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Das Jahr neigt sich dem Ende zu - und das TV-Programm der Wiener Klassik. Noch bevor Sky an Weihnachten mit der britischen Serie
Von Mozart zu erzählen ohne die gängigen Klischees, das ist keine einfache Aufgabe. Das Bild des Salzburger Jahrtausendkomponisten speist sich heutzutage gemeinhin aus dem weltweit gehegten Repertoire seiner Musik ebenso wie aus den popkulturellen Anverwandlungen, die das späte 20. Jahrhundert in unser Kollektivbewusstsein hievte: Peter Shaffers Theaterstück "Amadeus" (1979) und seine achtfach Oscar-gekrönte
Falcos Synthie-Rap "Rock Me Amadeus" (mit dem ikonischen Musikvideo) kam ebenfalls 1984 heraus und wurde zur Mozartkugel der österreichischen U-Musik. Das Image, das nach dieser Komplettverpoppung hängenblieb, war ungefähr das hier: Mozart, ein ab dem fünften Lebensjahr loskomponierendes Wunderkind, ein Gaga-Genie, das nicht klarkommt mit der Welt und ebenso früh (mit 35 Jahren) wie komplett verarmt verstirbt. Eine Klischeesuppe, in die sich von Salzburg bis Neuseeland alle hineintunken ließen.

Wer dabei stets übersehen wurde, war Mozarts ältere Schwester Maria Anna, die, von ihren Familie wie von der Nachwelt, meist zum Neutrum verniedlicht wurde: "das Nannerl". Maria Anna allerdings war als Kind genau wie ihr kleiner Bruder Wolfgang Amadeus von ihrem ehrgeizigen Vater Leopold als Wunderkind vermarktet und an den Fürstenhöfen vorgeführt worden. Wie ihr Bruder, mit dem sie stets ein inniges Verhältnis verband, konnte sie früh begnadet musizieren. Wolfgang schätzte sie auch später noch als versierte Pianistin. Komponiert hat sie wohl zeitlebens - nebenher hörte sie Vorlesungen zur Experimentalphysik. Nur war sie eben eine Frau, weshalb ihr Weg als Künstlerin im späten 18. Jahrhundert früh vorbei zu sein hatte. Irgendwann kam die Heirat, dann lebte sie als Klavierlehrerin.
In einem Akt der speculative history, einer Geschichtsschreibung im Konjunktiv sozusagen, dreht "Mozart/Mozart" diesen Lebensweg nun sechs Episoden lang auf links. Was wäre, so fantasiert die Serie lustvoll los, wenn Maria Anna ihrem Bruder - mindestens! - ebenbürtig gewesen wäre als Musikerin und sogar als Komponistin? Vielleicht war es ja so - nur fehlt eben jede Überlieferung? Verbissenen Faktencheckern mit gezücktem Geschichtsbuch dürfte jedenfalls schnell die Zornesröte ins Gesicht schießen angesichts der wild fabulierenden Querverbindungen, die Head Writer Andreas Gutzeit da so schamlos wie freudvoll zieht. Alle anderen können sich der Freude am Gedankenspiel hingeben.
"Nicht wie die Überlieferung sie schreibt, sondern die Vorstellungskraft", werde die Geschwistersaga hier erzählt; so steht es, als Disclaimer, direkt am Anfang der ersten Folge. Versammelt haben sich dazu einige der Kernkreativen der mit den historischen Fakten ähnlich frei verfahrenden RTL+-SerieMaria Anna und Wolfgang Amadeus werden gespielt von Havana Joy (

Ganz zu Beginn sieht man noch Brüderlein und Schwesterlein gemeinsam am Cembalo den Adeligen vorspielen, es folgt die erste Kränkung - als Wunderkind darf nur der Knabe weitermachen. Ein Sprung um 20 Jahre zeigt Wolfgang dann bereits als erfolgreichen Komponisten in Salzburg. Als er den bräsigen Erzbischof mit einem eruptiv entgleisenden Kyrie brüskiert, wird er entlassen. Gegen den Willen ihres um die Familienehre besorgten Vaters Leopold (Peter Kurth,
Fortan fächert Gutzeit ein höfisches Panorama auf, wie man es sich schematischer kaum ausdenken könnte; als Hintergrundfolie für den Grundkonflikt aber verrichtet es solide Dienste, zumal es mit Gusto ausgespielt wird. Da ist also Philipp Hochmair (
Hinzu kommt die französische Königin Marie Antoinette, ihres Zeichens Josephs Schwester, die aus Paris angereist ist, um sich ihre Kinderlosigkeit durch eine amtliche Begattungsaffäre austreiben zu lassen. Dazu sucht sie sich allen Ernstes Mozart aus. Die sexuelle Begegnung, die die "Sisi"-Macher selbstredend nicht auslassen, hat möglicherweise sogar Konsequenzen. Gespielt wird die luxusgierige Regentin von Verena Altenberger (
Wie beide Mozarts dann phasenweise beim Kaiser in Ungnade fallen; wie sie bei einem folkloristisch-stereotypen Wanderzirkus Unterschlupf finden; wie Leopold seine Jugendliebe (Annabelle Mandeng) wiederfindet, die als verhinderte Künstlerin eine ältere Variante des Schicksals von Maria Anna darstellt; wie Maria Anna später an den freundlich verwitweten Graf von Sonnenburg (Jan Krauter) veheiratet werden soll, der hier als Prototyp des "modernen", dezidiert untoxischen Mannes verklärt wird - all das folgt gängigen Schemata und verzichtet beherzt auf jede Überraschung.

Die muss aber vielleicht auch gar nicht sein. Denn es geht hier um anderes - um Maria Anna, die von Anfang an als nicht nur bloß assistierende, sondern treibende Kraft hinter dem Erfolg ihres Bruders gezeichnet wird. Zunächst doubelt sie ihn gar bei einem Klavierkonzert, während er unpässlich im Laudanum-Drogenrausch vegetiert. Später "vertritt" sie ihn auch als Komponistin und Dirigentin. Suggeriert wird gar, dass sie maßgeblich verantwortlich war für wichtige seiner Werke. Wie erwähnt: Die Vorstellungskraft ist es, die hier das Maß vorgibt und nicht nur die Empowermentgesten hochhält, sondern auch Liebeleien mit Marie Antoinette ermöglicht, einen unehelichen Sohn von Leopold andeutet und Wolfgangs Ehefrau Constanze (Sonja Weißer,
Inszeniert wird das alles in opernhaftem Überschwang, weniger als Klassik- denn als Pop-Oper. Mozarts Musik selbst gibt es kaum zu hören, in entscheidenden Momenten lässt Komponistin Jessica de Rooj (mit ihrem Elektroprojekt Ätna) die Originalmusik überschreiben von elektrifiziertem Pop-Rock der eher gängigen Größenordnung. Egal was man davon hält - die Aufgabe war grundsätzlich keine dankbare: Im Vergleich zu Mozarts Werken kann diese Ersatzmusik zwangsläufig nur den Kürzeren ziehen, und die dargestellte Empörung/Verzückung/Berauschung angesichts der mittelmitreißenden Elektrosounds wirkt ein kleines bisschen albern.
Regisseurin Clara Zoë My-Linh von Arnim (nach
"Mozart/Mozart" zeigt Habsburg-Hipster mit TikTok-Sprechduktus im zeitgenössisch modernisierten Kostüm der Epoche. Gereist wird mit der Kutsche, aber die Hair-Care-Routinen sind erkennbar von heute. Ein Pastiche mithin, das Anklang finden könnte. Wer weiß: Womöglich beginnt die Zielgruppe bald vor Schreck und Begeisterung damit, die "Kleine Nachtmusik" zu klimpern.
Dieser Text basiert auf der Sichtung aller sechs Episoden von "Mozart/Mozart".
Die ersten drei Folgen von "Mozart/Mozart" zeigt Das Erste am Dienstag, den 16. Dezember ab 20.15 Uhr am Stück. Einen Tag später, am 17. Dezember ab 20.15 Uhr, schließen sich die weiteren drei Episoden an. Bereits ab dem 12. Dezember steht die komplette Miniserie in der ARD Mediathek bereit.
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