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TV-Kritik/Review: War & Peace
(18.01.2016)
Ganz in der Tradition großer Fernsehmehrteiler zum Jahresende respektive -anfang hat sich die britische BBC in einer sechsteiligen Neuverfilmung einem der Klassiker der russischen Literatur angenommen:
Tolstoi macht es einem in seinen Romanen bekanntlich nicht einfach, den Überblick über das ausufernde Figurenarsenal zu behalten, bei dem irgendwie jeder mit jedem verwandt zu sein scheint. Hier sind es im Wesentlichen vier Familien, deren Schicksale vor dem Hintergrund der Kriege zwischen dem zaristischen Russland und Frankreich unter Napoleon geschildert werden. Pierre Besuchow ist der uneheliche Sohn eines Grafen, ein junger Mann, der nicht so recht weiß, was er mit seinen Talenten anfangen soll. So versackt er Abend für Abend im Bordell, weil die aristokratischen Frauen sich (zumindest scheinbar) nicht für ihn interessieren. Der Amerikaner Paul Dano ("Little Miss Sunshine") legt ihn wie eine Art erwachsen gewordenen Harry Potter an, mit Topfschnitt und Nickelbrille. Während Besuchow das Anwesen seines verstorbenen Vaters erbt und versucht, sich in seine neue Rolle als Graf einzuleben, ziehen zwei seiner Freunde in Österreich in den Krieg gegen Napoleon: Andrej Bolkonski (James Norton) kämpft an vorderster Front und wird beinahe tödlich verwundet, während seine Gattin zu Hause sein erstes Kind erwartet - und von bösen Vorahnungen geplagt wird. Nikolai Rostow (Jack Lowden) kommt gar nicht erst so weit, weil er bereits an seinem ersten Tag im Kampf von Weitem vom Pferd geschossen wird.
Der durchtriebene Fürst Wassili Kuragin (Stephen Rea, gefühlt in jedem britischen TV-Mehrteiler dabei) schafft es, seine hedonistische Tochter Helene (Tuppence Middleton) mit dem wohlhabenden Pierre zu vermählen. Die hat an dem verschrobenen jungen Grafen emotional aber gar kein Interesse (und gibt sich lieber dahergelaufenen Kriegshelden hin) - ganz im Gegensatz zu Natascha Rostowa (Lily James), Nikolais Schwester, die sich ihrer Gefühle aber nicht sicher ist. Für zahlreiche Nebenstränge sorgen zusätzlich die diversen anderen Geschwister, Nichten und Neffen der Hauptfiguren. Hat man einmal halbwegs verstanden, wer zu welcher Familie gehört und wer aus welchen Gründen an welchem potentiellen Ehepartner interessiert ist, kann man durchaus Interesse an diesen Beziehungsgeflechten finden.
Tolstoi stellt dabei verschiedene Zivilisationsstufen der Eheanbahnung einander gegenüber: das traditionelle aristokratische Prinzip der Heirat aus rein ökonomischen und machtpolitischen Motiven vertritt vor allem Fürst Kuragin. Ihm geht es nur um seinen eigenen finanziellen Vorteil, weswegen er auch seinen Sohn Anatol (Callum Turner) mit Andrejs Schwester Marja (bezaubernd: Jesse Buckley) vermählen will. Deren Vater verkörpert die modernere Überzeugung, dass es das Recht seiner Tochter ist, selbst zu entscheiden, wen sie zum Mann nehmen will. Altstar Jim Broadbent, bekannt aus den "Harry Potter"-Filmen, aber auch aus typisch britischen (Tragi)Komödien wie Mike Leighs "Another Year", spielt diesen alten, leicht verschrobenen Fürsten großartig, wie er nach außen hin den kühl-aristokratischen Schein zu wahren versucht (etwa, wenn er die Nachricht bekommt, dass sein Sohn nach dem Kampf vermisst wird), um dann alleine in seinem Arbeitszimmer doch mit den Tränen zu ringen.
Was Tolstois Werke heute allgemein immer noch so reizvoll macht, ist natürlich die absolute Zeitlosigkeit der dargestellten Gefühle, die er aber auf ungleich höherem Niveau schildert als die meisten zeitgenössischen Autoren von Liebesgeschichten. Kontrastiert werden diese Herzschmerzgeschichten in diesem Fall mit den Kriegshandlungen, die sozusagen die andere, die dunkle Seite der menschlichen Seele abbilden. Die BBC hat hier keine Kosten und Mühen gescheut, um zwar relativ kurze, aber absolut episch aussehende Schlachten zu inszenieren. Lediglich die dabei immer wieder eingespielten russischen Chorgesänge sind etwas zu viel des Guten. Regisseur Tom Harper nimmt sich aber auch Zeit für ruhigere Momente, wenn etwa der schwer verwundete Andrej den blauen Himmel über dem Schlachtfeld betrachtet und darüber sinniert, warum er dessen Schönheit bisher noch nie wahrgenommen hat.
Für die Adaption des Mehr-als-1500-Seiten-Werkes zeichnet Andrew Davies verantwortlich, Spezialist für britische Klassikerbearbeitungen. Er hat etwa auch schon mehrere Jane-Austen-Romane als TV-Mehrteiler umgesetzt. In diesem Fall schafft er es gut, aus dem Wust der Romanfiguren die wichtigsten herauszuarbeiten und dem Zuschauer näher zu bringen. Dabei kommt ihm sicher entgegen, dass eine sechstündige Miniserie einer solchen epischen Vorlage angemessener sein kann als ein Kinofilm. Optisch sieht das alles sehr gut aus, was die BBC hier auf die Beine gestellt hat. Computergenerierte Bilder sind behutsam eingesetzt, das Moskau und St. Petersburg der vorletzten Jahrhundertwende werden glaubwürdig zum Leben erweckt. Die Frage bleibt, ob es diese x-te Neuverfilmung gebraucht hätte, zumal sich solche historischen Romane nur sehr behutsam modernisieren lassen. Wer diese Art von TV-Filmen mag, wird mit dieser Version aber sicher gut bedient.
Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten beiden Episoden der Serie.
Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: BBC
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