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TV-Kritik/Review: Narcos
(24.08.2015)
Pablo Escobar war ein freundlich aussehender, stämmiger Mann mit markantem Schnauzbart. Und er war der berüchtigste Drogenboss aller Zeiten. So reich wie der kolumbianische "King of Cocaine" war wohl kein Gangster vor und nach ihm. Gigantische Mengen "Blow" ließ er in den Achtzigern in die USA schmuggeln, und wenn die Cops aus
Kein Wunder also, dass sich allerorten die Vorfreude anknipste, als letztes Jahr ruchbar wurde, dass Netflix eine zehnteilige Serie über Escobar plant - ausgeheckt und inszeniert von José Padilha, jenem brasilianischen Regisseur, der mit dem ebenso ruppigen wie halbdokumentarischen Favela-Cop-Thriller "Tropa de Elite" bekannt wurde. Vieles schien da ideal zusammenzupassen: die Geschichte um einen überlebensgroßen Großganoven, wie sie Serienfans nicht erst seit Walter Whites Aufstieg in
Natürlich ist Escobar keine neue Film- und Serienfigur. Gerade erst war "Snatch"-Star Benicio del Toro im Kinofilm "Paradise Lost" in der Rolle zu sehen, im Johnny Depp-Film "Blow" tauchte Escobar schon 2001 auf. In Kolumbien selbst wurden zwei sehr erfolgreiche Serien über den Kokainkönig gedreht, eine Telenovela und eine etwas ambitioniertere Soap mit weit über 100 Episoden. Auch Oliver Stone hat immer noch ein Escobar-Projekt in der Pipeline, doch im nächsten Jahr kommt erst einmal "The Infiltrator" in die Kinos, ein Thriller, in dem Bryan Cranston (ausgerechnet!) einen Spitzel im Escobar-System spielt. Ohne Frage: Die Escobar-Story fasziniert.
Wie geht Padilha nun in
Im leider etwas zu obercoolen "Hardboiled"-Stil alter Film-Noir-Kommissare führt Murphy durchs Geschehen, erzählt er von alten Haschdealer-Zeiten in den Siebzigern, von der Koks-Schwemme in den Achtzigern und davon, wie schwer die Grenze zwischen Gut und Böse zu ziehen sei. Was kein Wunder ist in einem Jahrzehnt, in dem Nancy Reagan in ihrem legendär hilflosen "Just Say No"-Fernsehspot vom Drogenkonsum abriet, obgleich die US-Regierung mit der Unterstützung des chilenischen Diktators Pinochet mitverantwortlich dafür war, dass der Kokainhandel von Chile nach Kolumbien umsiedelte und dort erst richtig groß wurde. Den zweiten Ermittler, den Mexikaner Javier Pena, spielt der Chilene Pedro Pascal, dessen darstellerisches Charisma spätestens seit seiner Gala-Vorstellung als Oberyn Martell in der vierten
Die Pilotepisode konzentriert sich allerdings noch weniger auf die Ermittler als auf Escobar selbst. Diese zentrale Rolle hat José Padilha mit seinem Lieblingsdarsteller Wagner Moura besetzt, dem Cop aus "Tropa de Elite". Das ist eine durchaus ungewöhnliche Wahl, schließlich musste der athletische Brasilianer, der zuletzt im Sci-Fi-Thriller "Elysium" und in der schwulen Romanze "Praia do Futuro" zu sehen war, für die Rolle nicht nur 25 Kilo Fett zulegen, sondern auch noch Spanisch lernen. Die Sache geht jedoch bestens auf: Als aufstrebender Schmuggler im Hawaiihemd strahlt er schon in den ersten, noch in den 1970er Jahren spielenden Szenen ebenso viel Jovialität wie Autorität aus, wenn er ein paar Ordnungshütern seine Verhandlungsmaxime verdeutlicht: "plata o plomo", Silber oder Blei, Korruption oder Exekution.
Mit annähernd dokumentarischer Akribie zeichnet Padilha den Aufstieg Escobars nach. Man lernt die behelfsmäßigen Dschungellabore in den peruanischen Bergen kennen, wo aus der Cocapflanze Paste hergestellt wird und Escobar sofort die riesigen Gewinnmargen klarwerden, die mit dem Schmuggel des daraus gewonnenen weißen Pulvers in die USA zu erzielen wären. Die Labore werden nach Medellín verlegt, und bald schon gelangt der "Schnee" über die Karibik, versteckt unter Bootsverschalungen oder in den Bäuchen schwangerer Frauen. Wer Escobar dabei stört, muss dran glauben: "Cockroach" etwa, ein Schmugglerkollege, der ihn überhaupt erst auf die Idee mit dem Kokainschmuggel brachte, dann aber zu viele Prozente wollte.
Am Ende der Pilotepisode ist Escobar als Drug Lord etabliert. Die zweite Folge stellt die Ermittler in den Mittelpunkt, aber auch die Entführung der Drogenboss-Schwester Maria Ochoa. Das Kidnapping durch die linken Guerrillas der "M-19" bewegte Escobar und seine Kartell-Genossen (darunter als ausgesucht fieser Gonzalo Gacha: Luiz Guzmán, das knautschigste Latino-Gesicht des US-Kinos) zur Gründung eines paramilitärischen Verteidigungsbündnisses. Sehenswert ist dabei das künftige Bond-Girl Stephanie Sigman (
Schwerpunkt und Tempo der ersten zwei Episoden unterscheiden sich sehr, doch einen starken Sog entwickeln sie beide. Padilha schneidet immer wieder zeitgenössische Nachrichtensendungen in die Handlung hinein, was der Authentizität sehr zuträglich ist. Auch die Tatsache, dass weite Teile der Serie in spanischer Sprache gedreht wurden, versetzt uns Zuschauer mitten hinein in die lateinamerikanischen Achtziger. Zum Glück vermittelt sich dabei zu keiner Zeit das Gefühl, dass es hier bloß um die Hatz zweier heldenhafter US-Cops auf einen verschlagenen Latino-Endboss gehen könnte. Denn auch die Ermittler operieren nicht selten im Graubereich.
Obwohl das Ende bekannt ist, darf man also gespannt darauf sein, wie Padilha die großen Wegmarken aus Escobars Biografie in seinen Plot einbaut, die Stürmung des Justizgebäudes von Bogot? 1985 zum Beispiel, seine Zeit im selbst errichteten Luxusknast, oder Escobars die ganze Nation terrorisierenden Bomben-Krieg gegen den kolumbianischen Staat. Stoff genug wäre das für weit mehr als zehn Episoden. Aber da die Macher derzeit öffentlich auf grünes Licht für weitere Folgen hoffen, ist davon auszugehen, das zumindest die erste Staffel noch nicht mit Escobars Tod enden wird.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden der Serie.
Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: Daniel Daza / Netflix
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