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TV-Kritik/Review: "The Deuce": Starkes HBO-Drama über den Aufstieg der Pornobranche

David Simon beschwört gekonnt die frühen Siebziger in New York herauf
"The Deuce" : Die Zwillinge Vincent (James Franco) und Frankie Martino (James Franco)
HBO
TV-Kritik/Review: "The Deuce": Starkes HBO-Drama über den Aufstieg der Pornobranche/HBO

Retro bleibt angesagt - daran kann ein Flop nichts ändern.  "Vinyl", die von Mick Jagger und Martin Scorsese miterdachte Serie über Plattenproduzenten in den Siebzigern, wurde vom Pay-TV-Sender HBO letztes Jahr nach der ersten Staffel eingestellt, trotz toller Schauspieler und aufwendigster Ausstattung. Das Problem war auch, dass die Macher ihr so akribisch heraufbeschworenes Milieu eher hymnisch feierten, als es kritisch zu beleuchten. Richtig einsteigen konnte man in dieses period piece nicht.

Im Fall von  "The Deuce" wird das nicht passieren. Zeitlich ähnlich verortet wie "Vinyl", schildert die neue HBO-Produktion die Geburt der kommerziellen Pornografie aus dem Morast des Rotlichtbezirks rund um den Times Square im New York der frühen 1970er-Jahre. Konzipiert wurden die acht Episoden von niemand Geringerem als David Simon und George Pelecanos. Der Ex-Polizeireporter und der Krimiautor haben schon bei  "The Wire" und  "Treme" kollaboriert, und auch diesmal entwerfen sie wieder, in quasi-journalistischer Manier, ein ausuferndes, aber von Beginn an packendes und dabei angemessen unzimperliches Sittengemälde eines ganz bestimmten Soziotops. Als Reiseleiter in die Vergangenheit dienen ihnen zwei Kinostars: James Franco ("127 Hours") und Maggie Gyllenhaal ("White House Down") spielen die Hauptrollen, flankiert werden sie von vielen Darstellern aus dem bisherigen Simon-Kosmos.

Brilliert als die unabhängige Candy: Maggie Gyllenhaal
Brilliert als die unabhängige Candy: Maggie Gyllenhaal

Die Serie setzt 1971 ein, also ein Jahr, bevor der Porno-Klassiker "Deep Throat" das Genre Sexfilm im Mainstream etablierte. Gut zwei Jahrzehnte, bevor sich die Gentrifizierungsdynamik in Gang setzte und aus Manhattan die unerschwingliche Stadt von heute machte, war die Gegend rund um den Times Square, wo sich Broadway und 42nd Street kreuzen, eine verrufene Gegend, in der die Mafia waltete, Zuhälter ihre Geschäfte trieben, Junkies und Prostituierte rumhingen und der Wind den Müll durch die zugigen Straßenschluchten trieb. Man nannte sie "The Deuce": der Teufel.

Simon und Pelecanos erzählen davon, wie der Wandel des Sexgewerbes der kapitalistischen Marktlogik folgt: Das Geld wandert vom Straßenstrich in die Sexkinos, aus Prostituierten werden Pornodarstellerinnen, die Zuhälter werden von Regisseuren und Stripclub-Managern abgelöst. Ermöglicht wurde dieser Wandel durch Gesetzeslockerungen jener Jahre, die Sexfilmer aus der Illegalität holten und die Straßenprostitution vertreiben sollten, nicht zuletzt natürlich, um verrufene Gegenden für Immobilienkäufer interessanter zu machen. Pornofilme, die in Hinterzimmern laufen, in Sexkabinen und Pornokinos, waren die erste Konsequenz dieser Veränderungen, lange bevor die VHS-Kassette Porno zur Massenware machte und die Industrie nach Hollywood abwanderte. Simon und Pelecanos interessieren sich für das, was Menschen für Geld zu machen bereit sind ­- und warum sie, statt gegen das System aufzubegehren, lieber gegeneinander in Konkurrenz treten. Nach den Drogen in "The Wire" ist diesmal der verkaufte Körper die Ware, um die sich alles dreht.

Das Figurenrepertoire ist dabei Simon-typisch ausladend. Die von  "Breaking Bad"-Veteranin Michelle MacLaren inszenierte, spielfilmlange Pilotfolge reicht nicht aus, um es vollständig einzuführen. Von Pornos ist darin noch nichts zu sehen, dafür aber von Prostitution: Die Zuhälter mit ihren Cadillacs, Schlaghosen und breiten Kragen treffen sich beim Schuhputzer oder im Diner. Die Frauen und Mädchen, die für sie anschaffen, müssen abends vorzeigen, was sie eingenommen haben. Als Protagonisten kristallisieren sich schnell Gyllenhaal und Franco heraus, letzterer gar in einer Doppelrolle. Er spielt die Zwillinge Vincent und Frank Marino. "Vinnie" ist ein hart arbeitender Barkeeper aus Brooklyn. Um seine Frau Andrea (Zoe Kazan, "Ruby Sparks") und die Kinder über die Runden zu bringen, arbeitet er gleich in mehreren Etablissements links wie rechts des Hudson River; als er erfährt, dass ihn Andrea seit langer Zeit betrügt, zieht er aus, um sich in ein siffiges Hotel in Deuce-Nähe einzumieten.

Pimpin aint easy: Die Zuhälter vertreiben sich die Zeit beim Schuhputzer in den dreckigen Straßen...
Pimpin aint easy: Die Zuhälter vertreiben sich die Zeit beim Schuhputzer in den dreckigen Straßen...

Ärger naht in Form seines Bruders Frankie, einem kleinkriminell entgleisten Ex-Sportler, der bei der Mafia Schulden hat. Um Frankies Außenstände begleichen zu helfen, verwandelt Vinnie die koreanische Spelunke am Times Square, deren Bar er managt, in einen angesagten Hotspot: Mit Kellnerinnen in Turnanzügen lockt er Geschäftsleute an und Mafiosi, letztere nutzen die Bar als Frontgeschäft. Sex sells, lernt Vinnie. Seine Bar wird zum Epizentrum der sich gerade erst findenden Sexindustrie.

Beide Martino-Zwillinge tragen Schnauz: Nur die Stirnwunde, die sich Vinnie einhandelt, unterscheidet ihn optisch vom anderen Bruder; dennoch ist es bemerkenswert, wie nuanciert Franco die Zwillinge spielt. Der erste Dialog von Vinnie und Frankie wirkt in der Interaktion von Schauspiel, Trick- und Schnitttechnik verblüffend organisch: So perfekt war das selten zu sehen. Dennoch bleibt abzuwarten, ob Franco, der sich mit seinen gefühlt zwanzig Filmen pro Jahr ohnehin nicht rar macht, mit dieser Doppelrolle möglicherweise zu stark im Vordergrund steht. Immerhin: In den Filmen "Lovelace" und "King Cobra" hat er schon Erfahrung mit der Pornobranche gesammelt.

Brillant ist wieder mal Maggie Gyllenhaal, die sich nach ihrem preisgekrönten Auftritt in der Miniserie  "The Honourable Woman" direkt wieder auf Emmy-Kurs befindet. Sie spielt (mit blonder Lockenperücke) die nicht mehr junge Hure Eileen Merrell, genannt "Candy", die ganz ohne Zuhälter ihre unternehmerische Freiheit zu bewahren versucht: Sie versteht sich als Freiberuflerin, die das Geld zusammenbekommen muss, um nicht nur sich selbst, sondern auch ihren bei der Großmutter lebenden Sohn zu finanzieren. Gyllenhaal spielt Candy souverän und selbstbewusst als Profi, lässt aber immer auch eine spürbare Resignation durchscheinen.

Um diese Protagonisten herum schwirren Typen aus allen Milieus: Zuhälter C. C. (sehr gut: Gary Carr aus  "Death in Paradise") stolziert als Pimp mit Gehstock durch die Gegend und engagiert "neue Ware" direkt bei der Ankunft am Bahnhof. Lori (Emily Meade, "Nerve") zum Beispiel kommt gerade aus Minnesota in New York an, sie wirkt wie ein Landei und ist doch durchsetzungsfähiger, als alle denken. C. C. erscheint zunächst umgänglich, am Ende der Episode wird er dann plötzlich erschreckend gewalttätig. Sein Berufskollege Larry Brown (Gbenga Akinnagbe aus  "The Wire") kommt von Anfang an brutaler rüber, für ihn arbeitet die junge Hure Darlene (Dominique Fishback aus Simons  "Show Me a Hero") - deren ältlicher Stammkunde keinen Sex will, sondern lieber Charles-Dickens-Verfilmungen mit ihr schaut. Die 20-jährige Collegestudentin Abby (gespielt von der 37-jährigen Margarita Levieva,  "Revenge") schläft mit ihrem Dozenten, schmeißt ihr Studium und verliebt sich in Vinnie. Sitten-Cop Chris (Lawrence Gilliard Jr., auch aus "The Wire") kommt als streetsmarter Gesetzeshüter ins Spiel.

Aber es geht auch durchaus bedrohlicher...
Aber es geht auch durchaus bedrohlicher...

Dirnen, Zuhälter, korrupte Polizisten, kiffende Studenten, Dealer, Mafiosi: Der Blick schweift über vieles in diesen ersten neunzig Minuten. In typischer Simon-Manier finden die Übergänge der dem Slang der Straße abgelauschten Dialoge und Szenen fast unmerklich statt: Regisseurin MacLaren inszeniert das gekonnt im Robert-Altman-Stil. Man bekommt sofort ein Gespür für den Spielort und fühlt sich zurückversetzt in die Zeit von Scorseses "Mean Streets". Und das komplette Tableau ist damit noch nicht einmal ausgeleuchtet: Der korrumpierbare Cousin aus der Baubranche (Chris Bauer, "The Wire",  "True Blood"), der schwule Barkeeper (Chris Coy, "Treme"), die Investigativreporterin (Natalie Paul, "Show Me A Hero"): alles Hauptfiguren, die eingangs noch gar nicht zu sehen sind. Immerhin darf man die Rapper Black Thought (von den Roots) und Method Man (vom Wu-Tang Clan) in markanten Zuhälterrollen bewundern.

Überhaupt die Musik: Vom Otis-Redding-Titelsong an wird jede Menge Seventies-Soul eingespielt, von James Brown bis War, von Al Green bis Johnny Watson. Der Soundtrack evoziert den Zeitgeist mindestens so sehr wie der Look der Serie, der aber - im Unterschied zu "Vinyl" - trotz der liebevoll ins Bild gesetzten Krokodillederschuhe und zur Schau getragenen Afros viel weniger nach dekorativer Hipness strebt. Das New York von 1971 sieht nicht schön aus, es stinkt. Die billigen, hellhörigen Apartments starren vor Dreck, und zwischen miesen Billardschuppen, billigen Donutläden und den Kinos des Theatre District (in denen noch keine Pornos laufen, sondern Bertoluccis "Großer Irrtum") debattieren die Ganoven über Präsident Richard Nixon, den Vietnamkriegs-"Pimp". Nostalgisch wirkt hier nichts. Die Times-Square-Gegend, die der Pilotfilm in aller Neon-Hässlichkeit vor Augen führt, ist die Startrampe für die Pornografisierung der Welt, für die kapitalistische Vermarktung des sexualisierten Körpers und damit auch für die - wie Abby es nennt ­­- "Objektifizierung" der Frau.

"The Deuce" muss, so sagte es David Simon in Vorabinterviews, einen Balanceakt meistern: Zu prüde darf die Serie angesichts ihres Themas nicht sein, zu lustvoll darf sie sich aber auch nicht präsentieren, schon um zu verhindern, dass sich die falschen Leute voyeuristisch an jenen Dingen aufheizen, die die Autoren kritisieren. Im Pilotfilm gelingt das: Es gibt Sex, doch er wird sachlich inszeniert. Es gibt nackte bis erigierte Tatsachen, aber beäugt werden sie aus gleichsam journalistischer Distanz. Auch Gyllenhaal und Franco kennen keine Scheu, wenngleich sie, anders als diverse Nebendarsteller und Statisten, auf full frontal nudity verzichten. Um den üblich weißen, männlichen Blick aufs gemischt-ethnische Geschehen zu vermeiden, setzt sich das Autoren- und Regieteam der acht Episoden paritätisch aus Frauen und Männern zusammen.

Der erste Eindruck ist sehr vielversprechend. Obwohl auf der reinen Handlungsebene nicht allzu viel geschieht, macht der impressionistische, dicht arrangierte Überblick über das Milieu am Times Square neugierig auf ein ergiebiges Sujet. Wie schon in  "Mad Men" für die Werbung oder in  "Halt and Catch Fire" für die IT-Welt dient das geschichtliche (Ur-)Setting nicht zuletzt als Vergleichsebene für das, was in den jeweiligen Branchen heute los ist. In diesem Fall heißt das: Bis zum Niedergang der Pornofilmbranche im Zuge der Digitalisierung und zum Anbruch unseres Zeitalters der YouPorn-Verschnipselung liegen gefühlt noch mindestens acht Staffeln Kapitalismuskritik à la David Simon. Man kann sich darauf freuen.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der spielfilmlangen Pilotepisode von "The Deuce".

Meine Wertung: 4/5
Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: HBO

Die Serie "The Deuce" feiert aktuelle bei HBO in den USA ihre Premiere und ist parallel in Deutschland immer am Montagabend ab 20.15 Uhr bei Sky Atlantic zu sehen sowie über die Digitalangebote des Pay-TV-Anbierters abrubfbar: Sky on Demand, Sky Go und Sky Ticket.

 

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für TV Wunschliste rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 ("Lonely Souls") ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 ("Pine Barrens"), The Simpsons S08E23 ("Homer's Enemy"), Mad Men S04E07 ("The Suitcase"), My So-Called Life S01E11 ("Life of Brian") und selbstredend Lindenstraße 507 ("Laufpass").

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