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Drama-Serie mit Taylor Schilling sorgt mit Macht für erhöhten Taschentuchverbrauch
Geht schon wieder: Edward (Colin O'Brien) muss bei Tante Lacey (Taylor Schilling) neu anfangen.
AppleTV+
TV-Kritik/Review: "Dear Edward": Absturz in ein neues Leben/AppleTV+

Ein Flugzeugabsturz. Fast 200 Tote. Nur einer überlebt: der 12-jährige Edward. Wie er dieses Trauma bewältigt und wie es den Angehörigen der Verunglückten ergeht, das hat Ann Napolitano in ihrem Romanbestseller "Dear Edward" erzählt. Jetzt hat  "Friday Night Lights"-Schöpfer Jason Katims aus dem Stoff eine zehnteilige Serie für AppleTV+ gemacht, mit Stars wie Taylor Schilling und Connie Britton. Die ersten drei Folgen sind bereits gelaufen und zeigen: Taschentücher sollte man beim Zuschauen ebenso vorrätig halten wie jede Menge Nachsicht gegenüber unfokussiertem Storytelling und aufdringlich eingesetzter Popmusik. Trotzdem lohnt sich die Serie.

Die Miniserie  "Dear Edward" kombiniert zwei ewige Klassiker des dramatischen Erzählens: Flugzeugabstürze und Hinterbliebenengeschichten. Erstere sind seit jeher ein lohnender Ausgangspunkt für Filme oder Serien -  "Lost" und zuletzt  "Yellowjackets" haben das eindrucksvoll bewiesen. Letztere nutzen das Unglücksereignis als Katalysator für Entwicklungen, die sich im Leben der zurückgelassenen Angehörigen sowieso schon abgezeichnet haben: Serien wie  "The Leftovers" oder  "The Returned", die beide auf übersinnliche Vorkommnisse reagieren ließen, haben gezeigt, dass sich daraus großartiges Fernsehen machen lässt.

"Dear Edward" mischt das nun zusammen, lässt Zweiteres aus Ersterem folgen. Im Mittelpunkt stehen nicht die Abgestürzten, sondern ihre Angehörigen; wie sie mit dem Verlust umgehen und was für ihre Leben daraus folgt, im Positiven wie Negativen. Fokusfigur ist dabei der titelgebende Junge, der den Crash überlebt, dessen Eltern bei dem Absturz aber ebenso ums Leben kommen wie sein Bruder. Die Medien labeln ihn als Miracle Boy, die Menschen schreiben ihm fortan (siehe Titel) Briefe, in denen er zum Bezugspunkt ihrer unausgesprochenen Probleme, Wünsche, Sorgen wird.

Doch in den ersten Episoden von "Dear Edward" geht es darum noch gar nicht. Napolitanos Roman heißt auf Deutsch "Der Morgen davor und das Leben danach", und in der Serie nimmt "der Morgen davor" ungefähr die erste Folge und "das Leben danach" den Rest in Anspruch. Der in Colorado abstürzende Flieger war auf dem Weg von New York nach Los Angeles; zu diesem fiktiven Unglück inspirieren ließ sich Napolitano vom Flug 771 der Afriqiyah Airways, der im Jahr 2010 in Libyen zu Boden ging - auch damals überlebte nur ein kleiner Junge.

Der Morgen davor: Edward radelt mit seinem älteren Bruder Jordan (Maxwell Jenkins, l.) ein letztes Mal durch den Central Park.
Der Morgen davor: Edward radelt mit seinem älteren Bruder Jordan (Maxwell Jenkins, l.) ein letztes Mal durch den Central Park. AppleTV+

Die Stunden vor der Katastrophe bilden also den Auftakt der Serie, die, wie sich schnell herauskristallisiert, die Schicksale mehrerer Angehörigenfamilien verfolgt, Schicksale, die sich mal nur sacht berühren und mal mehr miteinander zu tun bekommen. Edward selbst wird als Quasi-Wunderkind eingeführt, das brillant Klavier spielt und von seinen Eltern in New York zu Hause unterrichtet wird. Zum Glück spielt Newcomer Colin O'Brien den Zwölfjährigen sehr bodenständig, nie zu niedlich oder abgehoben. Edward ist ein schmächtiger, unsicherer Junge mit rötlichen Locken - tatsächlich der Letzte, von dem man vermuten würde, dass er einen Flugzeugabsturz überleben könnte. Sein Bruder Jordan (auch gut: Maxwell Jenkins aus  "Lost in Space") ist ein paar Jahre älter und frustriert davon, in schulischen und sonstigen Dingen im Schatten seines begabten Brüderchens zu stehen. In Los Angeles möchte er endlich eine richtige Schule besuchen. Dorthin, an die Westküste, will die Familie umziehen, weil die Mutter einem Jobangebot folgt.

Damit verbunden ist der zweite Handlungsstrang: Lacey (Taylor Schilling aus " "Orange is the New Black") ist Edwards Tante und lebt mit ihrem Mann John (Carter Hudson aus  "Snowfall") ein scheinbar angenehmes Kleinstadteben außerhalb von New York. Doch die Idylle trügt: Lacey ist seelisch zerrüttet, auch John mit den Nerven am Ende, weil der gemeinsame Kinderwunsch unerfüllt blieb, Fehlgeburten erlitten wurden. Zwischen Lacey und John steht es nicht zum Besten, unausgesprochene Schuldzuweisungen wabern ungut herum. In diese Situation platzt Edward: Der Überlebende soll fortan bei ihnen, den nächsten Angehörigen, leben.

Das Heilungsthema, das "Dear Edward" zugrunde liegt, dürfte an dieser Konstellation am eindeutigsten durchdekliniert werden: Die verzagte Lacey kann ihrem Dasein ausgerechnet dadurch neuen Sinn verleihen, dass ihr das gewünschte Kind gleichsam vom Schicksal ins Haus geliefert wird. Taylor Schilling kann dabei ihre ganze Bandbreite zeigen und macht das sehr gut: von am Boden zerstört über ratlos bis irritiert und offbeat-komisch, etwa wenn ihr eine Ärztin befiehlt, den unterernährten Ziehsohn endlich "mit Kalorien vollzupumpen" - und sie als ernährungsbewusste Vegetarierin mit ihm widerwillig Fastfood einkaufen geht.

Lacey besucht zudem eine Trauergruppe, in der sich auch andere Angehörige versammeln, darunter Dee Dee (Connie Britton, die hier nach "Friday Night Lights" erneut in einem Jason-Katims-Projekt mitwirkt). Die blonde Wohlstandslady mit Schickeria-Appeal hat bei dem Unglück ihren Mann verloren, und sowohl sie selbst als auch die auf eine Edel-Uni gehende Tochter Zoe (Audrey Corsa aus  "All Rise") müssen erfahren, dass der Mann ein Doppelleben führte: in Los Angeles, wohin er gerade wieder unterwegs war, als der Flieger crashte. Britton wechselt in der Rolle verlässlich souverän zwischen Trauer, Panik, Wut und Ironie ab und bringt damit ein bisschen Lebendigkeit in die ansonsten doch relativ triste Atmosphäre der ersten Folgen.

Feiern ihren gemeinsamen Geburtstag: Dee Dee (Connie Britton, l.) und ihre Tochter Zoe (Audrey Corsa) shoppen sich durch New York.
Feiern ihren gemeinsamen Geburtstag: Dee Dee (Connie Britton, l.) und ihre Tochter Zoe (Audrey Corsa) shoppen sich durch New York. AppleTV+

Tiefe Trauer ist darin nun mal das Thema. Es wird viel geweint, und das Publikum müsste schon aus Stein sein, wenn es davon nicht gerührt wäre. Und ansonsten helfen die Macher um die Regisseure Fisher Stevens und Allison Liddi-Brown musikalisch nach. Mir persönlich fällt kaum eine Dramaserie ein, in der die Bilder zuletzt dermaßen mit Popmusik zugesuppt worden wären wie in "Dear Edward". Schlimme Dinge sind passiert? Sufjan Stevens! Jemand ist wütend? Punk! Jemand radelt durch den Park? George Ezra!

Bei vielen Szenen hätte man sich da deutlich mehr Zurückhaltung gewünscht, denn dieses kuratierte Tränenziehen via Soundtrack wirkt so, als hätten die Darsteller, die wahrlich nichts zu wünschen übriglassen, emotionaler Stützräder bedurft, um die Szenen so emotional zu gestalten, wie es sich die Produzenten (zu denen auch Ann Napolitano höchstselbst gehört) wünschen.

Zur Trauergruppe zählt des Weiteren Adriana (Anna Uzele), Enkelin und Assistentin einer ebenfalls beim Absturz gestorbenen Kongressabgeordneten. Sie hatte der Politik eigentlich schon abgeschworen, aber man muss nicht lange warten, ehe sie sich wieder umentschieden hat. Bekanntschaft macht Adriana unterdessen - ebenfalls über die vom schlurfigen Milo (Douglas M. Griffin aus  "Deepwater Horizon") geleitete Gruppe - mit dem netten Kojo (Idris Debrand), der eigentlich im westafrikanischen Ghana eine Toilettenhausfirma leitet, nun aber nach New York fliegen musste, um sich um seine kleine Nichte (Khloe Bruno) zu kümmern, deren Mutter ebenfalls beim Flug ums Leben kam.

Die Edward-Lacey-Konstellation wird mit dieser Kojo-Becks-Beziehung also bereits variiert, und tatsächlich fragt man sich schon bald, was genau "Dear Edward" eigentlich erzählen will und vor allem, warum die eindeutig überbevölkerte Serie so viel parallel erzählt. Die Edward-Story wäre ja eigentlich schon genug: Wie kann der Junge sein doppeltes Trauma überwinden (den Absturz selbst miterlebt UND die komplette Kernfamilie verloren zu haben), wie kann er gleichzeitig seiner Tante helfen?

Passenderweise gibt es dazu ein cooles Nachbarsmädchen (Eva Ariel Binder aus  "Stilles Wasser") und noch ein mysteriöses anderes Mädchen (Jenna Qureshi aus  "Das geheimnisvolle Kochbuch: Geheimnisvolle Stadt"), das offenbar mehr mit Edwards Bruder Jordan zu tun hatte, als dem kleinen Bruder bewusst ist. Jordan ist übrigens der einzige der gestorbenen Fluggäste, der in der Serie weiter aktiv mitmischt: als Geist weicht er Edward nicht von der Seite. All das wäre also schon Stoff genug für eine Serie. Zusammen mit der Story um Dee Dee hätte es ausreichend Zeug für eine knackige Qualitätsminiserie gehabt und wäre ungefähr das gewesen, was vor zwanzig Jahren noch als oscarreifes Schauspielerkino auf der Leinwand gelandet wäre.

Trauernde Angehörige unter sich: Adriana (Anna Uzele) kümmert sich um die kleine Becks (Khloe Bruno).
Trauernde Angehörige unter sich: Adriana (Anna Uzele) kümmert sich um die kleine Becks (Khloe Bruno). AppleTV+

Doch schon die Story um Adriana wirkt, als fände sie ganz woanders statt, der Bezug zu Edward kommt schon in den ersten Episoden abhanden. Gleiches gilt für die schwangere Linda (Amy Forsyth,  "Die Novizin"), deren Partner mit im Flugzeug saß, oder für die Gruppenmitglieder Sam (Dario Ladani Sanchez) und Amanda (Brittany S. Hall aus  "Ballers"), die in den ersten Episoden noch gar nicht zum Zug kommen. Die Befürchtung ist groß, dass sie einzig als Füllmaterial für spätere Episoden mit dabei sind. Schon jetzt ist die Unwucht spürbar: "Dear Edward" scheint vor allem dann bei sich zu sein, wenn es wirklich um den Titelhelden und den ihn umschwirrenden Personenkreis geht, während vieles, was mit den anderen Figuren zu tun hat, dagegen abfällt.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Serie optisch zu glatt daherkommt, eine Krankheit, die sie mit vielen US-Independentfilmen der letzten Jahre teilt: schicke, stimmungsvolle Bilder mit pittoresken Blendenflecken im tiefstehenden Sonnenlicht, dazu ein Personal, das sich (fast) ausschließlich aus attraktiven, gut gebauten, von wirtschaftlichen Sorgen unbefleckten Menschen rekrutiert. Orientiert sich Apple da am Selbstbild der eigenen Kundschaft? Nun, die  passende musikalische Playlist wird jedenfalls großzügig über die Bilder gegossen.

Das sind also die problematischen Seiten einer Serie, die sich ansonsten durchaus lohnt: Das Thema Trauer wird mit großem Ernst und humanistischer Empathie umkreist. Das sind Eigenschaften, die man aus den Serien von Jason Katims sowieso kennt. Der erfrischende Humor allerdings, den seine letztjährige, von Amazon leider schnell gecancelte Autismus-Dramedy  "As We See It" kennzeichnete, ist diesmal leider ziemlich rar gesät. "Dear Edward" ist emotional, ehrlich und allzeit überzeugend gespielt - aber eben auch eine recht bedrückende Erfahrung.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei Episoden von "Dear Edward".

Meine Wertung: 3.5/5

Die zehnteilige Miniserie "Dear Edward" wird bei Apple TV+ seit Anfang Februar veröffentlicht.


 

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für TV Wunschliste rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 ("Lonely Souls") ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 ("Pine Barrens"), The Simpsons S08E23 ("Homer's Enemy"), Mad Men S04E07 ("The Suitcase"), My So-Called Life S01E11 ("Life of Brian") und selbstredend Lindenstraße 507 ("Laufpass").

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