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Letty (Michelle Dockery) wirkt auf mehr als eine Weise verloren in der Welt
Letty (Michelle Dockery) wirkt auf mehr als eine Weise verloren in der Welt

Nein, gut geht's ihr nicht, das sieht man gleich: Letty Dobesh, die vielleicht auch Letty Raines heißt oder mal hieß, muss weißen, alten Männern schmierige Burger servieren und in jeder freien Minute die vollgeschissenen Toiletten putzen, in einer üblen Spelunke irgendwo in North Carolina. Als ihr ein zudringlicher Gast an die Wäsche geht - just grab her by the pussy -, schlägt sie hart zu - und wird zum Dank entlassen. Willkommen im trumpisierten Bible Belt.

Wer bisher dafür bekannt war, als spröde Lady Mary Crawley durch  "Downton Abbey" zu wandeln, kann wohl keinen klügeren Schritt tun, um das schauspielerische Portfolio zu erweitern: Michelle Dockery geht in der Rolle der Letty spürbar auf, sie ist das emotionale Zentrum der ebenso grimmigen wie ungewöhnlichen Neo-Noir-Produktion, die sich TNT von den beiden  "Wayward Pines"-Kollaborateuren Chad Hodge und Blake Crouch (nach dessen Krimiromanen) ins Programm hat schreiben lassen.

 "Good Behavior" (zehn Folgen) verschließt sich bekannten Krimi-Routinen keineswegs, verbindet diese aber mit Elementen, die über das Altbekannte hinausgehen: komplexen moralischen Fragen und einem Porträt des amerikanischen Südens zwischen White Trash und ruralem Geldadel, einem Gemisch, das gerade für die anbrechende Post-Obama-Zeit erhellende Einblicke verspricht.

Nach der anfänglichen Prügelei und einem Schnitt, der offenlässt, wie viel Zeit danach vergangen ist, lernen wir die 33-jährige Letty neu kennen: als Trickdiebin, die mühelos und weltgewandt in andere Rollen schlüpft, auch in solche, die ihren eigenen sozialen Status weit übersteigen. Aus ihrer bescheidenen Behausung, in der sie sich fast tranceartig von einer Selbsthilfe-App beschallen lässt, bricht sie regelmäßig zu Einbruchstouren auf, mal verkleidet als mondäne Rothaarige, mal als blonde Southern Belle. Von einem Komplizen lässt sie sich per Handy durch die Räume eines Luxushotels führen, um die Wertsachen der Gäste zu stehlen.

"Good Behavior" verharrt allerdings nicht als bloße Gaunerserie; die Dinge wenden sich vielmehr sehr bald zurück zum Düsteren. Als Letty sich noch in einem der Hotelzimmer aufhält, kehrt dessen Mieter Javier unerwartet früh dorthin zurück. Letty versteckt sich im Wandschrank und muss dort buchstäblich atemlos miterleben, wie sich der attraktive Argentinier (Juan Diego Botto aus  "Zorro - Der schwarze Rächer" und "Der Obrist und die Tänzerin") als Auftragskiller entpuppt, der von einem Klienten gerade für einen Gattinnenmord gebucht wird. Nur knapp kann sie unentdeckt entkommen. Am kommenden Tag macht sich Letty in der Verkleidung einer Femme Fatale an Javier heran, sie schläft mit ihm und erspitzelt Infos über das Opfer. Daraufhin warnt sie dieses und entwaffnet Javier, noch bevor dieser zur Tat schreiten kann, lässt sich schließlich aber doch auf einen unmoralischen Deal mit dem Schönling ein: Sie lässt ihn gehen (und morden), flieht dafür mit seinem Wagen und dem "Honorar". Bis zu diesem Zeitpunkt gegen Ende der ersten Folge sind Regisseurin Charlotte Sieling bereits zwei tolle Spannungssequenzen geglückt: Sowohl Lettys Flucht aus dem Zimmer (in völliger Stille inszeniert) als auch das Pas-de-deux mit dem Killer in der Opfervilla sind kleine Meisterstücke der Suspense-Regie.

Verstörend sympathisch: Mörder Javier (Juan Diego Botto)
Verstörend sympathisch: Mörder Javier (Juan Diego Botto)

Gerade als Letty als Bad-Ass-Heldin etabliert zu sein scheint, schickt "Good Behavior" sie jedoch runter in den Keller ihrer Existenz. Letty hat eine stattliche Sucht- und Sanktionskarriere hinter sich, säuft zu viel und muss sich regelmäßig bei ihrem Therapeuten Christian einfinden, den Terry Kinney ( "Billions",  "Oz - Hölle hinter Gittern") mit Caspar-David-Friedrich-Plakat im Büro und unterhaltsamer Lust an der zynischen Selbstverachtung verkörpert. Mit Javiers Geld tut Letty derweil nichts Sinnvolles: Sie gibt es für Crystal Meth aus. Aus dem Drogennebel gerissen wird sie dann ausgerechnet von Javier, der sie ausfindig macht und nicht tötet (obwohl sie darum zu bitten scheint), sondern zu seiner Komplizin macht. Eine Frau wie Letty, erpressbar und im Spiel mit Identitäten geübt, kann nur nützlich sein für sein Schattenbusiness.

Am Ende der ersten Folge werden Lettys Abgründe einmal komplett ausgleuchtet: Schon als Teenie war sie straffällig, dann wurde sie zum Junkie. Es folgten Abtreibungen, Suizidversuche, Knastaufenthalte. Die jüngste Haft ging gerade erst zu Ende: Man entließ sie vorzeitig, wegen good behavior. In irgendeinem Vorort hütet ihre White-Trash-Mutter Estelle (mit Reibeisenstimme: Lusia Strus) Lettys kleinen Sohn Jacob (Nyles Julian Steele), für den sie das Sorgerecht verlor. Letty ist unten, vielleicht zu weit unten, um als zupackende Antiheldin auf Dauer glaubwürdig bleiben zu können, aber das bleibt abzuwarten. Fürs Erste gerät sie in ein Abenteuer, dass Neuanfang und letzte Katastrophe zugleich werden könnte.

Viel hängt dabei von der Anziehungs- bzw. Abstoßungsdynamik zwischen Letty und Javier ab: Es knistert zwischen ihnen (zum Glück stimmt die Chemie zwischen Dockery und Botto), dennoch können beide in keinem Moment wissen, ob sie sich gleich gegenseitig übers Kreuz legen oder an die Gurgel gehen werden. Diese Grundfigur vieler Noir-Krimis wird hier reizvoll moralisch in die zappendustere Richtung gewuchtet: Javier zwingt Letty in die Rolle der Komplizin seiner Auftragsmorde und zwingt ihr damit marternde Gedanken über den Grad ihrer Mitschuld auf. "Ich werde niemanden selbst töten", sagt sie kategorisch. "Musst du auch nicht", antwortet er - doch schon am Ende der zweiten Folge ist diese Beruhigungsrhetorik perdu. Spätestens nach einem vermasselten Coup unter reichen Leuten in den Smoky Mountains, wo Javier beim Golfen einen Geschäftsmann tötet, während Letty Javiers Ehefrau spielt und sich mit der Frau des Opfers anfreundet, gibt es kein Zurück mehr für die Trickdiebin.

Gewiss, Juan Diego Botto ist als Javier so ziemlich das genaue Gegenteil dessen, was man sich sonst unter einem Auftragskiller vorstellen mag, er ist ein verführerischer, charmanter Sympath, dem man - perfiderweise - nichts Böses wünschen will; und Michelle Dockery wirkt, obgleich oft betont ungeschminkt, für eine langjährig Suchtgeschädigte mit Selbstzerstörungstendenzen immer noch beruhigend unversehrt und attraktiv, doch beider Charisma und ihr überzeugendes gemeinsames Spiel beugt jeder "Fifty Shades of Grey"-Glitschigkeit ausreichend vor. Die beiden sind Liebes- und Feindespaar zugleich, und während Javier stets eine größtmögliche Professionalität ausstrahlt (und seine künftigen Opfer gar in ethischen Fragen belehrt), bewegt sich Letty mit der Fuck-You-Attitüde einer Kaputtgelebten durch den Plot, die, wann immer es geht, Songs von Kelis oder Robyn auf die Tonspur zwingt.

Der Ausgang der im Zuge ihrer Dauer immer düsterer werdenden, auf eine Roadmovie-Situation zusteuernde und von Noir-Spezi Carl Franklin ("Out of Time") inszenierte zweite Folge deutet an, dass von "Good Behavior" definitiv mehr zu erwarten sein wird als ein "Gaunerstück der Woche" plus Amour Fou. Das Americana-Setting, die beänstigend ausgeprägte Labilität der famos gespielten Heldin sowie die ethische Zwickmühle, in die auch der zeitweise unwillkürlich mit dem Mörder mitfiebernde Zuschauer gezwungen wird, heben das Projekt über den Krimistandard hinaus.

Man kann sich freuen auf eine nicht ohne Mut gestaltete, abgründige Verstrickungsgeschichte aus dem unterprivilegierten Amerika, deren tatsächliche Komplexität sich freilich noch bestätigen muss. Eine klar erkennbare Richtung besitzt "Good Behavior" bis dato noch nicht - was aber nicht notwendigerweise ein Nachteil sein muss. Den Plausibilitätsbogen haben die Autoren bislang jedenfalls noch nicht überspannt, als Genre-Unterhaltung überzeugt das Ergebnis. Nur ein Happy End, das ist für Letty und Javier schon jetzt ziemlich unwahrscheinlich geworden.


Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von "Good Behavior".

Meine Wertung: 3.5/5


Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: 2016 Turner Broadcasting System, Inc. A Time Warner Company. All Rights Reserved

Letty als soziales Chamäleon inmitten einer Gruppe reicher Ehefrauen.
Letty als soziales Chamäleon inmitten einer Gruppe reicher Ehefrauen.


 

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für TV Wunschliste rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 ("Lonely Souls") ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 ("Pine Barrens"), The Simpsons S08E23 ("Homer's Enemy"), Mad Men S04E07 ("The Suitcase"), My So-Called Life S01E11 ("Life of Brian") und selbstredend Lindenstraße 507 ("Laufpass").

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