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TV-Kritik/Review: "ÜberWeihnachten" mit Luke Mockridge: Gut porträtierter Familien-Festtagswahnsinn
(27.11.2020)
"Luke Mockridge feiert mit seiner Familie Weihnachten", da denkt man doch gleich an die ganze Mockridge-Sippe, alle irgendwie lustig und irgendwie darstellerisch unterwegs und immer für eine Comedyserie zu haben. Doch diesmal ist die Familie nicht die wirkliche, und Luke tritt auch gar nicht als Comedian auf, sondern gibt sein Schauspieldebüt. Mit
Die erste Überraschung erwartet jedoch zunächst die Zuschauenden, denn im Einstieg sitzt der Berliner Musiker Bastian an der Gitarre im Aufnahmeraum. Jetzt singt er auch noch ausgehöhlten und allgemeintauglichen "Menschen Leben Tanzen Welt"-Pop, das geht ja gut los. Doch die Singer-Songwriter-Karriere der Hauptfigur befindet sich als solche bereits im Sturzflug. Das verdeutlichen die fiesen Kommentare der Jungs im Tonstudio, die natürlich aus Versehen mit der auf dem Mischpult abgestellten Kaffeetasse das Intercom anschalten. Der somit abgewertete und erfolglose Bastian flüchtet von seinem nächsten Vorspiel und endet in seinem Callcenter-Job. Wo er, Schreck lass nach, auf eine Mitarbeiterin aus dem
Es ist so weit, 23. Dezember, endlich kann der lange Heimweg in die Eifel angetreten werden. Voller Freude malt sich Bastian aus, wie er gelöst seinem Vater am Bahnhof in die Arme fallen wird - der Traum eines jeden arbeits- und lebensgebeutelten Millennials. Was hier bildlich dargestellt wird, bleibt jedoch nur Fantasie und wird so zum unterhaltsamen Kniff in der Erzählung. Zum Beispiel antwortet der Protagonist jedesmal auf die Frage, wie es ihm mit der Trennung von seiner Freundin gehe, dass er super klar komme. Kontrastierend sehen wir jedoch Bastians wahre Erinnerung: Ein wie ein kleiner Junge heulendes Wrack, das sich mit Nervenzusammenbruch im Badezimmer versteckt. Drama und Comedy verschmelzen zur allzu passenden Genreschöpfung Dramedy.
Tatsächlich wird Bastian am Gleis von einem lieblosen Vater (Rudolf Kowalski) empfangen, aus dem auch auf der Fahrt nicht viel mehr als Muss ja
herauszubekommen ist. Wohingegen der Mutter Brigitte (Johanna Gastdorf) sämtliche ironische Nuancen abgehen; und von denen hat der Sohn doch einige gute zu bieten. Die dramatischste Überraschung für den Wahlberliner Bastian ist so simpel wie katastrophal: Sein eigener Bruder (Lucas Reiber) ist nun mit Bastis Ex-Freundin (Cristina do Rego) zusammen. Eine blutige Nase für den Jüngeren ist da folgerichtig, scheinen die Brüder doch auch zuvor schon nicht besonders gut aufeinander zu sprechen gewesen zu sein. Und nein, diesmal belässt es Bastian nicht bei (Gewalt-)Fantasien.
Mama, ich ess' die ganze Zeit, entgegnet Bastian denn auch einmal gereizt auf die Fütterungsversuche der Mutter. Nach einem eskalierenden Streit bei einem dieser Essen schwingt sich der schmollende Protagonist auch noch auf sein altes BMX-Rad und fährt die altvertraute Gegend ab.
Diese Szenen, in denen Bastian auf dem Mittelstreifen der Eifelserpentinen entlangradelt, dem Skatepark einen Besuch abstattet und Hinz und Kunz auf der Straße trifft, sind auch die, in denen der Nestrückkehrer am glücklichsten scheint. Die Wälder, die Luft, die Freiheit bringen verlässlich ein Lächeln auf das sonst so zerknirschte Gesicht. Doch mit Gewalt kommt immer die Realität zurück: Das Konto ist leer, die Weihnachtsbäume ausverkauft, die Ex-Freundin hat einen besseren Draht zu seinen Eltern und weiß auch mehr über deren ominöses Verhalten als Basti selbst. Vater und Mutter rasten ein ums andere mal aus, verständlicherweise - wenn Menschen ohnehin schon unter Druck stehen, brodelt die Stimmung des Öfteren über. Als Zuschauerin beginnt man sich zu fragen, was es ist, das die Eltern ihrem Sohn nicht sagen können. Eine schwere Krankheit? Bastian selbst glaubt bald an eine bevorstehende Scheidung, der Supergau für ein derartiges Familienküken.
Doch, auf der anderen Seite, es ist nie alles schlecht. Es ist sogar mit Fortschreiten der Erzählung irgendwie fast zu gut, denn Bastian kommt ausgerechnet wiederum mit der Ex-Freundin seines Bruders zusammen, der coolen Bäckerin Karina (Seyneb Saleh). Bald ist ganz schön viel Liebe in der eiskalten Winterluft, und ganz nebenbei könnte man Bastis Affäre als Wiedergutmachung mit dem Verrat des Bruders sehen. In der Stammkneipe kennen zudem alle Basti und feiern ihn als den erfolgreichen Musiker, als der er sich ausgibt und den sie in ihm sehen. Alle, wirklich alle, fragen, was die Hauptstadt so mache, doch lesen sie nicht den konträren Subtext in Bastis positivistischen Antworten. Bei den Feierszenen im Pub, in denen sich alle zwischen Zwanzig- und Dreißigjährigen ausgelassen in den Armen liegen, wird man aber heutzutage doch neidisch - gedreht wurde die Serie zwischen Januar und Mitte März diesen Jahres, genau also bis zum Einschlag des Corona-Kometen in unsere Gesellschaft.
Während die Mutter immer näher am Rande des Totalkollaps' WIR HABEN EIN SCHÖNES WEIHNACHTEN
ruft und durch das Gerangel der Brüder der Weihnachtsbaum umfällt, wird man erquicklich an Loriots Alltagssatiren erinnert. Derweil trifft Basti überall seine neue Affäre; überhaupt kommen spätestens im Heiligabend-Gottesdienst alle Dorfbewohner zusammen. Das Eifelkaff als eng beieinanderhockende, erweiterte Familie bildet die Kollinger-Sippe noch einmal im Makrokosmos ab. Und dann ist da noch, nicht zu vergessen, die Oma Hilde der Familie (Carmen-Maja Antoni), die als einzige Figur zielsicher zwischen Glück und Unglück hindurchmarschiert. An größeren und kleineren Katastrophen erfreut diese sich mit an Debilität grenzendem Zynismus.
"ÜberWeihnachten" ist trotz seltener unnatürlich wirkender Dialoge wirklich gelungen und nur zu empfehlen. Die drei jeweils knapp einstündigen Folgen lassen die Zuschauenden kurzweilig auf den Wellen von Drama und Komödie reiten. Auch wer nicht unbedingt Luke- oder überhaupt Mockridge-Fan ist, und vielleicht auch generell etwas gegen deutsche Produktionen hat, dem sei diese Miniserie ans Herz gelegt. Ohne dass letzteres allzu sehr durch Weihnachtskitsch in Beschlag genommen würde. Denn was man hier zu sehen kriegt, ist tatsächlich der ganz übliche Familien-Festtags-Wahnsinn, der geschmackvolle Anleihen bei vielen klassischen Weihnachtsfilm-Topics nimmt.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten zwei Teile von "ÜberWeihnachten".
Die dreiteilige Miniserie "ÜberWeihnachten" wird von Netflix am 27. November 2020 weltweit veröffentlicht.
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