TV-Kritik/Review: "Levi Strauss und der Stoff der Träume": Verschenkte Chancen hinterlassen historische Schmonzette

Mitunter verschwinden Ereignisse in den Nebeln der Geschichte. Dann legt zum Beispiel  "Shōgun" nicht jedes Wort auf die Goldwaage, um optisch und inhaltlich zu begeistern. Bei dieser Strategie schummeln die Macher von  "Levi Strauss und der Stoff der Träume": Rein zufällig trifft der Händler Levi Strauss (Vincent Redetzki) seinen künftigen Partner Jacob Davis (Anton von Lucke) - auf einem der unzähligen Schiffe mit europäischen Auswanderern.

Das Erste sendet alle vier Episoden am 3. Januar um 20.15 Uhr. In der ARD Mediathek ist ab dem 30. Dezember zu sehen, wie Levi Strauss seine neuartigen Jeans unter die Leute bringt. Verbündete wie seine Schwester Fanny Stern (Amy Benkenstein) ermöglichen den Erfolg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die abenteuerlichen Zustände schrumpfen auf den Ärger mit Bösewichten wie J.C. Eddy (Roland Koch).

Pferde sollen neuartige Hose zerreißen

1876 bewundern Einwohner von San Francisco ein Spektakel von Levi Strauss. Werden Sie Zeuge einer patentierten Weltneuheit - einer Hose, die selbst der stärksten Beanspruchung widersteht, trommelt ein Ausrufer für das Produkt. Zwei Pferde sollen die Montur zerreißen. Bis heute wirbt das Unternehmen mit dem Versprechen, dass seine Beinkleider aus dem sogenannten Denim-Stoff solche Strapazen aushalten. Schauen Sie mal auf das Etikett Ihrer Blue Jeans! Laut Texteinblendung startet der Klamottenverkäufer Jahre zuvor seine Karriere - in der Gemeinde Buttenheim, die zum Königreich Bayern gehört.

Schmalz schwimmt im Atlantik

1848 tropft Kitsch auf die Reste der Familie bei ihrer Reise über den Atlantik. An Bord will ein kleines Mädchen seinen kranken Hund behalten. Gnädigerweise versäumt das Kind, dass Jacob Davis das Tier durch einen Schuss erlöst. Die List beeindruckt den deutschen Beobachter Levi. Schnell ist zu hören, dass Träume in San Francisco wahr werden. Ein schmalziges Lied untermalt die Idylle auf dem Ozean. Die älteren Söhne empfangen die Nachzügler aus der Heimat. Innerhalb von Sekunden erwachen Spannungen zwischen Levi und seinen Halbbrüdern.

Besoffener Anführer würgt tapferen Schneider

Irgendwie landet Jacob in der Sierra Nevada. Dabei wäre es schön, dem Frischling auf seinem Trip nach Westen zu folgen. Der Schneider verkauft seine Waren in der Einöde: Planen, Satteldecken - und Arbeitshosen, die als Duck Pants bekannt sind. Der Chef der Goldgräber zwingt Jacob, in seinem Camp zu dienen. In New York entflammt Fanny Strauss für ihren baldigen Ehemann David Stern (Bardo Böhlefeld). Levi wechselt nach San Francisco, wo er Schutzgeld an J.C. Eddy und seinen Sohn Henry (Alessandro Schuster) zahlen soll. Journalist Jude William (Golo Euler) wittert eine packende Story. Der besoffene Anführer der Goldgräber schlägt und würgt Jacob. Aber Annie Packsher (Lea van Acken) rettet den netten Typen.

Gitarrengedudel stört Schabbat

Die Städte ähneln eher den italienischen Drehorten als New York und San Francisco. Immerhin wehen Zeitgeist und jüdisches Bewusstsein durch liebevoll gestaltete Innenräume. Leider zerstört Gitarrengedudel die intime Stimmung, als Familienmitglieder und Freunde getrennt Schabbat feiern. Gelegentlich überzeugt die Miniserie mit Eindrücken von Armut und Ausgrenzung.

Levi und Jacob arbeiten zusammen

Hass und Rassismus rücken dem TV-Publikum selten so nahe wie in den Anfangsmomenten. Eine Bauersfrau beschimpft das Geschwisterpaar Fanny und Levi als Judenpack. Sie hilft ihrem Sohn, die beiden Hausierer zu bestehlen. Im lettischen Riga droht sogar Gefahr für Leib und Leben. Der Zar plant, Juden an die vordere Front zu schicken. Im letzten Augenblick entkommt Jacob dem Rekrutierungskommando. Wie erreicht der fahnenflüchtige Bursche unter diesen Umständen einen Hafen? Wie legt er notwendige Dokumente vor? Wie bezahlt er die Kosten für die Überfahrt? Solche Ungereimtheiten nerven.

Später vermisst Jacob das nötige Kleingeld, um sein ungewöhnliches Kleidungsstück zum Patent anzumelden. Levi gefällt die Idee, die Nähte zu festigen und die Hosentaschen mit Metallstiften zu sichern. Jacob und Levi wandeln auf Umwegen, bis sie ihren Kontakt vertiefen. Aus unerfindlichen Gründen bittet Annie zuerst den Unhold J.C. Eddy um Hilfe. Nach Schmerz und Enttäuschung triumphieren die beiden Partner: Goldgräber und Arbeiter lieben die Nietenhose. Allerdings will der frühere Bittsteller Levi alleine die Verantwortung tragen. Jacob wählt einen Posten im Hintergrund. Durch den Hype mit den Pferden verspricht die Marke "Levi Strauss" eine goldene Zukunft.

Fiesling muss echte Gauner vertreten

Banalitäten und tolle Kostüme prägen "Levi Strauss und der Stoff der Träume". Der Fiesling im Kleinformat muss all die echten Gauner vertreten. Levi Strauss und Jacob Davis dürften über ihre Porträts staunen. Die Geburt der Jeans dient als Aufhänger für einen Trivialroman. Indes überdeckt Armin Dierolfs Kameraführung etliche Pannen. Ausflüge ins Familiendrama halten die Zuschauerinnen und Zuschauer bei Laune.

Übeltäter und Klamottenhändler hegen Gefühle

Die einsamen Helden und Finsterlinge schmachten nach Frauen. Jacob schnappt einem Goldgräber die Verlobte weg, um Annie selber zu heiraten. In San Francisco bedrängt der mächtige Boss J.C. Eddy die junge Mutter. Zudem scheint Levi unsittliche Gefühle für seinen Vertrauten Jude William zu hegen. Jedenfalls könnten die Serienschöpfer auf diese Weise erklären, warum Levi weder den Damen nachstellt noch Kinder zeugt. Die Handlung leidet unter verklemmten Andeutungen.

Historische Schmonzette lädt zum Abend vor der Glotze

Regisseurin Neele Leana Vollmar und Drehbuchautor Robert Krause ( "Sisi") rechtfertigen vermutlich ihr Konzept. Doch ihr Team verpasst viele Chancen. Trotzdem genügt die Geburtsgeschichte der Jeans, um einen Abend vor der Glotze zu versacken. Die historische Schmonzette gefällt besonders den Fans vom Genre. Levis Aufstieg unterhält leidlich mit einem frischen Thema. Bei allen Schwächen hoffen wir mal, demnächst andere Beiträge zum 19. Jahrhundert genießen zu können. Begnügen wir uns vorerst mit "Levi Strauss und der Stoff der Träume".

Dieser Text beruht auf der Sichtung aller vier Folgen von "Levi Strauss und der Stoff der Träume".

Die gesamte Miniserie "Levi Strauss und der Stoff der Träume" steht in der ARD Mediathek ab Montag, dem 30. Dezember bereit. Das Erste zeigt die 45-minütigen Episoden als Event am Freitag, dem 3. Januar ab 20.15 Uhr. Die Wiederholung läuft in der Nacht zum Samstag ab 1.10 Uhr.