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Colin Farrell brilliert im "The Batman"-Spin-Off trotz Klischees in Charakterzeichnung
Will hoch hinaus: der Gangster Oswald "Oz" Cobb (Colin Farrell)
HBO
TV-Kritik/Review: "The Penguin": Teufel oder Mann des Volkes?/HBO

Brauchte es wirklich eine weitere Neuinterpretation der ikonischen Batman-Figur? Noch dazu mit Robert Pattinson in der Titelrolle? Jenem Darsteller, der es durch die klebrige  "Twilight"-Reihe zu internationalem Ruhm gebracht hatte? Diese Fragen kamen vor Veröffentlichung von Matt Reeves'  "The Batman" immer wieder auf. Viele Zweifler ließ der 2022 gestartete Film dann aber verstummen, da er dem Dunklen Ritter von Gotham City in Form eines grimmig-grüblerischen Serienkillerthrillers einen frischen Anstrich verpassen konnte. Pattinson machte seine Sache gut, was schon angesichts seiner vielseitigen Rollenwahl in der Zeit nach dem "Twilight"-Hype nicht verwundern musste. Akzente setzte in der geerdeten Comic-Adaption auch der unter einer dicken Maske nicht wiederzuerkennende Colin Farrell als "Der Pinguin", ein treuer Diener des Mafiapaten Carmine Falcone. Nach dem Tod seines Chefs gegen Ende des Kinoblockbusters sieht der Clubbesitzer und Drogenhändler im Serien-Spin-Off  "The Penguin" nun seine Chance gekommen, in die vorderste Reihe vorzustoßen. Eine klassische Gangsteraufstiegssaga verbindet sich in der HBO-Produktion mit zwei düsteren Familiengeschichten und weckt in den besten Momenten Erinnerungen an den Mafia-Hit  "Die Sopranos" - ohne dessen Qualitäten zu erreichen.

Die achtteilige Serie beginnt eine Woche nach den Ereignissen aus "The Batman". Für die, die den Leinwandstreifen nicht kennen, rekapituliert ein Zusammenschnitt fiktiver Newsberichte die Lage in Gotham City: Die durch den Filmbösewicht Riddler orchestrierten Explosionen haben die Dämme der Stadt zerstört und sie in Teilen geflutet. Vor allem in den ärmeren Vierteln herrscht Chaos und Verwüstung, während die wohlhabenden Bürger von der Katastrophe weitgehend verschont geblieben sind. Seit dem Tod Carmine Falcones besteht im Verbrechermilieu ein Machtvakuum, um das, so heißt es, erbittert gekämpft wird. Von diesem Gangkrieg, der in den Dialogen oft präsent ist, spürt man in manchen Phasen allerdings erstaunlich wenig. Gerade in der ersten Hälfte von "The Penguin" hätte es etwas mehr Druck auf dem Kessel sein dürfen.

Vic (Rhenzy Feliz, l.) und Oz (Colin Farrell, r.) machen schnell gemeinsame Sache.
Vic (Rhenzy Feliz, l.) und Oz (Colin Farrell, r.) machen schnell gemeinsame Sache. HBO

Der Titelantiheld, der hier übrigens Oswald "Oz" Cobb (Farrell) und nicht, wie in den Comics, Oswald Cobblepot heißt, muss sich in der neuen Gemengelage erst einmal zurechtfinden. Gleich zu Anfang lässt sich der impulsive Gangster im Gespräch mit Carmines Sohn Alberto (Michael Zegen) zu einer folgenreichen Tat hinreißen. Weil der Erbe seines Bosses Oz' Bewunderung für einen Nachbarschaftspaten aus seiner Kindheit ins Lächerliche zieht, knallt Cobb den Falcone-Erben einfach ab. Den kurz darauf an seinem lilafarbenen Wagen herumfummelnden Teenager Victor "Vic" Aguilar (Rhenzy Feliz) verdonnert Oz im Anschluss dazu, ihm bei der Entsorgung der Leiche zu helfen. Eigentlich will er danach auch den Mitwisser aus dem Weg räumen. Doch irgendetwas sieht er in dem jungen Mann, der aus dem verrufenen Stadtviertel Crown Point stammt und bei der Flutung seine Familie verloren hat. Im Grunde traut Cobb ihm sofort über den Weg und setzt ihn gleich als seinen neuen Handlanger und Fahrer ein - was doch ein bisschen überrascht.

Das Verschwinden Albertos versetzt seine Familie in Aufruhr, die ohnehin vor kritischen Entscheidungen steht. Denn plötzlich betritt die zehn Jahre lang im Arkham Asylum, Gothams berüchtigter Psychiatrie, weggeschlossene Sofia Falcone (Cristin Milioti) die Bühne und bietet den Männern ihrer Sippe die Stirn. Obwohl er aktuell hinter Gittern sitzt, steigt in den Kampf um die Vorherrschaft in der Unterwelt auch Falcone-Intimfeind Salvatore Maroni (Clancy Brown) ein. Mittendrin befindet sich nicht zuletzt Oz Cobb, der von einer angeblich bahnbrechenden neuen Droge erfährt und die Möglichkeit zum Aufstieg um jeden Preis ergreifen will.

"The Penguin" erzählt eine klassische Mafiastory mit verwegenen Gestalten, brutalen Morden, wechselnden Allianzen und diversen Täuschungsmanövern. Was auffällt: Auch wenn manches anders kommt, als von Oz geplant, er mehrfach improvisieren muss, ist ihm das Glück in vielen Momenten genau zu rechten Zeit hold. Weil unvorhergesehene Dinge passieren, kann er sich wiederholt aus brenzligen Situationen befreien. Und noch dazu lassen sich einige seiner Widersacher relativ leicht hinters Licht führen. Serienschöpferin Lauren LeFranc ( "Marvel's Agents of S.H.I.E.L.D.") und ihr Autorenteam hätten sicherlich noch an ein paar erzählerischen Stellschrauben drehen können. Phasenweise kommt der Protagonist einfach zu geschmeidig voran.

Kann Sofia Falcone (Cristin Milioti) Oz (Colin Farrell) über den Weg trauen?
Kann Sofia Falcone (Cristin Milioti) Oz (Colin Farrell) über den Weg trauen? HBO

Spannend ist zweifelsohne, dass wir es hier mit einer Hauptfigur zu tun haben, die keineswegs dem Muster des typischen Sympathieträgers entspricht. "The Batman" zeigte Oz als schmierigen, profigierigen Verbrecher. Ein Bild, das die Serie noch einmal deutlich ausbaut. Der Mann mit dem aufgequollenen, von einer Narbe entstellten Gesicht und dem von einem deformierten Fuß herrührenden watschelnden Gang (daher sein abwertender Spitzname!) lässt ohne Wimpernzucken unschuldige Personen über die Klinge springen, um seine eigene Haut zu retten, kann erschreckend egoistisch sein und dann wieder verblüffend feinfühlig, etwa im Umgang mit seiner demenzkranken Mutter Francis (Deirdre O'Connell) oder mit seinem Schützling Vic, den er permanent anspornt, Ambitionen zu haben, sich nicht von schlechten Startschwierigkeiten im Leben aufhalten zu lassen. Cobb selbst kommt aus bescheidenen Verhältnissen und gibt sich mehr und mehr als Kämpfer für die Armen und Übersehenen aus. Ist er nur ein skrupelloser Populist? Ein berechnender Machtmensch? Oder liegt ihm das "einfache" Volk tatsächlich ein wenig am Herzen? Diese Fragen halten uns auf Trab und lassen eine ambivalente, ebenso schillernde wie abstoßende Figur entstehen, die entgegen voriger Befürchtungen durchaus eine ganze Serie tragen kann. Seinen Gegenspieler Batman vermisst man jedenfalls nicht.

Emotionale und dramatische Kraft zieht das Spin-Off aus den Beziehungen von Oz zu seiner Mutter, Oz zu Sofia, für die er früher als Fahrer tätig war, und Sofia zu ihrer Familie, von der sie einst auf grausame Weise fallen gelassen wurde. Nicht nur bei Cobb tun sich in der zweiten Hälfte von "The Penguin", erst recht in den letzten beiden Folgen, unfassbare Abgründe auf. Auch die Vergangenheit der Falcone-Tochter hält schreckliche Geheimnisse und tiefe Verletzungen bereit. Ähnlich wie die Schurkenvorgeschichte  "Joker" verfällt die HBO-Serie gelegentlich in küchenpsychologische Erklärungsmuster und buchstabiert manche Empfindungen etwas zu deutlich aus. Starke darstellerische Leistungen steuern dem allerdings entgegen, sorgen dafür, dass man glaubt, Menschen aus Fleisch und Blut vor sich zu haben - und keine Sprechpuppen.

Oz (Colin Farrell, r.) will Salvatore Maroni (Clancy Brown, l.) für seine Pläne einspannen.
Oz (Colin Farrell, r.) will Salvatore Maroni (Clancy Brown, l.) für seine Pläne einspannen. HBO

Bemerkenswert ist vor allem das Spiel Colin Farrells, der trotz aufwendiger Maskerade Regungen und Gefühle souverän nach außen trägt. Auch durch einen markanten Akzent in der Originalfassung und mehrere Manierismen, zum Beispiel ein Zucken mit der Schulter, erschafft er eine plastische, raumgreifende Persönlichkeit, die wenig gemein hat mit der Comic-Version Danny DeVitos aus Tim Burtons  "Batmans Rückkehr" (1992). Cristin Milioti, bekannt geworden durch den Mutterpart in der Sitcom  "How I Met Your Mother", verkörpert Sofia Falcone inbrünstig als eine am Rande des Nervenzusammenbruchs wandelnde Frau, die sich endlich das nehmen will, was ihr zusteht. Hier und da reißt sie ihre Augen vielleicht ein wenig übertrieben auf. Insgesamt legt Milioti aber eine vibrierende Performance hin, aus der Trauer, Wut über Demütigungen und wilde Entschlossenheit sprechen. Erwähnen muss man überdies Michael Kelly in der Rolle des hochrangigen, Sofia gegenüber Verachtung ausstrahlenden Falcone-Mitglieds Johnny Vitti und Deirdre O'Connell, die als Mutter des Pinguins diverse hochaufwühlende Momente hat.

Atmosphärisch knüpft "The Penguin" an den filmischen Vorgänger an. Will heißen: Häufig regnet es. Die Farben sind gedeckt. Es dominieren Brauntöne. Und viele Szenen sind schummrig ausgeleuchtet. Im Gegensatz zur Leinwandarbeit gibt es in der Serie dann aber doch komische Einsprengsel. Kurze Augenblicke, die zumindest etwas Auflockerung garantieren. In den letzten beiden Episoden ist davon allerdings fast nichts mehr zu spüren. Besonders eine Schockwendung wenige Minuten vor dem Ende dürfte die Zuschauer wie ein Faustschlag in die Magengrube treffen und verleiht dem Ganzen eine tiefdüstere Note.

Dieser Text basiert auf der Sichtung aller acht Folgen der Serie "The Penguin".

Meine Wertung: 3.5/5

Die erste Episode der Serie "The Penguin" ist ab dem 20. September bei WOW verfügbar. Am selben Tag erfolgt auch die lineare Erstaustrahlung auf Sky Atlantic. Ab Montag, dem 30. September wird dann im wöchentlichen Rhythmus jeweils eine neue Folge veröffentlicht.


 

Über den Autor

  • Christopher Diekhaus
Christopher Diekhaus, Jahrgang 1985, erlebte seine TV-Sozialisation in den 1990er-Jahren. Seine echte Liebe für den Flimmerkasten entbrannte allerdings erst gegen Ende der Schulzeit. Nach seinem Studium landete er zunächst in einer Film- und Fernsehproduktionsfirma. Seit 2013 schreibt Christopher als Freiberufler Film- und Serienkritiken. Das Portal fernsehserien.de unterstützt er seit Ende 2019. Im Meer der Veröffentlichungen die Perlen zu entdecken – diese Aussicht spornt ihn immer wieder an. Insgeheim hofft er, irgendwann eines seiner in der Schublade liegenden Drehbücher zu verkaufen. Bis er den Oscar in Händen hält, sichtet und rezensiert er aber weiter fleißig die neuesten Serien.
Lieblingsserien: Devs, Lass es, Larry!, Severance

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Leserkommentare

  • ReCon schrieb am 20.09.2024, 22.51 Uhr:
    Ähnelt schon auch Gotham, das hier gar nicht erwähnt wird.
    Ob die neue Serie da rankommen wird?
  • Tom_Cat schrieb am 25.09.2024, 19.07 Uhr:
    Ich muss sogar sagen, dass die Serie Gotham die beste Penguin und Riddler Interpretation hatte. Die Riddler davor waren zu albern und der Riddler aus "The Batman" war irgendwie auch kein wirklicher Riddler, also nicht mein Geschmack. Der Penguin war in "The Batman" schon gut, aber halt noch eine Nebenfigur und noch nicht da, wo man sich ihn als Fan wünscht.
    In "Gotham" musste er sich aber auch noch entwickeln.
    Ah ja, und von Tim Burtons Penguin, als verunstaltete Missgeburt, bin ich auch nicht der Fan.
    Außerdem hatte "Gotham" sogar die beste Joker Interpretation...nach Heath Ledger und Jack Nicholson :-)
  • Flapwazzle schrieb am 21.09.2024, 12.58 Uhr:
    Robin Lord Taylor fand ich als Oswald Cobblepot richtig Klasse in Gotham. Überhaupt hatte die Serie durchweg gute bis sehr gute Darsteller.
    Warum jetzt der Pinguin in der neuen Serie Oz Cobb verkürzt heißt, bleibt wohl ein Geheimnis von Lauren LeFranc.