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TV-Kritik/Review: "Everything's Gonna Be Okay": Eine ganz besonders moderne Familie
(23.02.2020)
Die erste US-Sitcom von
Familienkomödien gab es schon viele - und meistens funktionierten sie folgendermaßen: Pro Folge drohten sich eine oder mehrere kleinere und manchmal etwas größere Alltagskatastrophen zu ereignen, aber spätestens nach den üblichen 22 Sitcom-Minuten war das Schlimmste dann doch wieder einmal ausgeblieben. Etwas wirklich Furchtbares kann in solchen Serien schließlich nicht geschehen: Am Ende jeder Folge ist alles genauso "okay", wie es das schon zu Beginn gewesen war.
Wenn eine Familienkomödie nun aber den ollen Beschwichtungsspruch
Die Genauigkeit im Tonfall, der es bedarf, damit so eine Produktion humorvolles (Familien-)Entertainment sein und sich gleichzeitig glaubhaft mit Verlust, Ängsten und anderen existenziellen Themen befassen kann, diese "tonale" Präzision wird in diesem Fall sehr zielsicher getroffen. Es verwundert nicht: "Everything's Gonna Be Okay" ist das neue Projekt von Josh Thomas, dieses australischen Shooting-Stars unter den Komikern, dessen Durchbruchserie "Please Like Me" über vier Staffeln hinweg einen ziemlich vergleichbaren Spagat hingekriegt hatte. Mit genialen Gags, jeder Menge Charme und ohne Larmoyanz ging es darin (in Teilen autobiografisch) ums Coming-of-Age eines jungen Mannes, um seine Homosexualität und um die Depression seiner Mutter.
Wie in "Please Like Me" spielt Thomas nun auch in seiner ersten US-amerikanischen Serie die Hauptrolle. Was dabei entstanden ist, könnte man als freiere und frechere, zugleich aber auch reduzierte Variante von ABCs
Die Pilotepisode (Regie: Rebecca Thomas) nimmt sich eine ganze Stunde Zeit dafür, um herzuleiten, wie es zu dieser besonderen Familienkonstellation kommt: Thomas spielt den Protagonisten Nicholas, einen Insektenforscher Ende zwanzig, der in Australien aufwuchs. Nach der Scheidung von Nicholas' Mutter hatte sein Vater Darren (Christopher May) in den USA, genauer: in Los Angeles, eine neue Familie gegründet. Darrens zweite Frau starb früh, weshalb er die beiden Töchter seither alleine aufzog. Zu Beginn der Pilotepisode ist Nicholas in Los Angeles zu Besuch, in einer Bar reißt er den attraktiven Alex (Adam Faison) auf: Wer Josh Thomas' exaltierte Art und sein überaffirmatives Spiel mit schwulen Klischee-Gesten und -Tonfällen kennt, sieht sofort, dass er eine Idealbesetzung ist für diesen - bei aller Sympathie - durchaus narzisstischen jungen Mann, der im Gespräch vor allem sich selbst in Szene setzt. Auf jeden Fall würde man sich diesen Nicholas zuallerletzt vorstellen, wenn es darum geht, zwei pubertierende Mädels großzuziehen.
Genau dazu kommt es allerdings: Als Nicholas eigentlich auf eine "sturmfreie Bude" in Darrens ausladender Villa hofft, um dort ein ungestörtes Schäferstündchen mit Alex verbringen zu können, eröffnet ihm der Vater unerwartet Ernstes: Darren ist unheilbar an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt und hat nicht mehr lange zu leben, er bittet Nicholas, in Los Angeles zu bleiben und die Vormundschaft für die minderjährigen Halbschwestern zu übernehmen. Die Szenen, in denen er das seinem Sohn und später dann den Töchtern beibringt, sind kleine Meisterstücke: Wie reagiert man da? Was sagt man und was fühlt man da? Den emotionalen Spagat zwischen Schock, Trauer, Fassungslosigkeit und ungeschickten Versuchen, doch irgendwie cool zu bleiben, meistern neben Christopher May selbst (der seinen einmaligen Gastauftritt als Vater auf den Punkt spielt) und Josh Thomas vor allem die Darstellerinnen der beiden Töchter beeindruckend souverän - über sie wird gleich noch die Rede sein.
Zunächst noch zur Plot-Prämisse: Wenige Schnitte später ist Darren dann tot, gleichsam ansatzlos muss Nicholas in die Rolle einer Vaterfigur hineinwachsen - für zwei Halbschwestern, denen er zuvor kaum je begegnet war. Aus den Ungeschicklich- und vor allem auch Peinlichkeiten, die sich aus Nicholas' zumindest scheinbarer Untauglichkeit und Unverantwortlichkeit für diese Rolle herleiten, beziehen die weiteren, nun Sitcom-kurzen (und jeweils nach Insekten betitelten) Episoden einen Gutteil ihrer Komik; andererseits liegt nach diesem ersten Verlust auch ein melancholischer Schatten über allem, was folgt.
Kommen wir also zu Matilda und Genevieve: Nicholas' Halbschwestern sind tatsächlich die absoluten Szenendiebinnen der Serie. Es fällt die Erinnerung daran schwer, wann es zuletzt so gut besetzte Teenagerrollen gegeben hat. Matilda ist die ältere Tochter, Typ bebrillter Science-Nerd und außerdem mit Autismus-Spektrum-Störung. Darstellerin Kayla Cromer verortet sich ebenfalls auf dem autistischen Spektrum - ob es daran liegt, dass sie wie eine Idealbesetzung wirkt, sei dahingestellt. Noch beeindruckender ist die 15-jährige Maeve Press, die als jüngere Tochter Genevieve in Mimik und Sprechduktus ein komödiantisches Timing an den Tag legt, das man selbst bei gestandenen Filmstars selten findet - ohne dass es jemals forciert oder künstlich wirkt. Ein Naturtalent, zu dessen filmischer Vorerfahrung kaum mehr als ein Auftritt in der True-Crime-Serie
Die Szenen, in denen sich die beiden nun wiederfinden, gehören eigentlich zu den üblichen in solchen Serien: Matilda ist in den heißesten Jungen der Highschool verliebt und nähert sich ihm so seltsam, dass dieser ganz positiv verblüfft ist. Genevieve ist dagegen das rebellische Außenseitermädchen, sie muss sich in der Schule Hänseleien erwehren. Ohne das Schauspiel von Cromer und Press wäre das alles nur halb so lustig und einnehmend.
Was das Ganze aber von anderen Familienkomödien unterscheidet, ist der beherzte Tonfall: Alex etwa ist ab Folge zwei fest mit Nicholas zusammen, ohne dass wirklich klar würde, ob er nun tatsächlich in den rothaarigen Schlaks verschossen ist - oder aber durch die tragischen Umstände nun irgendwie automatisch mit im Boot sitzt. Die Anziehung zwischen den beiden Männern ist jedenfalls spürbar, und anders als etwa in "Modern Family", wo das schwule Ehepaar Cam und Mitch höchstens alle Jubeljahre mal ein Küsschen austauscht, wird in "Everything's Gonna Be Okay" zumindest verbal wesentlich weniger Rücksicht auf die Sensibilitäten eines Mainstream-Publikums genommen - unverblümt wird über alles geredet, und Nicholas und Alex können praktisch von der allerersten Szene der Serie die Finger kaum voneinander lassen. In der dritten Episode (Regie: Silas Howard), in der Matilda sich unter Nicholas' Aufsicht mit Pfirsichschnaps betrinkt, "um fürs College vorbereitet zu sein", während sich Genevieve mit ihrer aus dem Billie-Eilish-Lookalike-Club entsprungenen Freundinnen-Clique Gedanken über die Ästhetik ihrer Anusse macht und die nächstbesten herumstehenen Pillen einwirft, dürfte die erziehungssensibleren Zuschauer im Freeform-Publikum sicher vor eine harte Probe stellen. Doch keine Sorge: So schrill hier auch manches wirkt, so liebevoll bleibt es dabei auch immer.
Man muss natürlich abwarten, wie lange diese so herzerfrischend dysfunktionale Familienkonstellation als Seriengrundlage trägt. Wird es mehrere Staffeln dauern, bis dem Titel gemäß "alles okay" sein wird? Oder erschöpft sich der Witz recht bald? Immerhin tauchen am Rande aber schon jetzt genügend zusätzliche, potenziell vielversprechende Quertreiber auf (etwa Nicholas' australische Mutter, gespielt von Vivienne Walshe aus "Wie Hund und Katze"), dass zumindest einer famosen ersten Staffel nichts im Weg stehen dürfte.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei Episoden von "Everything's Gonna Be Okay".
Der amerikanische Sender Freeform - der sich vornehmlich an Zuschauerinnen zwischen 14 und 34 Jahren wendet - zeigt "Everything's Gonna Be Okay" seit Mitte Januar 2020. Die erste Staffel umfasst 10 Episoden. Eine deutsche Heimat der von Avalon Television hergestellten Serie ist noch nicht bekannt.
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