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TV-Kritik/Review: "Davos 1917": Tolle Kulisse, dürftige Story
(19.12.2023)
Zeitgeschichte, Thriller-Spannung und die Emanzipation einer jungen Frau - all das möchte die sechsteilige Fernsehserie
Nach ihrem kräftezehrenden Einsatz kehrt sie im Jahr 1917 hochschwanger in ihre Schweizer Heimat zurück. Johannas Schwester Mathilde (Anna Schinz) und ihr Vater Peter (Hanspeter Müller-Drossaart) spielen ihr jedoch übel mit. Gleich nach der Entbindung wird der frischgebackenen Mutter ihr Baby entrissen. Eine uneheliche Tochter hat in Johannas Leben keinen Platz, da sie schon in Kürze den hiesigen Großrat Thanner (Sven Schelker) heiraten soll. Mit eben dieser Verbindung hofft Peter, seine finanziell angeschlagene Kurklinik in Davos zu retten.
Die Protagonistin lebt in einer patriarchalen Gesellschaft, die Frauen keine echte Entscheidungsgewalt zugesteht, sie in die häusliche Sphäre drängt. Politik wird von Männern gemacht. Und deshalb steht es auch nur ihnen zu, darüber zu reden. Das unterstreicht die Serie in einer frühen Dinner-Szene recht plakativ und bringt Mathilde als Verfechterin der herrschenden Ordnung in Stellung. Sie kennt ihren Platz, zweifelt ihn nicht an und rät Johanna eindringlich, sich zu fügen. Ein interessantes Gegengewicht bildet die wegen einer Lungenerkrankung im Sanatorium weilende Gräfin Ilse von Hausner (strahlt Präsenz aus: Jeanette Hain), die den öffentlichen Raum als Bühne nutzt und ungeniert in die männlichen Domänen vorstößt.Bei ihr handelt es sich um eine deutsche Agentin mit einem realen Vorbild namens Elsbeth Schragmüller. Von Hausner weiß um Johannas Mutterschicksal und sieht genau darin eine große Chance für den Geheimdienst. Die Schweiz mag im Krieg eine neutrale Haltung haben. In der Heilanstalt der Gabathulers tummeln sich dennoch einflussreiche Figuren aus Militär- und Spionagekreisen. Das Interesse der Gräfin gilt besonders dem britischen General Taylor (Cornelius Obonya), der eine klandestine Operation vorzubereiten scheint. In seinen Gemächern soll Johanna, die sich als Tochter des Klinikbesitzers relativ frei im Haus bewegen kann, nach Hinweisen suchen. Was Ilses brisantes Angebot verlockend macht: Sie kennt den Aufenthaltsort von Johannas Baby und verspricht ihr Geld für den Start in ein neues Leben unter falscher Identität.
Eine Zivilperson, die den Schrecken des Krieges im Feldlager hautnah erfahren hat, zu einer Spionin zu machen, ist erst einmal keine schlechte Idee. "Davos 1917" verpasst es aber, Johannas Motivation emotional wirkungsvoll zu unterfüttern. Der einzige Grund, warum sie sich auf den höchst riskanten Deal einlässt, ist der Wunsch, ihre Tochter wiederzusehen. Das durch die Trennung erlittene Trauma, den Schmerz der Krankenschwester, ihre Verzweiflung spürt man aber viel zu selten. Daran ändert auch eine Szene nichts, in der Johanna mit dem Gedanken spielt, sich in den Tod zu stürzen. Hier geht es schlichtweg zu schnell vom Verlust zur neuen Aufgabe.
Das atmosphärisch eingefangene Wintersetting macht nicht nur Lust auf einen Urlaub im Schnee, sondern bildet auch einen schönen Rahmen für die Thriller-Ebene der hübsch ausgestatteten, bislang teuersten Schweizer Serie. Inmitten einer imposanten, eisig kalten Berg- und Tallandschaft werden Intrigen gesponnen, die den Krieg entscheidend beeinflussen könnten. Das zumindest behaupten die Drehbücher. Tatsächlich verflüchtigt sich jedoch ein ums andere Mal der Eindruck, es hier mit Manövern von weltpolitischer Tragweite zu tun zu haben. Erfahrene Militär- und Geheimdienstakteure treffen sich ohne große Schutzmaßnahmen. Wichtige Unterlagen sind allzu leicht auffindbar. Und erst ein Spionagegrünschnabel wie Johanna kommt darauf, was das "H" in Taylors mysteriöser "Mission H" bedeutet. "Davos 1917" will eine packende Agentenstory erzählen. Die Nachforschungen der Hauptfigur tendieren häufig aber eher in Richtung Kalle-Blomquist, einschließlich platter Erklärdialoge. Warum nur müssen Dinge, die eigentlich offensichtlich sind, ständig wiederholt oder betont werden? Zum Nägelkauen reicht es nach Sichtung der ersten drei Episoden nicht, trotz treibender Musikuntermalung und eines love interest (David Kross) für Johanna mit eigener Agenda.
In der begutachteten Fassung wirkt die Serie außerdem etwas steril. Grund dafür ist einmal mehr die Angst vor fehlendem Verständnis. Passagen, in denen in der Originalversion Schweizerdeutsch gesprochen wird, wurden für die ARD-Ausstrahlung nachsynchronisiert. Ein echtes Ärgernis sind die eher lächerlich klingenden Akzente des britischen Generals Taylor und des mondänen russischen Kurgastes Olga Belova (Sunnyi Melles). Schon solche Irritationen machen es einem nicht gerade leicht, sich voll und ganz auf das Geschehen einzulassen.
"Davos 1917" hat eine reizvolle Prämisse, punktet mit einem erlesenen Szenenbild und einem stimmungsvollen Schauplatz, angelehnt an Thomas Manns Romanklassiker "Der Zauberberg". Kriegshintergründe, geheimdienstliche Winkelzüge und Johannas persönlicher Ausbruch befruchten sich allerdings nicht auf die gewünschte Weise. Zu vieles bleibt nach der dritten Folge Stückwerk.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei von insgesamt sechs Folgen der Serie "Davos 1917".
Die ersten drei Folgen der Serie "Davos 1917" werden am 20. Dezember in der ARD ausgestrahlt. Die Veröffentlichung der restlichen Episoden erfolgt am 21. Dezember. Zudem sind alle Folgen bereits ab dem 20. Dezember in der ARD Mediathek abrufbar.
Leserkommentare
burchi schrieb via tvforen.de am 22.12.2023, 14.03 Uhr:
Mir hat die Serie gefallen und sie schreit offensichtlich nach einer Fortsetzung - wenn die auch wieder monatelang auf sich warten lassen wird, so dass man gezwungen sein wird die ersten Folgen noch einmal zu sehen - was ich in ähnlichen Fällen aber trotzdem nie gemacht habe. :-)burchi schrieb via tvforen.de am 24.12.2023, 10.06 Uhr:
Ich glaube nicht, dass weitere Teile auch in Davos spielen würden. Den Namen müsste man schon ändern. Vielleicht Hamburg 1918...? :-)Besserwisserin schrieb via tvforen.de am 23.12.2023, 23.49 Uhr:
burchi schrieb:Mir hat die Serie gefallen und sie schreit
offensichtlich nach einer Fortsetzung
Klar: "Davos 1918", "Davos 1919", "Davos 1920" - damit dürfte man die nächsten Jahrzehnte beschäftigt sein.User 1653680 schrieb am 20.12.2023, 11.52 Uhr:
Was immer wieder bei deutschen Produktionen nervt ist der vernuschelte, durch Mikro-Angeln abgegriffene O-Ton. Da braucht man schon fast deutsche Untertitel.Serienfan00010 schrieb am 20.12.2023, 17.53 Uhr:
Stimmt nach der ersten Folge aufgehört.Serienfan00010 schrieb am 20.12.2023, 07.31 Uhr:
Leider kann man kaum was verstehen was die Sprechen wegen den den Dialekt.maxworld666 schrieb am 20.12.2023, 13.58 Uhr:
Da ist man als schweizer klar im vorteil ;-)
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