedition bis zum Fuß der Wand mit der Kamera festhält. Mit wunschliste.de unterhielt sich der Regisseur und Kameramann über die extremen Drehbedingungen in Kanada, den schwierigen Ruf von Kletterfilmen und das Glück, dass es Arte gibt.
Stefan Glowacz und Robert Jasper sind international bekannte Extremsportler. Wie kam es dazu, dass Sie die beiden Kletterer auf ihrer Expedition begleiteten?
Jochen Schmoll: Wir kennen uns schon seit über zehn Jahren. Mit Robert Jasper hab ich meinen ersten Film gemacht, 1996. Ein Portrait über ihn, fürs DSF damals. Und seitdem machen wir immer wieder gemeinsame Projekte. Mit Stefan Glowacz war ich 2001 zusammen in Kenia. Man ist immer in Verbindung und ich weiß, was für Expeditionen die Jungs vorhaben. In diesem Fall war es so, dass die Initiative für den Film fast von mir ausging. Diese Aktion auf Baffin Island fand ich einfach super spannend, weil es auch eine Gegend ist, die man so nicht kennt und die man dadurch auch mal auf eine andere Art und Weise kennen lernen kann. Sonst sind Dokumentarfilme über arktische Regionen ja eher Naturdokus. In dieser Gegend einen Kletterfilm zu machen, das dachte ich mir damals, ist sicher interessant für Fernsehsender.
Wie viele Personen waren bei der Expedition dabei?
JS: Von den Kletterern waren es Robert Jasper und Stefan Glowacz, sowie Holger Heuber, der zum einen als Kletterer dabei war, zum anderen aber auch gefilmt hat. Zudem war Mariusz Hoffmann dabei - auch als Kletterer - und Klaus Fengler als Fotograf. Das waren die fünf Leute im Kletterteam, und dann gab es eben noch das Filmteam. Da waren wir auch noch mal zu fünft.
Haben Sie selbst die Kamera auch geführt?
JS: Ja, nicht ausschließlich, aber ich hab die Hauptkamera gemacht. Wir hatten dort zwei Kameras, ein Kameramann von der BBC aus England war noch dabei, Robin Cox. Das Konzept, das wir uns vorgestellt hatten war, das Kletterteam mit dem großen Filmteam zu begleiten, bis sie ihre Wand gefunden haben. Und sie dann dort an ihrer Wand auszusetzen. Deswegen heißt der Film auch "Ausgesetzt". Das Filmteam sollte mit den Einheimischen und ihren Motorschlitten zurückkehren und die Kletterer möglichst auf sich alleine gestellt lassen. Ab da hat dann auch Holger Heuber den Part des Kameramannes übernommen.
Wie kam es zu dieser Idee?
JS: In der Vergangenheit kam schon häufiger der Kritikpunkt auf, man würde immer vom großen Abenteuer abseits der ausgetretenen Pfade erzählen, aber dann ist ein großes Filmteam dabei. Deswegen haben wir dieses Mal das Konzept gemacht: Bis zur Wand arbeiten wir mit richtig viel Aufwand, mit Kamerakran und mit einer 35mm-Kamera und in dem Moment, in dem sie ihre Wand erreichen, setzen wir sie aus und wechseln zum dokumentarischen Stil.
Dreharbeiten bei solch extremen klimatischen Bedingungen sind nicht ungewöhnlich in Ihrer Biografie. Für das ZDF haben Sie unter anderem die Dokumentationen "Aufstieg in die Todeszone" und "Höhenkoller im Himalaja" gemacht. Kam der Extremsportler Jochen Schmoll zum Filmemachen oder der Filmemacher zum Extremsport?
JS: Es war eine Kombination, die sich immer weiter entwickelt hat. Ich denke aber, dass ich als Filmemacher schon mehr und mehr zum Extremsport gekommen bin. Als ich angefangen habe Filme zu machen, war ich auch schon Hobbykletterer, aber von solchen Dingen konnte ich nur träumen. Leute wie Stefan Glowacz und Robert Jasper waren große Idole für mich. Durch die Filmerei bin ich mit denen in Kontakt gekommen und wurde von ihnen mehr oder weniger mitgenommen ins wirkliche Extremklettern. Mein Weg ging also schon eher übers Filmen ins Extrembergsteigen.
Wie lange war die Vorbereitungszeit bei "Ausgesetzt"?
JS: Mit der ganzen Materialvorbereitung, Kameraequipment, Logistik und Drehbuch waren wir sicherlich drei Monate beschäftigt, bevor es losging.
Wie sieht ein Drehbuch bei einem Film dieser Art aus? Waren Begegnungen mit den Einheimischen vorher abgesprochen?
JS: Abgesprochen war wenig, aber man kann es sich ja einigermaßen vorstellen, was einen erwartet. Auch mit den Erfahrungen, die man von vergangenen Expeditionen hat. Es gab schon ein Drehbuch, aber Drehbücher bei solchen Filmen sind natürlich nur ein Leitfaden. Sehr viele Dinge passieren spontan, worauf man dann reagieren muss. Vorgegeben war, dass man gemeinsam mit den Einheimischen an den Fels fährt, wir wussten allerdings noch nicht, welche Wand wir wirklich suchen. Das ist ja Teil des Films, dass die Wand erst gesucht werden muss, an der dann wirklich geklettert wird. Es gab in diesem Fall schließlich keinen Berg, zu dem man hingefahren ist, sondern es gab Luftaufnahmen der Region. Daher wussten wir, dass dort irrsinnige Wände stehen. Da wollten die Kletterer hin und die Traumwand finden. Was dann auch tatsächlich auf Anhieb geklappt hat. Aber dass die erste Wand, die wir sehen, gleich die Erfüllung eines Kletterertraumes ist, kann man nicht in ein Drehbuch hineinschreiben. Am Ende war es so, aber planen kann man das natürlich nicht.
Sie waren die ersten Menschen überhaupt, die dort geklettert sind. Liegt das daran, dass es so wahnsinnig weit weg ist?
JS: Das zum einen. Zum anderen ist es nur eine ganz kurze Periode zwischen den Jahreszeiten, in der man dort wirklich klettern kann. Im Sommer geht es nicht, weil das Meer dann aufgebrochen ist und große Schollen Treibeis rumtreiben, dadurch kann man auch nicht mit einem kleinen Boot zu den Wänden fahren. Daher ist der Zugang im Sommer nicht möglich, außer über Land, was aber viel zu lange dauern würde. Und im Winter, wenn man mit Motorschlitten übers Meer heranfahren kann, ist es einfach zu kalt zum Klettern. Bei Minus 50 Grad geht da einfach nix, unmöglich. Daher mussten wir genau diese Zwischenphase treffen, in der der Frühling schon einsetzt, aber das Meer noch nicht aufgebrochen ist.
Wie tief waren die Temperaturen, als Sie dort waren?
JS: Angefangen hat es bei Minus 30 Grad, zumindest nachts, und dann hat es sich so langsam hochgearbeitet. An den letzten Tagen der Rückreise lagen die Temperaturen so um den Gefrierpunkt.
Gibt es bei derartigen Bedingungen auch besondere Anforderungen an die Kamera-Ausrüstung?
JS: Ja, wir hatten Schutzhüllen für die Kameras, auch Wärmepacks. Wir haben mit einem ganz neuen Kamerasystem gearbeitet: Die Kamera, die ich geführt habe, war ein digitale 35mm-Kamera, die ganz neu auf dem Markt war und die noch niemand zuvor bei diesen Verhältnissen getestet hatte. Auch da war ein großes Fragezeichen - steigt uns die Kamera am ersten Tag aus und wir können gar nicht drehen, oder verkraftet sie es gut? Tatsächlich gab es dann gar keine Probleme mit der Kamera, dafür aber mit den Festplatten. Denn mit der neuen Kamera haben wir nicht mehr auf Kassetten aufgezeichnet. Stattdessen musste das Material jede Nacht auf externe Festplatten kopiert werden, um den Kameraspeicher wieder freizubekommen. Aber die sind in der Kälte natürlich nicht angesprungen, sie haben sich nicht gedreht. Während die Kletterer schon in ihren Schlafsäcken lagen, hatten wir erst mal eine Stunde lang Festplatten unter den Achseln, um sie aufzuwärmen. Das war etwas mühsam, hat aber funktioniert.
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