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TV-Kritik/Review: The Missing

Neuer Entführungsthriller von BBC und Starz - von Gian-Philip Andreas
(02.12.2014)

Tony Hughes (James Nesbitt) gerät in Panik, als sein Sohn Oliver spurlos verschwindet.
Tony Hughes (James Nesbitt) gerät in Panik, als sein Sohn Oliver spurlos verschwindet.


Im Vorspann stimmt die belgische Post-Rock-Band Amatorski ein süß-verschattetes Schlaflied an: "Oh, my love, we pray each day", heißt es da zu kaleidoskopartig flirrenden Bildern. "May you come home and be okay." Vielleicht ist es gerade das unwirklich Tröstende in der Stimme von Sängerin Inne Eysermans, das von Anfang an ein Unbehagen über die Szenerie dieser sehenswerten britischen Miniserie wirft: Unbeschadet, so viel scheint jetzt sicher, kommt niemand aus ihr heraus.

Der Gesang bringt das Wesentliche der Serie bereits auf den Punkt: Ein Kind ist verschwunden - wieder mal.  "The Missing", eine Kooperation von BBC One mit dem amerikanischen Bezahlsender Starz, präsentiert sich als neue Variation über das immens populäre Krimi-Thema des entführten und/oder ermordeten Kindes - ein Thema, dem sich in jüngster Zeit auch  "Top of the Lake" (BBC/Sundance) und  "Broadchurch" (ITV) sehr effektiv widmeten. Es muss an der moralischen Fallhöhe liegen: Jedes Verbrechen wirkt noch grausamer, wenn es an den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft, Kindern, verübt wird.

Die acht Folgen von "The Missing", allesamt geschrieben von Harry und Jack Williams und inszeniert von  "Ripper Street"-Regisseur Tom Shankland, nähern sich dieser Tat (von der zunächst gar nicht klar ist, ob es sich dabei überhaupt um eine "Tat" handelt) von zwei verschiedenen Punkten aus: der Tatzeit im Sommer 2006 - und der Jetztzeit, acht Jahre später. Das erweist sich rasch als geschickter Schachzug, denn das dramaturgische Voraus und Zurück, dem sich die Autoren konsequent verpflichten, sorgt dafür, dass Vergangenheit und Gegenwart (bzw. die Zukunft, von damals aus gesehen) Szene um Szene ein jeweils neues Licht aufeinander werfen: Was eben in 2006 noch eindeutig aussah, wirkt, nachdem man mehr aus der Jetztzeit erfahren hat, plötzlich suspekt - und umgekehrt: ein faszinierendes narratives Puzzle. Inszenatorisch ist dieses Wechselspiel ganz simpel organisiert: Die Schauspieler werden mit neuen Frisuren dezent auf älter geschminkt, und um Konfusionen zu verhindern, wird immer mal wieder die Jahreszahl eingeblendet. Das funktioniert bestens.

Hier eine Skizze der Tatzeit und der wesentlichen Beteiligten: Im Sommer 2006, als in Deutschland die Fußball-WM tobt, macht die britische Familie Hughes Urlaub in Nordfrankreich. Im malerischen (aber fiktiven) Örtchen Chalons-du-Bois in der Nähe von Lille (gedreht wurde im belgischen Huy) versagt die Autobatterie. Weil die Reparatur dauern wird, steigt Familie Hughes im kleinen Hotel Eden ab. Abends geht Vater Tony (intensiv: James Nesbitt, bekannt als einer der "Hobbits") kurz mit dem fünfjährigen Söhnchen Oliver schwimmen, auf dem Weg zurück zum Hotel kauft er ihm an einer Getränkebude noch eine Limo, während sich die ganze Stadt vor den Kneipen-Fernsehern versammelt, um das Viertelfinale Frankreich-Brasilien zu verfolgen - das in der zweiten Halbzeit durch ein frenetisch gefeiertes Thierry-Henry-Tor entschieden wird. Nur kurz lässt Tony im allgemeinen Gedränge die Hand seines Sohnes los, dann ist Olly weg. Während die Franzosen ausgelassen ihre siegreichen Kicker feiern, sucht Tony panisch das Gelände ab - doch der Junge bleibt verschwunden. Mutter Emily (stark: Frances O'Connor aus Steven Spielbergs "A. I.") ist fassungslos. So schnell sich der Urlaub in einen Alptraum verwandelt, so mechanisch nimmt der Vermissten-Fall die üblichen organisatorischen Wege: Die lokalen Polizisten Ziane (Said Taghmaoui, "Hass") und Laurence (Émilie Dequenne, "Rosetta") leiten die Fahndung ein, der britische Interpol-Ermittler Mark Walsh (Jason Flemyng, "Bube Dame König Gras") trifft ein (samt seines ebenfalls fünfjährigen Sohns), und bald tritt auch die zentrale Ermittler-Figur dieses Krimidramas auf den Plan, der kurz vor der Pension stehende Kriminalbeamte Julien Baptiste, großartig gespielt vom ergrauten Kino-Haudegen Tchéky Karyo. Karyo war zwischen Europa und Hollywood jahrzehntelang als Schuft vom Dienst unterwegs (etwa im Jet-Li-Kracher "Kiss of the Dragon") - so gut wie hier hat man ihn aber noch nie gesehen. Ruhig, bedächtig, kompetent - so verwandelt Baptiste sich den Fall an, in den bald auch der stadtbekannte Pädophile Vincent Bourg (Titus de Voogdt) sowie der joviale britische Architekt Ian Garrett (großartig: Ken Stott, ein weiterer "Hobbit") verwickelt zu sein scheinen - und auch über Tony Hughes unbequeme Dinge ans Licht kommen. Schließlich schwebt, wie ein Gespenst, der eiskalte Journalist Malik Suri (Arsher Ali) durch die Serie: Aus Gründen, die anfangs nicht klar sind, hat er etwas gegen Ziane in der Hand, weshalb er den Polizisten um Infos erpresst.

Frances O'Connor als Mutter Emily Hughes.
Frances O'Connor als Mutter Emily Hughes.

Sprung in die Gegenwart: Olly ist nie wieder aufgetaucht, sein Verschwinden blieb bis dato ungeklärt. Tony und Emily Hughes sind längst nicht mehr verheiratet, Emily lebt in London inzwischen mit Mark Walsh zusammen. Walshs Sohn ist jetzt dreizehn, genauso alt also, wie Olly heute wäre. Nicht immer gelingt es Emily so zu tun, als habe sie sich im Griff. Journalist Malik treibt nach wie vor sein unethisches Unwesen - inzwischen scheint er auch etwas gegen Emily in der Hand zu haben. Vincent Bourg lebt inzwischen ebenfalls in England, er hat den (medikamentösen) Kampf gegen seine Pädophilie aufgenommen. Polizist Ziane hingegen sitzt im Gefängnis. Pensionär Baptiste ist im Ruhestand zum leidenschaftlichen Imker geworden, er trägt jetzt John-Lennon-Brillen. Warum er inzwischen hinkt wie Dr. House, weiß man noch nicht. Und Tony? Tony hat über die Jahre allen Halt verloren. Der Fall des verschwundenen Sohns ließ ihn nicht los, er wirkt abgebrannt, besessen, verbissen, versoffen. Mit Beginn der Spielhandlung kehrt er zurück nach Chalons-du-Bois, um (wohl zum x-ten Mal) nach neuen Hinweisen zu suchen. Und tatsächlich findet er einen neuen Ansatzpunkt: Im Keller eines Vororthauses wird eine Wandzeichnung entdeckt, die nur von Olly stammen kann. Gemeinsam mit Baptiste nimmt er die Ermittlungen wieder auf.

Während sich die Erzählung in getragenem Tempo aus Jetztzeit und Vergangenheit Schritt für Schritt dem Wichtigsten - dem, was dazwischenliegt - annähert, schält "The Missing" schöne Charakterporträts aus den verschiedenen Figuren. Zu beobachten ist, wie das Misstrauen in private und berufliche Beziehungen kriecht, wie Schuldvorwürfe gedeihen, wie Opfer zu Tätern werden und umgekehrt. Es gibt verdächtig verdächtige Verdächtige (die natürlich nichts mit der Tat zu tun haben können) und Abgründe in den Ermittlerfiguren, klar gesetzte "cold openings" und klassische Cliffhanger am Ende jeder Episode, die sich mal 2006, mal 2014 zutragen. Der Radius der Ermittlungen erweitert sich dabei parallel zum Aufwand der eingesetzten Mittel. In Folge drei etwa wird mit einem ziemlich gruseligen "Blow up"-Zitat operiert, dem nächsten Toten folgt eine wirklich spektakulär gefilmte Autoverfolgungsjagd durch enge Gassen.

Auch wenn zur Halbzeit der Miniserie allmählich klar wird, welche Wege (und vor allem: Abwege) die Figuren auf beiden Zeitebenen noch beschreiten werden, tut das der leisen, aber effektiv steigenden Spannung keinen Abbruch. Shankland nutzt in seiner auf Atmosphäre setzenden, aber stets klaren Regie ausgiebig den eindrucksvollen Spielort, der zwischen pittoreskem Fluss, abweisenden Hochhäusern, grünen Wäldern und einer über der Stadt aufragenden Zitadelle ähnliche Wirkung entfaltet wie etwa das Klippen- und Wiesensetting von "Broadchurch". Zusammen mit dem mal melancholisch klimpernden, mal atonal fiependen Score von Dominik Scherrer und den hervorragenden Darstellern (die auch den pausenlosen Übersetzungsstress zwischen Französisch und Englisch jederzeit plausibel machen) ergibt das das fast makellose Beispiel einer idealtypisch stimmungsvollen Crime-Drama-Serie. Leider hat sie ein nicht zu vernachlässigendes Problem, das ihre fällige Ausnahmestellung wohl torpedieren wird: Die Story ist nicht neu. Und auch die Typen sind nicht neu. Neu wird vermutlich auch die Auflösung nicht sein - so es denn eine geben wird. Vielleicht taucht Olly ja doch noch auf, vielleicht bleibt das Rätsel einfach offen. Wahrscheinlicher aber: weder noch. Obwohl doch das Schlaflied des Vorspanns so provozierend provisorisch schließt: "For now, we wait for you to come home."

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten vier Episoden der Serie.

Meine Wertung: 4/5


Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: BBC/Starz


 

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für TV Wunschliste rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 ("Lonely Souls") ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 ("Pine Barrens"), The Simpsons S08E23 ("Homer's Enemy"), Mad Men S04E07 ("The Suitcase"), My So-Called Life S01E11 ("Life of Brian") und selbstredend Lindenstraße 507 ("Laufpass").

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Leserkommentare

  • JackBauer schrieb am 05.12.2014, 20.35 Uhr:
    Super preview, am liebsten würde ich die Serie sofort anfangen zu schauen!