Leben, die sich verlaufen, verirrte Biografien: Regisseurin Claudia Bauer erzählt von einer Gruppe von Jugendlichen in Ostdeutschland in den Wendejahren, am Übergang von zwei Systemen. Niemand glaubt wirklich an das, woran man vom Staat verordnet glauben soll, bis auf eine. Es zeigt sich, für jeden wird der Wechsel von Sozialismus zu Kapitalismus andere Herausforderungen bereithalten. Wer wird Nazi und wer "Zecke"? Wer schafft es, sich an das neue System anzupassen, wer wird von ihm zerrieben und scheitert? Nachts wird das Freibad zum Sehnsuchtsort, zum Treffpunkt für die Clique und alle anderen Jugendlichen der Stadt. Wärme und Geborgenheit, erkämpfte Freiheiten, eine ganz normale Jugend einerseits, in der Schule die Absurdität der politischen Indoktrination, militärischer Drill und Konformität andererseits. Hinter einer großen Leinwand befindet sich ein Raum, der nur halb einsichtig ist, Projektion und Realität überlagern sich. Zwei Männer lesen immer wieder die gleichen Sätze vor, die schon zu Beginn der Romanadaption "89/90" die Entwicklung der Protagonisten vorwegnehmen. Regisseurin Claudia Bauer gelingt am Schauspiel Leipzig ein Geniestreich. Neben einem fulminanten Ensemble stemmt, in einem an Marthaler und Viebrock erinnernden Bühnenbild, ein Chor den Großteil des Abends. Von Parteihymne bis Punk bringt er alles auf die Bühne, was die DDR zu bieten hatte. Die Inszenierung blickt liebevoll auf die Wendejahre, die wohl aufregendsten der deutsch-deutschen Geschichte, ebenso wie auf die Protagonisten des Romans von Peter Richter. Mit viel Ernst und dennoch überaus humorvoll zeigt "89/90" Biografien am Scheidepunkt, ohne dabei jemals in Ostalgie abzudriften.
(3sat)
Länge: ca. 155 min.
Deutsche TV-Premiere: 20.05.2017 (3sat)
Cast & Crew
- Regie: Andreas Morell
- Drehbuch: Peter Richter
- Musik: Peer Baierlein
- Szenenbild: Andreas Auerbach, Claudia Bauer