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Das Netflix-Drama um eine übergriffige Therapeutin überzeugt nur teilweise
Naomi Watts als distanzierte Psychiaterin Jean Holloway in "Gypsy" ...
Alison Cohen Rosa/Netflix
TV-Kritik/Review: "Gypsy": Naomi Watts glänzt in behäbiger Psychostudie/Alison Cohen Rosa/Netflix

Spätestens seit sich Tony Soprano bei Dr. Jennifer Melfi in Behandlung begab und Gabriel Byrne in  "In Treatment - Der Therapeut" eine ganze Patientenkartei abarbeitete, sind Psychotherapeuten, Psychiater und sonstige Analytiker oft gesehene Gäste im Reich der Qualitätsserien: Von  "Mr. Robot" bis  "The Newsroom", irgendwann landet jeder gebrochene Held mal auf der Couch. Denn Therapeuten sind einer der beliebtesten Tricks von Drehbuchautoren, wenn sie tiefer ins Seelenleben ihrer Protagonisten vordringen möchten. Was andernfalls im Dialog oder, noch schwieriger, übers Bild transportiert werden müsste, können sie den Figuren so von psychologischem Fachpersonal aus der Nase ziehen lassen.

 "Gypsy" dreht die Sache um: In dieser neuen, zunächst zehn Episoden umfassenden Netflix-Serie ist die Therapeutin die Hauptfigur, und um ihre eigene Befindlichkeit geht es darin deutlich mehr als um die Geschicke ihrer Patienten - letztere erweisen sich stattdessen vor allem als Katalysatoren für die immer befremdlicheren Handlungen ihrer Ärztin, die sich bald unzulässig weit in ihr Leben einmischt. Ausgedacht hat sich das die 31-jährige Autorin Lisa Rubin, deren allererstes TV-Projekt dies ist. Das Thema ist vielversprechend: "Gypsy" erzählt, mit einem überwiegend weiblichem Cast, vom Begehren einer nicht mehr ganz so jungen Frau, die plötzlich aus ihrem perfekt eingenordeten Komfortklassenleben ausschert und dafür das Vertrauensverhältnis zu ihren Patienten ramponiert. Für Kinostar Naomi Watts ist es die erste Serienhauptrolle.

Ihre Figur wird als eine durch und durch vom Glück geküsste eingeführt: Mitten in Manhattan arbeitet die 47-jährige Jean Holloway in einer lichtdurchfluteten Gemeinschaftspraxis; Kollegin Larin (Poorna Jagannathan aus  "The Night Of") ist zugleich ihre beste Freundin; zu Hause, in einer luxuriös eingerichteten Wohlfühloase, warten ihr freundlicher Mann, der smarte, erfolgreiche Anwalt Michael (Billy Crudup aus "Almost Famous") sowie eine goldige Tochter im Grundschulalter auf sie. Eine Spur zu perfekt ist das Haus eingerichtet, ein bisschen zu häufig greift Jean nach dem Rotwein, eine Idee zu offensiv weist Michael zudem jeden Verdacht von sich, er könne für die erotischen Verführungskünste seiner Assistentin Alexis (Melanie Liburd,  "Dark Matter") empfänglich sein. Die Sollbruchstellen sind klein, aber erkennbar.

Jean (Naomi Watts) leicht unentspannt mit Ehemann Michael (Billy Crudup)
Jean (Naomi Watts) leicht unentspannt mit Ehemann Michael (Billy Crudup)

Drei von Jeans Patienten werden näher vorgestellt. Da ist Claire (Brenda Vaccaro, "You Don't Know Jack"), eine Matrone Mitte siebzig, die sich nicht von ihrer erwachsenen Tochter abnabeln kann. Da ist die junge Allison (sehr gut: Lucy Boynton), die sich mit Drogen eingelassen hat und mit den falschen Kerlen, und schließlich der depressive Sam (Karl Glusman aus Gaspar Noés "Love"), der Jean obsessiv von seiner Ex-Freundin vorschwärmt, einer Sängerin, die in seinen Schilderungen zur Halbgöttin gerät.

Der Kniff ist nun, dass es um diese drei Patienten primär nicht geht. Deren Darsteller können einem deshalb fast leidtun, denn genauso gelangweilt, wie Jean ihren Ausführungen lauscht, so peripher kümmert sich Autorin Lisa Rubin um sie. Viel eher interessiert sie sich für die Abwege, auf die sich Jean nun begibt. Warum sie das tut? Der Voiceover, mit dem sich die Protagonistin vorstellt, winkt heftig mit dem Zaunpfahl: "Ich habe immer geglaubt, dass alle Menschen ihr Leben selbst bestimmen", sagt sie. "Aber es gibt eine Kraft, die stärker ist als der freie Wille: das Unterbewusstsein."

Prompt steigt sie die Stufen zu einem hippen Coffeeshop hinunter, dessen Name sogar noch heftiger mit dem Zaunpfahl winkt: "Rabbit Hole" heißt der Laden, und wie Alice durchs Kaninchenloch ins Wunderland hinunterstürzt, landet Jean in der Parallelwelt ihrer eigenen Versuchungen. Sie nennt sich fortan "Diane" und schmeichelt sich ins Leben der dort als Barista jobbenden Sängerin Sidney (Sophie Cookson), eben jener Frau, über die Patient Sam nicht hinwegkommt. Im Laufe der ersten beiden Episoden gerät Jean/Diane immer näher mit Sidney aneinander, sie folgt der jungen Frau ins Nachtleben, eine Affäre entspinnt sich, die erst (vorläufig) abgewürgt wird, als Sidney der gefälschten Identität ihrer Verehrerin auf die Spur zu kommen droht. Auch den Bezugsfiguren ihrer anderen Patienten steigt Jean hinterher; mit Claires Tochter Rebecca (Brooke Bloom, "She's Lost Control") etwa befreundet sie sich beim Friseur.

Worauf Rubin mit "Gypsy" hinauswill, ist leider allzu schnell erkennbar - das ist das große Manko dieser Serie. Wann werden die Patienten merken, dass ihre Therapeutin ihr Vertrauen missbraucht? Laufen Sie sich irgendwann über den Weg? Wann wird Gatte Michael dahinterkommen, dass Jean ein Doppelleben führt? Und wann wird Jean selbst an dem Punkt sein, an dem sie sich für oder gegen ihr bisheriges Leben entscheiden muss? Es ist wahrscheinlich, dass diese Dinge eintreten werden - die Frage ist bloß, wann. Wenn man den narrativen Möglichkeitsraum einer Serie allerdings so früh überblicken kann, verheißt das in der Regel nichts allzu Gutes.

Jean (Naomi Watts) als ihr Alter Ego Diane
Jean (Naomi Watts) als ihr Alter Ego Diane

Woran es "Gypsy" - zumindest eingangs - mangelt, sind Überraschungen, und das betrifft auch die gestalterische Ebene. Regisseurin Sam Taylor-Johnson ("Fifty Shades of Grey") inszeniert klar und unprätentiös, aber auch wenig markant. Einen die Serie kennzeichnenden Look sucht man vergebens. Das Erzähltempo ist langsam, ohne dass aus dieser Langsamkeit ein Mehrwert entspränge. Immer wieder wirken zudem Details unstimmig - zum Beispiel der Besuch in einem betonkühlen Techno-Kellerclub, der wohl verrucht wirken soll, aber eher dadurch amüsiert, dass man sich dort auf spärlich besetzter Tanzfläche in gedämpfter Zimmerlautstärke unterhalten kann.

Mag sein, dass Rubin gepfefferte Twists in der Hinterhand hat, zu hoffen wäre es. Bislang überzeugen indes eher die Nebensächlichkeiten. In einem Subplot etwa geht es um Jeans kleine Tochter, die offenbar lieber ein Junge wäre - was zu Scharmützeln mit den Eltern der anderen Schulkindern führt und Jeans Rolle einer engagierten Nachbarschaftsmutter torpediert. Oder die Tatsache, dass auch Michael mit der ihm zugewiesenen Rolle eines glücklichen Familienvaters hadert: Am Ende der zweiten Folge sitzen die Eheleute nachts auf dem heimischen Designersofa, sie sind sich ehrlich zugetan, und doch lassen beide entscheidende, kompromittierende Details ihres Tagesablaufs weg. Das ist ein anrührender Moment, der die Charaktere (be-)greifbar macht. Was bislang weniger gut funktioniert, ist das dramaturgische Spiel mit den Informationen, auf die Jean Zugriff erhält: Das, was sie von ihren Patienten über deren Bekannte erfährt, nutzt die Therapeutin, um mit diesen Kontakt zu schließen; und das, was sie wiederum von diesen über ihre Patienten erfährt, nutzt sie in den Therapiestunden, um die Patienten entsprechend zu "lenken". Das klingt reizvoll, doch die Serie steht sich selbst im Weg, weil die Patienten kaum Profil gewinnen.

So ergibt sich das Bild einer sehr ambitionierten Charakterstudie, die gezielt mit Elementen aus Psychothriller und Satire operiert und zudem viel Frauenpower vor und hinter der Kamera (und auf dem Soundtrack) versammelt, die sich aber noch nicht so ganz gefunden hat. Auch der Sinn des Titels erschließt sich zunächst nicht, nur über den Titelsong, eine Neuaufnahme des Fleetwood-Mac-Heulers "Gypsy" von Stevie Nicks.

Dass man dennoch einen Blick riskieren sollte, das liegt an der Hauptdarstellerin: "King Kong"-Star Naomi Watts ist schon oft als darstellerisches Leichtgewicht verkannt worden, dabei beweisen ihre x-fach prämierten Auftritte in Filmen wie "21 Gramm" ebenso das Gegenteil wie ihr Durchbruch in "Mulholland Drive" von David Lynch - in dessen kongenialer  "Twin Peaks"-Fortsetzung sie gerade auch ihr komisches Talent beweist. "Gypsy" ist nun vollends auf sie zugeschnitten, aber Watts, die auch mitproduzierte, reißt die Show sympathischerweise nie an sich. Ihr Spiel ist bescheiden, macht kein großes Aufhebens, und doch vermittelt Watts alle Nuancen ihrer Rolle: die Professionalität, die über sich selbst erstaunte Forschheit, die alltägliche Verlorenheit und die Verzweiflung über ihr unverschämtes Lebensglück. Wäre bloß die Serie besser, als sie es bisher ist - man müsste ihr Folge um Folge entgegenfiebern.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Folgen von "Gypsy".

Meine Wertung: 3/5

Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: Alison Cohen Rosa/Netflix

 

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für TV Wunschliste rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 ("Lonely Souls") ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 ("Pine Barrens"), The Simpsons S08E23 ("Homer's Enemy"), Mad Men S04E07 ("The Suitcase"), My So-Called Life S01E11 ("Life of Brian") und selbstredend Lindenstraße 507 ("Laufpass").

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Leserkommentare

  • oberwolf schrieb am 06.07.2017, 16.32 Uhr:
    Endlich einmal eine Review der ich zustimmen kann. Was mich aber nicht davon abgehalten hat in den BINGE Modus zu verfallen, mir die Nacht um die Ohren zu schlagen und mir alle 10 Folgen auf einmal reinzuziehen. Natürlich spitzt sich die Entwicklung zu und deshalb MUSS es eine zweite Staffel geben auf die ich mich heute schon freue.
    Natürlich stimmt es das es manchmal etwas langsam zugeht aber mich hat Naomi Watts so in den Bann gezogen das ich das der Serie nachsehe.
    Wie immer ist ein Review subjektiv und des wird einige geben die es anders sehen. Manche finden ja alles doof andere alle gut. Auf alle Fälle zahlt sich ein reinschnuppern aus meiner Sicht auf alle Fälle aus.