Originalpremiere: 1975
FSK 16
Länge: ca. 96 min.
Kanada, 1863: Zur Zeit des Sezessionskrieges sind in Halifax, Neuschottland, britische Truppen stationiert, um auf Seiten der Südstaaten in den amerikanischen Bürgerkrieg einzugreifen. Den britischen Offizieren folgt eine mysteriöse junge Französin aus offenbar gutem Haus. Adèle H. - mehr als ihren Vornamen gibt sie nicht preis - hat die Alte Welt hinter sich gelassen, um ihren Geliebten, den englischen Lieutenant Albert Pinson, wiederzusehen. Bei dem warmherzigen älteren Ehepaar Saunders findet Adèle Unterkunft. Bis tief in die Nacht schreibt sie jeden Abend beinahe endlose Tagebucheinträge und Briefe. Doch Pinson weicht ihr aus und macht - einmal zur Rede gestellt - klar, dass er nichts mehr für sie empfindet. Zusätzlich zermürbt von wiederkehrenden Alpträumen, in denen ihre geliebte Schwester Léopoldine ertrinkt, bricht sie auf offener Straße zusammen. Adèle erholt sich nur langsam und bittet Mrs. Saunders, einen Brief für sie zu verschicken - adressiert an Victor Hugo. Bald schon weiß die ganze Stadt, dass die schöne Fremde Adèle Hugo, die jüngste Tochter des weltbekannten Schriftstellers, ist. Sie hat Familie und Heimat aufgegeben, um dem ebenso schönen wie hartherzigen Lieutenant Pinson nahe zu sein; jetzt wird sie ihre Selbstachtung aufgeben. Denn trotz der Drohungen wie auch der zärtlichen Bitten des Vaters, nach Hause zu kehren, trotz Pinsons harscher, eindeutiger Ablehnung, ist Adèle entschlossen, um ihre Liebe zu kämpfen. Dabei ist ihr jedes Mittel recht, nimmt sie jede Demütigung hin. Doch ihre obsessive Liebe verwandelt sich immer mehr in eine zwanghafte Wahnwelt, aus der sie nicht mehr zurückfindet. Mitte der 70er Jahre richtete François Truffaut seine Aufmerksamkeit verstärkt auf die Besessenen, die von einer unerfüllten, übergroßen Leidenschaft Getriebenen. In seinem Spätwerk wurden sie zu seinen bevorzugten Protagonisten. Exemplarisch dafür ist der Film "Die Geschichte der Adèle H.", den Truffaut 1975 nach einer zweijährigen Schaffenspause vollendete. Basierend auf den verschlüsselt geschriebenen Tagebüchern Adèles, der jüngsten Tochter Victor Hugos, erzählt Truffaut einfühlsam die Geschichte einer tragischen, einseitigen Amour fou. Der Regisseur, der selbst einen kurzen Cameo-Auftritt hat, fokussiert weniger auf den melodramatischen Charakter der (wahren) Geschichte - Primat der Leidenschaft versus Rücksicht auf gesellschaftliche Normen -, sondern lässt sich ganz und gar auf den Wahn seiner Protagonistin ein. So entsteht ein von Anteilnahme und Verständnis geprägtes Bild einer verlorenen Seele.
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Isabelle Adjani kam durch die Rolle der obsessiven und zugleich zerbrechlichen Adèle zu einer Oscarnominierung und internationalem Ruhm. Den psychisch labilen Figurentypus sollte sie später zu ihrem Markenzeichen machen, zum Beispiel als Eliane in "Ein mörderischer Sommer" (1983) und in der Titelrolle von "Camille Claudel" (1988). Die Kamera führte Truffauts bevorzugter Kameramann Néstor Almendros, dessen Arbeit in Terrence Malicks Meisterwerk "Tage des Himmels" (1978) mit dem Oscar ausgezeichnet wurde.
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Cast & Crew
- Regie: François Truffaut
- Drehbuch: François Truffaut, Jean Gruault, Suzanne Schiffman
- Produktion: Marcel Berbert, Claude Miller, Patrick Millet, Roland Thenot, Les Films du Carrosse, Les Productions Artistes Associés
- Produktionsfirma: United Artists
- Musik: Maurice Jaubert
- Kamera: Nestor Almendros
- Schnitt: Yann Dedet, Martine Barraqué, Jean Gargonne, Michèle Neny
- Maske: Chantal Durpoix
- Regieassistenz: Carl Hathwell, Suzanne Schiffman
- Ton: Michel Laurent