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TV-Kritik/Review: "I Know This Much Is True": Tragisches Familienepos mit brillantem Mark Ruffalo als ungleiche Zwillinge

von Marcus Kirzynowski
(14.09.2020/ursprünglich erschienen am 17.05.2020)
HBO-Literaturverfilmung gefällt mit Starensemble und Indiefilm-Anmutung
Doppelrolle für Mark Ruffalo in "I Know This Much Is True "
HBO
TV-Kritik/Review: "I Know This Much Is True": Tragisches Familienepos mit brillantem Mark Ruffalo als ungleiche Zwillinge/HBO

Eines muss man HBO wirklich lassen: Auch wenn der US-Bezahlsender mit seinen Neustarts in jüngster Zeit eher selten an die bahnbrechenden Erfolge der Anfangszeit anknüpfen konnte, stehen gerade seine Miniserien fast durchgehend für außergewöhnliche Qualität. In die lange Tradition von amerikanischen Romanen, die der Sender in dieser Form adaptiert hat, von  "Empire Falls" über  "Olive Kitteridge" bis  "The Plot Against America", reiht sich jetzt  "I Know This Much Is True" ein. Indie-Regisseur Derek Cianfrance ( "Blue Valentine - Vom Ende einer Liebe",  "The Place Beyond the Pines") hat den Roman von Wally Lamb in sechs Teilen verfilmt und alle Drehbücher selbst verfasst (bei den beiden letzten Folgen mit Ko-Autor). Kinostar Mark Ruffalo hat die Doppelrolle von eineiigen, aber höchst unterschiedlichen Zwillingsbrüdern übernommen.

Die Handlung beginnt mit einem Schockeffekt: In einer öffentlichen Bücherei schneidet sich der etwa 40-jährige psychisch kranke Thomas Birdsey mit einem Messer die rechte Hand ab. Im Krankenhaus soll sein gesunder Bruder Dominick den Ärzten die Einwilligungserklärung unterschreiben, die Hand wieder anzunähen. Thomas protestiert dagegen jedoch so lautstark und eindringlich - seine Tat sei eine Opfergabe an Gott, weil die USA so viel Leid in der Welt verursacht hätten -, dass Dominick letztlich nachgibt. Während Thomas als Gefahr für die Öffentlichkeit in eine forensische Hochsicherheitsanstalt eingewiesen wird, fächern Dominicks Erinnerungen nach und nach die Lebens- und Leidensgeschichte der Brüder auf. Bald wird klar, dass sich nicht nur Thomas' geistige Gesundheit von Kind an zunehmend verschlechtert hat, sondern auch Dominick gleich mehrere psychische Traumata mit sich herumträgt. Da sind die schwere Kindheit mit einem gewalttätigen Stiefvater, der Tod der Mutter, der Verlust eines Kindes und natürlich die Verantwortung für den kranken Zwillingsbruder, die Zeit seines Lebens auf seinen Schultern lastete. Wirklich frei ist er trotz diverser Ausbruchsversuche nie geworden.

Dabei war der Anfang ihrer beider Leben noch so hoffnungsvoll: Der Zufall, dass der eine Bruder einige Minuten vor dem 1. Januar 1950 geboren wurde, der andere einige Minuten nach dem Jahreswechsel, brachte die Zwillinge auf die Titelseite der Zeitung. Schon als Kind entwickelt sich Thomas aber zu einem ängstlichen Jungen, den Dominick immer wieder schützen muss - vor dem Spott der Mitschüler oder vor Stiefvater Ray (John Procaccino), der gerne mal überreagiert, wenn Thomas seinen strengen Erziehungsregeln nicht folgen kann. Als Student will sich Dominick erstmals von Thomas emanzipieren, der bricht aber emotional zusammen, als sein Bruder sein Wohnheimzimmer mit einem anderen teilen will. Auch akademisch bekommt Dominick zunehmend Probleme, als sich sein psychischer Zustand verschlimmert. Thomas möchte ihn aber unbedingt an der Uni halten, um ihn vor einer Einberufung nach Vietnam zu bewahren. Hoffnung auf ein selbstbestimmteres Leben kommt auf, als Dominick die Aushilfskellnerin Desse (später: Kathryn Hahn) kennenlernt. Zwanzig Jahre später ist Thomas zum Dauerpatienten psychiatrischer Kliniken geworden und auch das Leben seines Bruders muss man bis dato wohl als gescheitert bezeichnen. Die Selbstverstümmelung des Bruders wird zu einem Wendepunkt, nach dem es auch für den scheinbar gesunden Dominick nicht mehr einfach so weiter gehen kann. Zunächst reitet er sich aber - man muss sagen, auch durch eigene Dummheit - immer weiter hinein in die Misere.

Rosie O'Donnell als Lisa Sheffer in "I Know This Much Is True"
Rosie O'Donnell als Lisa Sheffer in "I Know This Much Is True" HBO

Nein, leichte Kost ist es mal wieder wirklich nicht, was HBO (und in Deutschland Sky) hier seinen Abonnenten präsentiert. Nicht nur der doppelte Hauptdarsteller Mark Ruffalo geht emotional an seine Grenzen, auch den Zuschauern wird einiges zugemutet, was wohl nicht alle in dieser Drastik sehen wollen werden. Wer bereit ist, diesen Weg mitzugehen, wird allerdings mit hervorragenden künstlerischen Leistungen belohnt. Ruffalo etwa ist aus Filmen wie  "Ein einziger Augenblick" (OT: "Reservation Road") und  "The Kids Are All Right" durchaus als starker Charakterdarsteller bekannt, zeigt hier in beiden Rollen aber eine differenzierte emotionale Eindringlichkeit, die ihn fast sicher für die wichtigsten TV-Preise qualifiziert. Auch Kathryn Hahn ( "Crossing Jordan",  "Transparent") war noch nie so gut wie hier als Dominicks (Ex-)Ehefrau, die mit einem unfassbaren Verlust umgehen muss. Renommierte Schauspielerinnen wie Melissa Leo und Archie Panjabi ergänzen das Starensemble, aber auch die hierzulande eher unbekannte Rosie O'Donnell ist als erst routinierte, später engagierte Sozialarbeiterin eine Entdeckung.

Herausragend ist auch die doppelte Leistung von Derek Cianfrance als Drehbuchautor und Regisseur ausgefallen. Oft nur in kurzen Flashbacks, die in die gegenwärtige Handlung eingestreut werden, deutet er lange zurückliegende Ereignisse an, die bis heute in der Psyche der Protagonisten nachwirken. Meisterhaft verknüpft er so vergangene Traumata und neues Ungemach. Oft geht die Kamera von Jody Lee Lipes ganz nah heran an die Gesichter der Darsteller, zeigt jede Falte, jede Schürfwunde und Dominicks Fünftagebart überdeutlich. So werden die Gesichter zu Spiegeln der Seele der gepeinigten Figuren.

Das Format der Miniserie erweist sich als genau richtig, um dem zugrundeliegenden Roman mit seiner vor und zurück springenden Handlung, die sich über etwa ein Jahrhundert erstreckt, gerecht zu werden. So kann sich Cianfrance Zeit lassen, die Familiengeschichte der Birdseys, die sich in Folge 5 und 6 noch auf das Leben des Großvaters, eines sizilianischen Einwanderers, ausweitet, im für HBO längst zum Markenzeichen gewordenen getragenen Tempo zu erzählen. Dass die Ausstattung der Szenen das jeweilige Zeitkolorit immer perfekt einfängt, sei es, dass die Autobahn von lauter 1980er-Jahre-Modellen befahren wird oder dass Ende des 19. Jahrhunderts eine Dampflokomotive den Vorfahren durch die Neue Welt transportiert, versteht sich für eine HBO-Produktion fast von selbst. Nebenbei wird die Erzählung aber auch zu einem Porträt eines Landes im Wandel, vom immigrantischen Alltag zur vorletzten Jahrhundertwende bis zu Bush seniors Irakkrieg Anfang der 1990er.

"I Know This Much Is True" ist sicher keine Serie für ein breites Publikum. Wer sich aber darauf einlassen kann und will, den tragischen Verstrickungen der Figuren zwischen familiärer Prägung, Gewalt, Schicksal und freiem Willen zu folgen, bekommt sicher eine der besten Miniserien des TV-Jahres zu sehen.

Dieser Text basiert auf Sichtung der kompletten Miniserie "I Know This Much Is True".

Meine Wertung: 4.5/5

Die sechsteilige Miniserie "I Know This Much Is True" wurde im Mai und Juni auf HBO ausgestrahlt. Parallel veröffentlichte Sky Deutschland via Sky Ticket, Sky Go und Sky Q die Folgen im Originalton als Deutschlandpremiere. Die lineare Ausstrahlung bei Sky Atlantic HD erfolgt ab dem 14. September montags um 20.15 Uhr in Doppelfolgen.


 

Über den Autor

  • Marcus Kirzynowski
Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit "Ein Colt für alle Fälle", "Dallas" und "L.A. Law" auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für TV Wunschliste und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

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