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TV-Kritik/Review: "Kafka"-Miniserie von ARD und ORF ist vielschichtig und innovativ

(26.03.2024/ursprünglich erschienen am 19.03.2024)

Franz Kafka war zweifellos ein Ausnahmeschriftsteller. Seine Werke sind tief in unsere Alltagskultur eingesickert. Während Adjektive wie "shakespeareesk" wohl außerhalb der Literaturwissenschaften selten verwendet werden, ist "kafkaesk" ein allgemeines Synonym für beklemmende, kaum zu fassende, oft bürokratische Situationen geworden. Kafka-Klischees gibt es viele, die meist ein Bild des Künstlers als kränklicher, sonderbarer und permanent unglücklicher Zeitgenosse zeichnen. Aber wer war Franz Kafka wirklich? Einer Antwort auf diese Frage versuchen sich zu seinem 100. Todestag Bestsellerautor Daniel Kehlmann und Kult-Serienmacher David Schalko (
Zeitgenössische österreichische Künstler scheinen eine besondere Affinität zu Kafka zu haben. Das mag an der Melancholie liegen, die sein Werk durchzieht, aber vielleicht auch daran, dass viele seiner Äußerungen in ihrer verzweifelten Weltsicht schon unfreiwillig schwarzhumorig wirken. Vor kurzem zeichnete der Wiener Comickünstler Nicolas Mahler mit der Kurzbiografie "Komplett Kafka" in seinem unnachahmlich minimalistischen Stil das Porträt eines Mannes, der kein Talent zum Glücklichsein hatte. Jetzt veröffentlichen ARD und ORF ihre sechsteilige Miniserie
Die sechs etwa 45-minütigen Folgen erzählen das Leben des Deutsch-Tschechen nur in Ansätzen chronologisch, aber in erster Linie thematisch gegliedert. So widmen sich drei Episoden jeweils einer von Kafkas Geliebten, eine seinem besten Freund und Förderer und zwei weitere jeweils einem Aspekt seines Lebens (seinem Brotjob als Versicherungsangestellter sowie seiner dysfunktionalen Familie). Dadurch bekommt einerseits jede Folge einen etwas anderen Tonfall, andererseits entsteht durch das zeitliche Vor- und Zurückspringen ein viel komplexeres Bild. So spielt alleine die Auftaktepisode auf mindestens fünf Zeitebenen, zwischen denen immer wieder gewechselt wird.

15 Jahre nach Kafkas Tod flieht sein Freund Max Brod (David Kross) mit seiner Ehefrau im letzten Zug aus dem von Deutschland überrannten Prag. Im Koffer dabei hat er die Manuskripte, die er als Nachlassverwalter nach Kafkas Tod eigentlich verbrennen sollte. In Rückblenden sehen wir, wie sich die beiden Literaten kennenlernten und über ihre gemeinsame Liebe zu Schriftstellerei und Philosophie zu engen Freunden wurden. In der Nachinszenierung eines TV-Interviews, das Jahrzehnte später tatsächlich ausgestrahlt wurde, muss sich parallel ein gealterter Brod den vernichtenden Fragen eines Journalisten stellen.
Schalko und Kehlmann arbeiten mit verschiedensten Stilmitteln. So gibt es einen anonymen Off-Erzähler (Michael Maertens), der immer wieder abbricht, neu ansetzt (Vielleicht muss man ganz anders anfangen.) und auch mal von einer Figur unterbrochen wird, die dann direkt in die Kamera spricht. Manchmal sehen wir Postkarten der Schauplätze oder Fotos der realen Personen, dann wieder nachgestellte Fotos der SchauspielerInnen. Wenn Brod in seinem Büro auf der Post sitzt, sieht man durch die Scheibe hinter ihm seine Kollegen in den Nachbarbüros wie in einem unendlichen Spiegeleffekt.

Immer wieder brechen auch Elemente aus Kafkas Werken in die dargestellte Realität ein: Die zwei beschlapphuteten Beamten, die den Antihelden aus "Der Prozess" ohne Grund verhaften, begegnen Kafka gleich mehrmals, der Schaffner, der die Brods im Zug kontrolliert, spricht Sätze, die fast wörtlich aus der Parabel "Vor dem Gesetz" stammen. Einige von Kafkas wichtigsten Texten werden ansatzweise in unterschiedlichen Stilen adaptiert, in der letzten Episode verschmilzt die Realität eines Kuraufenhalts des Schriftstellers in den Bergen endgültig mit der Handlung seines Romanfragments "Das Schloss". Leben und Werk Kafkas sind nicht zu trennen, lebte er doch fast ausschließlich für seine Kunst, wie immer wieder deutlich wird.
Und das, obwohl er fast nur nachts schreiben konnte, waren seine Tage doch vom ungeliebten Bürojob und den zermürbenden Verpflichtungen des Familienlebens okkupiert. Eine Schlüsselrolle spielt dabei sein Vater Hermann (großartig: Nicholas Ofczarek), ein gefühlskalter Despot, der kein gutes Haar an seinem einzigen Sohn lässt. Woher Franz die Inspiration für "Die Verwandlung" hatte, in der die Familie seinen zum Käfer verwandelten Protagonisten allein in dessen Zimmer verhungern lässt, ist danach offensichtlich. Es spricht aber auch für Ofczareks Schauspielkunst, dass er später als gealterter und kranker Hermann das Mitleid der Zusehenden erweckt (und für das Drehbuch, dass Franz dann zu einer Geste der Liebe fähig ist). Ohnehin arbeitet Schalko mit einem hervorragenden Ensemble, das so ziemlich alles auffährt, was im deutschen und österreichischen Film- und Fernsehgeschäft Rang und Namen hat, vom derzeit wohl unvermeidlichen Lars Eidinger als Rilke über Verena Altenberger als Musil (!) bis zu Katharina Thalbach als empathieloser Berliner Vermieterin.

Allen voran muss man aber Joel Basman erwähnen, der den Titelhelden kongenial verkörpert. Mit all seinen Marotten, wenn er etwa jeden Bissen 40-mal kaut, weil das am gesündesten sei, mit seinem unerwarteten Kichern, aber auch mit seinen Selbstzweifeln und sozialen Unzulänglichkeiten. Wichtige Rollen in Kafkas Leben spielten auch mehrere Frauen, obwohl er nie heiratete und auch nur am Ende seines Lebens kurz mit einer zusammenlebte. Dieser Dora Diamant (Tamara Romera Ginés) widmet sich die letzte Episode, vorher geht es in der zweiten um seine eigenwillige Dauerverlobte Felice Bauer (Lia von Blarer) und in der fünften um seine tschechische Übersetzerin Milena Jesenská (Liv Lisa Fries). Diese Folge sticht stilistisch aus den übrigen heraus, indem sie die gesamte Beziehung in einem Nachmittag verdichtet, den Franz und Milena miteinander im Wiener Wald verbringen. Innerhalb weniger Stunden durchlaufen sie dabei alle Stadien einer Liebesbeziehung, bis sie sich am Ende für immer trennen.
In Kafkas Leben und der Serie spiegeln sich viele Themen, die heute noch genauso aktuell sind: Krieg und Frieden, Zionismus und Antisemitismus, Nationalismus und sich verschiebende Grenzen, aber eben auch Kunst und Sprache, die universell und völkerverbindend sein können. Wie man die Lebensgeschichte auch erzählt, gut endet sie für Kafka und seine Familie nicht. Während er selbst mit knapp 41 Jahren an Tuberkulose stirbt, werden mehrere seiner Schwestern in Konzentrationslagern umgebracht. Hinterlassen hat er - auch dank seines Freundes Max Brod, der seine zu Lebzeiten unveröffentlichten Schriften rettete - ein Werk, das bis heute gelesen und diskutiert wird.

Schalko und Kehlmann nähern sich Kafka mit einem höchst künstlerischen Ansatz, der seinem Denken und Schreiben sicher wesentlich gerechter wird, als es ein konventionelles Biopic vermocht hätte. So hebt sich ihre Miniserie positiv von all den öffentlich-rechtlichen Produktionen über andere große Schriftsteller von
Dieser Text basiert auf der Sichtung der kompletten Miniserie "Kafka".
Die sechs Episoden stehen seit Mittwoch, dem 20. März in der ARD Mediathek bereit. Die lineare Ausstrahlung im Ersten erfolgt am Dienstag, den 26. und Mittwoch, den 27. März jeweils ab 20.15 Uhr mit drei Folgen am Stück.
Über den Autor
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Leserkommentare
Patty190 schrieb am 29.10.2024, 20.16 Uhr:
Schon der Ansatz, wie das Leben Kafkas erzählt wird, ist genial, in jeder Folge sah ich gleich zu Anfang, welche Geschichte in der Folge wohl die Rolle spielt. Dazu ein großartiger Cast aus Leuten, die auch ein Schnitzel spielen können. Da kann man auch 5 von 5 geben.
KitKane schrieb am 28.03.2024, 22.09 Uhr:
Mir hat es schon gleich von Anfang an gefallen, ein wunderbares, vielleicht nicht ganz einfaches Drehbuch. Und geniale Schauspieler, die fantastisch zusammen harmonieren und ebenso allein. Joel Basman ist einfach Kafka.
chrisquito schrieb via tvforen.de am 27.03.2024, 20.09 Uhr:
Nach drei von sechs Folgen kann ich da nur zustimmen. Tragikomisch und von Folge 1 zu Folge 3 eine deutliche Steigerung. Folge 3 finde ich genial. Mal sehen, wie es gleich weitergeht.
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