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TV-Kritik/Review: "Moskito-Küste": Packende Thriller-Serie nach berühmter Romanvorlage
(29.04.2021)
In Peter Weirs Abenteuerdrama
Schon früh hat man das Gefühl, dass der leidenschaftliche, für seine Erfindungen keine Anerkennung bekommende Allie, seine Frau Margot (Melissa George) und seine Kinder Dina (Logan Polish) und Charlie (Gabriel Bateman), die sich in einem abgelegenen Haus größtenteils selbst versorgen, keine gewöhnlichen Aussteiger sind. Wie sie ihren Alltag gestalten, hängt nicht nur mit der Ablehnung der Verschwendungssucht um sie herum zusammen, sondern auch mit etwas Unausgesprochenem, das sie zu einem abgeschotteten Leben ohne Bindungen zwingt. Die Vehemenz, mit der Allie seiner Tochter ein Handy entreißt, das sie vor ihm versteckt gehalten hat, spricht Bände. Ebenso wie der Moment, in dem sich Margot überwindet, ihre Eltern anzurufen, zu denen sie offenbar lange keinen Kontakt mehr hatte. Ihr kurzer emotionaler Ausbruch während des Gesprächs zeugt von Anspannung, von großem Druck, den sie ständig mit sich herumschleppt.
Könnte man Allie anfangs noch für einen Paranoiker halten, als er sich von einem schwarzen Wagen verfolgt fühlt, klart das Bild im Verlauf der ersten Folge, wenigstens ein bisschen, auf: Die von einer Zwangsvollstreckung bedrohte Fox-Familie nutzt falsche Identitäten und führt schon länger ein unstetes Dasein, da Allie von den Behörden wegen eines zunächst nicht näher beschriebenen Vergehens gesucht wird. Einer Tat mit großer Tragweite - darauf lässt jedenfalls das stattliche Polizeiaufgebot schließen, das zur Verhaftung anrückt. Augenscheinlich haben Allie und Co einen solchen Ernstfall bereits geprobt und wissen, wie schnell sie mit dem notwendigsten Hab und Gut verschwinden müssen. Die Auftaktepisode serviert uns eine in Schnitt und Inszenierung ungemein wirkungsvoll arrangierte Fluchtsequenz und zeigt außerdem, dass sich Dina sehnlichst ein anderes Leben wünscht. Ein Leben, das nicht von den Fehlern ihres Vaters bestimmt wird, in dem sie sich verhalten kann wie ein normaler Teenager.
Die Serie hebt sich von der Buchvorlage und der Leinwandverfilmung schon dadurch ab, dass die Protagonisten ihren Aufbruch nicht selbst bestimmen. Hier sind sie gezwungen, sich dem Gesetz zu entziehen, und haben erst einmal keinen großen Schlachtplan, wie es weitergehen soll. Irgendwie nach Mexiko ist für den Anfang die Devise. Und so begibt sich das Quartett auf eine Reise, bei der sich die in Film und Fernsehen oft gezeigte Grenzüberquerung von Süd nach Nord umkehrt. In
Der Patriarch im Hause Fox ist fraglos Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Immer wieder zeichnet er sich als Antreiber aus, schafft es, seinen Liebsten neuen Mut einzuimpfen, und hat in Justin Theroux' kraftvoller Darbietung ein eigenartiges Charisma, das, zumindest halbwegs, erklärt, warum die Menschen in seiner Nähe nicht komplett von ihm abrücken. Bei allem Erfindungsreichtum und aller Entschlossenheit, seine Familie in Sicherheit zu bringen, lässt sich die düstere Seite der Medaille freilich nicht kaschieren. Allie hat Züge eines Tyrannen, wischt in schonungslos-egoistischen Sätzen das Leiden seiner Kinder unter der Ausnahmesituation beiseite, setzt seine Familie sehenden Auges ernsthaften Bedrohungen aus und entpuppt sich wiederholt als Heuchler.
Die plakative Kritik an der Konsumgesellschaft, die er vor Dina an einer Stelle runterbetet, steht in auffallendem Widerspruch zu seinem Handeln auf der Flucht. Auch er zögert nicht, nur auf den eigenen Vorteil zu schauen, und nimmt menschliche Kollateralschäden billigend in Kauf. Eine so ambivalente gezeichnete, mitunter verabscheuungswürdige Hauptfigur sieht man eher selten. Gerade daraus bezieht die Serie aber einen Teil ihres Reizes. Einerseits wünscht man Allie den tiefen Fall. Anderseits fiebert man mit ihm, Margot, Dina und Charlie mit, wenn sie beispielsweise in der vierten Folge plötzlich an einem vermeintlich sicheren Rückzugsort in eine höchst prekäre Lage geraten.
Gegenwind für Allie bauen die Drehbücher vor allem über Dina und den aus Mexiko stammenden Helfer Chuy (Scotty Tovar) auf. Auch wenn sich die Tochter letztlich ihrer Familie anschließt, lässt ein früher Akt der Rebellion vermuten, dass es irgendwann einen Bruch geben könnte - was die Serie zweifellos bereichern würde. Chuy wiederum übernimmt die Rolle des Mahners und weist mehrfach auf Allies destruktiven Eigenschaften hin. Wer dem Erfinder folgt, ist in seinen Augen dem Untergang geweiht. Auch Margot scheint vereinzelt zu begreifen, dass ihr Mann ein Monster sein kann, springt ihm dann aber doch regelmäßig bei. Möglicherweise ist es gerade der zu seinem Vater bewundernd aufschauende Charlie, der sich als Erster richtig abnabelt. Nach Sichtung von vier der insgesamt sieben Folgen erzeugt die Frage nach dem Vertrauensverhältnis einiges an Spannung.
Manche Wendungen in "Moskito-Küste" kommen vielleicht etwas forciert daher. Und das große Geheimnis um Allies Vergehen wird eine ganze Weile künstlich am Leben gehalten. Unter dem Strich bietet die Serie allerdings packende, menschliche Abgründe auslotende Unterhaltung, die, unter anderem mit ihren stimmungsvollen Landschaftsbildern, optisch verdammt viel hermacht. Bleibt nur zu hoffen, dass die restlichen Episoden die Ecken und Kanten dieses schmerzhaft-fesselnden Familientrips nicht abschleifen.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten vier Folgen von "Moskito-Küste".
Die Serie "Moskito-Küste" ist ab dem 30. April 2021 auf Apple TV+ zu sehen.
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